Die echten spanischen Stücke sind vollkom- men nach der Art dieses Essex. Jn allen einer- ley Fehler, und einerley Schönheiten: mehr oder weniger; das versteht sich. Die Fehler springen in die Augen: aber nach den Schön- heiten dürfte man mich fragen. -- Eine ganz eigne Fabel; eine sehr sinnreiche Verwicklung; sehr viele, und sonderbare, und immer neue Theaterstreiche; die ausgespartesten Situatio- nen; meistens sehr wohl angelegte und bis ans Ende erhaltene Charaktere; nicht selten viel Würde und Stärke im Ausdrucke. --
Das sind allerdings Schönheiten: ich sage nicht, daß es die höchsten sind; ich leugne nicht, daß sie zum Theil sehr leicht bis in das Roma- nenhafte, Abentheuerliche, Unnatürliche, kön- nen getrieben werden, daß sie bey den Spaniern von dieser Uebertreibung selten frey sind. Aber man nehme den meisten französischen Stücken ihre mechanische Regelmäßigkeit: und sage mir, ob ihnen andere, als Schönheiten solcher Art, übrig bleiben? Was haben sie sonst noch viel Gutes, als Verwicklung, und Theaterstreiche und Situationen?
Anständigkeit: wird man sagen. -- Nun ja; Anständigkeit. Alle ihre Verwicklungen sind anständiger, und einförmiger; alle ihre
Theater-
Die echten ſpaniſchen Stücke ſind vollkom- men nach der Art dieſes Eſſex. Jn allen einer- ley Fehler, und einerley Schönheiten: mehr oder weniger; das verſteht ſich. Die Fehler ſpringen in die Augen: aber nach den Schön- heiten dürfte man mich fragen. — Eine ganz eigne Fabel; eine ſehr ſinnreiche Verwicklung; ſehr viele, und ſonderbare, und immer neue Theaterſtreiche; die ausgeſparteſten Situatio- nen; meiſtens ſehr wohl angelegte und bis ans Ende erhaltene Charaktere; nicht ſelten viel Würde und Stärke im Ausdrucke. —
Das ſind allerdings Schönheiten: ich ſage nicht, daß es die höchſten ſind; ich leugne nicht, daß ſie zum Theil ſehr leicht bis in das Roma- nenhafte, Abentheuerliche, Unnatürliche, kön- nen getrieben werden, daß ſie bey den Spaniern von dieſer Uebertreibung ſelten frey ſind. Aber man nehme den meiſten franzöſiſchen Stücken ihre mechaniſche Regelmäßigkeit: und ſage mir, ob ihnen andere, als Schönheiten ſolcher Art, übrig bleiben? Was haben ſie ſonſt noch viel Gutes, als Verwicklung, und Theaterſtreiche und Situationen?
Anſtändigkeit: wird man ſagen. — Nun ja; Anſtändigkeit. Alle ihre Verwicklungen ſind anſtändiger, und einförmiger; alle ihre
Theater-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0133"n="127"/><p>Die echten ſpaniſchen Stücke ſind vollkom-<lb/>
men nach der Art dieſes Eſſex. Jn allen einer-<lb/>
ley Fehler, und einerley Schönheiten: mehr<lb/>
oder weniger; das verſteht ſich. Die Fehler<lb/>ſpringen in die Augen: aber nach den Schön-<lb/>
heiten dürfte man mich fragen. — Eine ganz<lb/>
eigne Fabel; eine ſehr ſinnreiche Verwicklung;<lb/>ſehr viele, und ſonderbare, und immer neue<lb/>
Theaterſtreiche; die ausgeſparteſten Situatio-<lb/>
nen; meiſtens ſehr wohl angelegte und bis ans<lb/>
Ende erhaltene Charaktere; nicht ſelten viel<lb/>
Würde und Stärke im Ausdrucke. —</p><lb/><p>Das ſind allerdings Schönheiten: ich ſage<lb/>
nicht, daß es die höchſten ſind; ich leugne nicht,<lb/>
daß ſie zum Theil ſehr leicht bis in das Roma-<lb/>
nenhafte, Abentheuerliche, Unnatürliche, kön-<lb/>
nen getrieben werden, daß ſie bey den Spaniern<lb/>
von dieſer Uebertreibung ſelten frey ſind. Aber<lb/>
man nehme den meiſten franzöſiſchen Stücken<lb/>
ihre mechaniſche Regelmäßigkeit: und ſage mir,<lb/>
ob ihnen andere, als Schönheiten ſolcher Art,<lb/>
übrig bleiben? Was haben ſie ſonſt noch viel<lb/>
Gutes, als Verwicklung, und Theaterſtreiche<lb/>
und Situationen?</p><lb/><p>Anſtändigkeit: wird man ſagen. — Nun<lb/>
ja; Anſtändigkeit. Alle ihre Verwicklungen<lb/>ſind anſtändiger, und einförmiger; alle ihre<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Theater-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[127/0133]
Die echten ſpaniſchen Stücke ſind vollkom-
men nach der Art dieſes Eſſex. Jn allen einer-
ley Fehler, und einerley Schönheiten: mehr
oder weniger; das verſteht ſich. Die Fehler
ſpringen in die Augen: aber nach den Schön-
heiten dürfte man mich fragen. — Eine ganz
eigne Fabel; eine ſehr ſinnreiche Verwicklung;
ſehr viele, und ſonderbare, und immer neue
Theaterſtreiche; die ausgeſparteſten Situatio-
nen; meiſtens ſehr wohl angelegte und bis ans
Ende erhaltene Charaktere; nicht ſelten viel
Würde und Stärke im Ausdrucke. —
Das ſind allerdings Schönheiten: ich ſage
nicht, daß es die höchſten ſind; ich leugne nicht,
daß ſie zum Theil ſehr leicht bis in das Roma-
nenhafte, Abentheuerliche, Unnatürliche, kön-
nen getrieben werden, daß ſie bey den Spaniern
von dieſer Uebertreibung ſelten frey ſind. Aber
man nehme den meiſten franzöſiſchen Stücken
ihre mechaniſche Regelmäßigkeit: und ſage mir,
ob ihnen andere, als Schönheiten ſolcher Art,
übrig bleiben? Was haben ſie ſonſt noch viel
Gutes, als Verwicklung, und Theaterſtreiche
und Situationen?
Anſtändigkeit: wird man ſagen. — Nun
ja; Anſtändigkeit. Alle ihre Verwicklungen
ſind anſtändiger, und einförmiger; alle ihre
Theater-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/133>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.