Kunst das wieder zu finden, was wir aus der Natur wegwünschten.
Nur wenn eben dieselbe Begebenheit in ihrem Fortgange alle Schattirungen des Jnteresse an- nimt, und eine nicht blos auf die andere folgt, sondern so nothwendig aus der andern ent- springt; wenn der Ernst das Lachen, die Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, so unmittelbar erzeugt, daß uns die Abstraction des einen oder des andern unmöglich fällt: nur alsdenn verlangen wir sie auch in der Kunst nicht, und die Kunst weiß aus dieser Unmög- lichkeit selbst Vortheil zu ziehen. --
Aber genug hiervon: man sieht schon, wo ich hinaus will. --
Den fünf und vierzigsten Abend (Freytags, den 12ten Julius,) wurden die Brüder des Hrn. Romanus, und das Orakel vom Saint-Foix ge- spielt.
Das erstere Stück kann für ein deutsches Ori- ginal gelten, ob es schon, größten Theils, aus den Brüdern des Terenz genommen ist. Man hat gesagt, daß auch Moliere aus dieser Quelle geschöpft habe; und zwar seine Männerschule. Der Herr von Voltaire macht seine Anmerkun- gen über dieses Vorgeben: und ich führe Anmer- kungen von dem Herrn von Voltaire so gern an! Aus seinen geringsten ist noch immer etwas zu
ler-
Kunſt das wieder zu finden, was wir aus der Natur wegwünſchten.
Nur wenn eben dieſelbe Begebenheit in ihrem Fortgange alle Schattirungen des Jntereſſe an- nimt, und eine nicht blos auf die andere folgt, ſondern ſo nothwendig aus der andern ent- ſpringt; wenn der Ernſt das Lachen, die Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, ſo unmittelbar erzeugt, daß uns die Abſtraction des einen oder des andern unmöglich fällt: nur alsdenn verlangen wir ſie auch in der Kunſt nicht, und die Kunſt weiß aus dieſer Unmög- lichkeit ſelbſt Vortheil zu ziehen. —
Aber genug hiervon: man ſieht ſchon, wo ich hinaus will. —
Den fünf und vierzigſten Abend (Freytags, den 12ten Julius,) wurden die Brüder des Hrn. Romanus, und das Orakel vom Saint-Foix ge- ſpielt.
Das erſtere Stück kann für ein deutſches Ori- ginal gelten, ob es ſchon, größten Theils, aus den Brüdern des Terenz genommen iſt. Man hat geſagt, daß auch Moliere aus dieſer Quelle geſchöpft habe; und zwar ſeine Männerſchule. Der Herr von Voltaire macht ſeine Anmerkun- gen über dieſes Vorgeben: und ich führe Anmer- kungen von dem Herrn von Voltaire ſo gern an! Aus ſeinen geringſten iſt noch immer etwas zu
ler-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0148"n="142"/>
Kunſt das wieder zu finden, was wir aus der<lb/>
Natur wegwünſchten.</p><lb/><p>Nur wenn eben dieſelbe Begebenheit in ihrem<lb/>
Fortgange alle Schattirungen des Jntereſſe an-<lb/>
nimt, und eine nicht blos auf die andere folgt,<lb/>ſondern ſo nothwendig aus der andern ent-<lb/>ſpringt; wenn der Ernſt das Lachen, die<lb/>
Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, ſo<lb/>
unmittelbar erzeugt, daß uns die Abſtraction<lb/>
des einen oder des andern unmöglich fällt: nur<lb/>
alsdenn verlangen wir ſie auch in der Kunſt<lb/>
nicht, und die Kunſt weiß aus dieſer Unmög-<lb/>
lichkeit ſelbſt Vortheil zu ziehen. —</p><lb/><p>Aber genug hiervon: man ſieht ſchon, wo ich<lb/>
hinaus will. —</p><lb/><p>Den fünf und vierzigſten Abend (Freytags,<lb/>
den 12ten Julius,) wurden die Brüder des Hrn.<lb/>
Romanus, und das Orakel vom Saint-Foix ge-<lb/>ſpielt.</p><lb/><p>Das erſtere Stück kann für ein deutſches Ori-<lb/>
ginal gelten, ob es ſchon, größten Theils, aus<lb/>
den Brüdern des Terenz genommen iſt. Man<lb/>
hat geſagt, daß auch Moliere aus dieſer Quelle<lb/>
geſchöpft habe; und zwar ſeine Männerſchule.<lb/>
Der Herr von Voltaire macht ſeine Anmerkun-<lb/>
gen über dieſes Vorgeben: und ich führe Anmer-<lb/>
kungen von dem Herrn von Voltaire ſo gern an!<lb/>
Aus ſeinen geringſten iſt noch immer etwas zu<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ler-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[142/0148]
Kunſt das wieder zu finden, was wir aus der
Natur wegwünſchten.
Nur wenn eben dieſelbe Begebenheit in ihrem
Fortgange alle Schattirungen des Jntereſſe an-
nimt, und eine nicht blos auf die andere folgt,
ſondern ſo nothwendig aus der andern ent-
ſpringt; wenn der Ernſt das Lachen, die
Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, ſo
unmittelbar erzeugt, daß uns die Abſtraction
des einen oder des andern unmöglich fällt: nur
alsdenn verlangen wir ſie auch in der Kunſt
nicht, und die Kunſt weiß aus dieſer Unmög-
lichkeit ſelbſt Vortheil zu ziehen. —
Aber genug hiervon: man ſieht ſchon, wo ich
hinaus will. —
Den fünf und vierzigſten Abend (Freytags,
den 12ten Julius,) wurden die Brüder des Hrn.
Romanus, und das Orakel vom Saint-Foix ge-
ſpielt.
Das erſtere Stück kann für ein deutſches Ori-
ginal gelten, ob es ſchon, größten Theils, aus
den Brüdern des Terenz genommen iſt. Man
hat geſagt, daß auch Moliere aus dieſer Quelle
geſchöpft habe; und zwar ſeine Männerſchule.
Der Herr von Voltaire macht ſeine Anmerkun-
gen über dieſes Vorgeben: und ich führe Anmer-
kungen von dem Herrn von Voltaire ſo gern an!
Aus ſeinen geringſten iſt noch immer etwas zu
ler-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/148>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.