[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769]. Der Kanzler. Herbey, herbey! Was war das für ein Knall, in dem Zimmer der Königinn? Was geschieht hier? Essex. (mit der Pistole in der Hand) Grausa- mer Zufall! Die Königinn. Was ist das, Graf? Essex. Was soll ich thun? Die Königinn. Blanca, was ist das? Blanca. Mein Tod ist gewiß! Essex. Jn welcher Verwirrung befinde ich mich! Der Kanzler. Wie? der Graf ein Verrä- ther? Essex. (bey Seite) Wozu soll ich mich ent- schliessen? Schweige ich: so fällt das Verbrechen auf mich. Sage ich die Wahrheit: so werde ich der nichtswürdige Verkläger meiner Geliebten, meiner Blanca, meiner theuersten Blanca. Die Königinn. Sind Sie der Verräther, Graf? Bist du es, Blanca? Wer von euch war mein Retter? wer mein Mörder? Mich dünkt, ich hörte im Schlafe euch beide rufen: Verrätherinn! Verräther! Und doch kann nur eines von euch die- sen Namen verdienen. Wenn eines von euch mein Leben suchte, so bin ich es dem andern schuldig. Wem bin ich es schuldig, Graf? Wer suchte es, Blanca? Jhr schweigt? -- Wohl, schweigt nur! Jch will in dieser Ungewißheit bleiben; ich will den Unschuldigen nicht wissen, um den Schuldigen nicht zu
Der Kanzler. Herbey, herbey! Was war das für ein Knall, in dem Zimmer der Königinn? Was geſchieht hier? Eſſex. (mit der Piſtole in der Hand) Grauſa- mer Zufall! Die Königinn. Was iſt das, Graf? Eſſex. Was ſoll ich thun? Die Königinn. Blanca, was iſt das? Blanca. Mein Tod iſt gewiß! Eſſex. Jn welcher Verwirrung befinde ich mich! Der Kanzler. Wie? der Graf ein Verrä- ther? Eſſex. (bey Seite) Wozu ſoll ich mich ent- ſchlieſſen? Schweige ich: ſo fällt das Verbrechen auf mich. Sage ich die Wahrheit: ſo werde ich der nichtswürdige Verkläger meiner Geliebten, meiner Blanca, meiner theuerſten Blanca. Die Königinn. Sind Sie der Verräther, Graf? Biſt du es, Blanca? Wer von euch war mein Retter? wer mein Mörder? Mich dünkt, ich hörte im Schlafe euch beide rufen: Verrätherinn! Verräther! Und doch kann nur eines von euch die- ſen Namen verdienen. Wenn eines von euch mein Leben ſuchte, ſo bin ich es dem andern ſchuldig. Wem bin ich es ſchuldig, Graf? Wer ſuchte es, Blanca? Jhr ſchweigt? — Wohl, ſchweigt nur! Jch will in dieſer Ungewißheit bleiben; ich will den Unſchuldigen nicht wiſſen, um den Schuldigen nicht zu
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Der Kanzler. Herbey, herbey! Was war
das für ein Knall, in dem Zimmer der Königinn?
Was geſchieht hier?
Eſſex. (mit der Piſtole in der Hand) Grauſa-
mer Zufall!
Die Königinn. Was iſt das, Graf?
Eſſex. Was ſoll ich thun?
Die Königinn. Blanca, was iſt das?
Blanca. Mein Tod iſt gewiß!
Eſſex. Jn welcher Verwirrung befinde ich
mich!
Der Kanzler. Wie? der Graf ein Verrä-
ther?
Eſſex. (bey Seite) Wozu ſoll ich mich ent-
ſchlieſſen? Schweige ich: ſo fällt das Verbrechen
auf mich. Sage ich die Wahrheit: ſo werde ich
der nichtswürdige Verkläger meiner Geliebten,
meiner Blanca, meiner theuerſten Blanca.
Die Königinn. Sind Sie der Verräther,
Graf? Biſt du es, Blanca? Wer von euch war
mein Retter? wer mein Mörder? Mich dünkt, ich
hörte im Schlafe euch beide rufen: Verrätherinn!
Verräther! Und doch kann nur eines von euch die-
ſen Namen verdienen. Wenn eines von euch mein
Leben ſuchte, ſo bin ich es dem andern ſchuldig.
Wem bin ich es ſchuldig, Graf? Wer ſuchte es,
Blanca? Jhr ſchweigt? — Wohl, ſchweigt nur!
Jch will in dieſer Ungewißheit bleiben; ich will den
Unſchuldigen nicht wiſſen, um den Schuldigen nicht
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Zitationshilfe: | [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/108>, abgerufen am 16.02.2025. |