Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Chevrier hat mehr solche verkleinerliche ge-
heime Nachrichten. Eben dieser Abt, wie Che-
vrier wissen will, hat für die Favart gearbeitet.
Er hat die komische Oper, Annette und Lubin,
gemacht; und nicht Sie, die Aktrice, von der
er sagt, daß sie kaum lesen könne. Sein Be-
weis ist ein Gassenhauer, der in Paris darüber
herumgegangen; und es ist allerdings wahr,
daß die Gassenhauer in der französischen Ge-
schichte überhaupt unter die glaubwürdigsten
Dokumente gehören.

Warum ein Geistlicher ein sehr verliebtes
Singspiel unter fremdem Namen in die Welt
schicke, ließe sich endlich noch begreifen. Aber
warum er sich zu einer Cenie nicht bekennen wol-
le, der ich nicht viele Predigten vorziehen möchte,
ist schwerlich abzusehen. Dieser Abt hat ja sonst
mehr als ein Stück aufführen und drucken las-
sen, von welchen ihn jedermann als den Verfas-
ser kennet, und die der Cenie bey weiten nicht
gleich kommen. Wenn er einer Frau von vier
und funfzig Jahren eine Galanterie machen woll-
te, ist es wahrscheinlich, daß er es gerade mit
seinem besten Werke würde gethan haben? --

Den zwey und vierzigsten Abend (Montags,
den 13ten Julius,) ward die Frauenschule von
Moliere aufgeführt.

Moliere hatte bereits seine Männerschule ge-
macht, als er im Jahre 1662 diese Frauenschule

darauf

Chevrier hat mehr ſolche verkleinerliche ge-
heime Nachrichten. Eben dieſer Abt, wie Che-
vrier wiſſen will, hat für die Favart gearbeitet.
Er hat die komiſche Oper, Annette und Lubin,
gemacht; und nicht Sie, die Aktrice, von der
er ſagt, daß ſie kaum leſen könne. Sein Be-
weis iſt ein Gaſſenhauer, der in Paris darüber
herumgegangen; und es iſt allerdings wahr,
daß die Gaſſenhauer in der franzöſiſchen Ge-
ſchichte überhaupt unter die glaubwürdigſten
Dokumente gehören.

Warum ein Geiſtlicher ein ſehr verliebtes
Singſpiel unter fremdem Namen in die Welt
ſchicke, ließe ſich endlich noch begreifen. Aber
warum er ſich zu einer Cenie nicht bekennen wol-
le, der ich nicht viele Predigten vorziehen möchte,
iſt ſchwerlich abzuſehen. Dieſer Abt hat ja ſonſt
mehr als ein Stück aufführen und drucken laſ-
ſen, von welchen ihn jedermann als den Verfaſ-
ſer kennet, und die der Cenie bey weiten nicht
gleich kommen. Wenn er einer Frau von vier
und funfzig Jahren eine Galanterie machen woll-
te, iſt es wahrſcheinlich, daß er es gerade mit
ſeinem beſten Werke würde gethan haben? —

Den zwey und vierzigſten Abend (Montags,
den 13ten Julius,) ward die Frauenſchule von
Moliere aufgeführt.

Moliere hatte bereits ſeine Männerſchule ge-
macht, als er im Jahre 1662 dieſe Frauenſchule

darauf
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0010" n="4"/>
        <p>Chevrier hat mehr &#x017F;olche verkleinerliche ge-<lb/>
heime Nachrichten. Eben die&#x017F;er Abt, wie Che-<lb/>
vrier wi&#x017F;&#x017F;en will, hat für die Favart gearbeitet.<lb/>
Er hat die komi&#x017F;che Oper, Annette und Lubin,<lb/>
gemacht; und nicht Sie, die Aktrice, von der<lb/>
er &#x017F;agt, daß &#x017F;ie kaum le&#x017F;en könne. Sein Be-<lb/>
weis i&#x017F;t ein Ga&#x017F;&#x017F;enhauer, der in Paris darüber<lb/>
herumgegangen; und es i&#x017F;t allerdings wahr,<lb/>
daß die Ga&#x017F;&#x017F;enhauer in der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Ge-<lb/>
&#x017F;chichte überhaupt unter die glaubwürdig&#x017F;ten<lb/>
Dokumente gehören.</p><lb/>
        <p>Warum ein Gei&#x017F;tlicher ein &#x017F;ehr verliebtes<lb/>
Sing&#x017F;piel unter fremdem Namen in die Welt<lb/>
&#x017F;chicke, ließe &#x017F;ich endlich noch begreifen. Aber<lb/>
warum er &#x017F;ich zu einer Cenie nicht bekennen wol-<lb/>
le, der ich nicht viele Predigten vorziehen möchte,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chwerlich abzu&#x017F;ehen. Die&#x017F;er Abt hat ja &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
mehr als ein Stück aufführen und drucken la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, von welchen ihn jedermann als den Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er kennet, und die der Cenie bey weiten nicht<lb/>
gleich kommen. Wenn er einer Frau von vier<lb/>
und funfzig Jahren eine Galanterie machen woll-<lb/>
te, i&#x017F;t es wahr&#x017F;cheinlich, daß er es gerade mit<lb/>
&#x017F;einem be&#x017F;ten Werke würde gethan haben? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Den zwey und vierzig&#x017F;ten Abend (Montags,<lb/>
den 13ten Julius,) ward die Frauen&#x017F;chule von<lb/>
Moliere aufgeführt.</p><lb/>
        <p>Moliere hatte bereits &#x017F;eine Männer&#x017F;chule ge-<lb/>
macht, als er im Jahre 1662 die&#x017F;e Frauen&#x017F;chule<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">darauf</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0010] Chevrier hat mehr ſolche verkleinerliche ge- heime Nachrichten. Eben dieſer Abt, wie Che- vrier wiſſen will, hat für die Favart gearbeitet. Er hat die komiſche Oper, Annette und Lubin, gemacht; und nicht Sie, die Aktrice, von der er ſagt, daß ſie kaum leſen könne. Sein Be- weis iſt ein Gaſſenhauer, der in Paris darüber herumgegangen; und es iſt allerdings wahr, daß die Gaſſenhauer in der franzöſiſchen Ge- ſchichte überhaupt unter die glaubwürdigſten Dokumente gehören. Warum ein Geiſtlicher ein ſehr verliebtes Singſpiel unter fremdem Namen in die Welt ſchicke, ließe ſich endlich noch begreifen. Aber warum er ſich zu einer Cenie nicht bekennen wol- le, der ich nicht viele Predigten vorziehen möchte, iſt ſchwerlich abzuſehen. Dieſer Abt hat ja ſonſt mehr als ein Stück aufführen und drucken laſ- ſen, von welchen ihn jedermann als den Verfaſ- ſer kennet, und die der Cenie bey weiten nicht gleich kommen. Wenn er einer Frau von vier und funfzig Jahren eine Galanterie machen woll- te, iſt es wahrſcheinlich, daß er es gerade mit ſeinem beſten Werke würde gethan haben? — Den zwey und vierzigſten Abend (Montags, den 13ten Julius,) ward die Frauenſchule von Moliere aufgeführt. Moliere hatte bereits ſeine Männerſchule ge- macht, als er im Jahre 1662 dieſe Frauenſchule darauf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/10
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/10>, abgerufen am 24.11.2024.