Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

ten werden ihn jederzeit schätzbar machen, ob
man ihm schon andere absprechen muß, zu denen
er entweder gar keine Anlage hatte, oder die zu
ihrer Reife gewisse Jahre erfordern, weit unter
welchen er starb. Sein Codrus ward von den
Verfassern der Bibliothek der schönen Wissen-
schaften gekrönet, aber wahrlich nicht als ein
gutes Stück, sondern als das beste von denen,
die damals um den Preis stritten. Mein Urtheil
nimmt ihm also keine Ehre, die ihm die Kritik
damals ertheilet. Wenn Hinkende um die
Wette laufen, so bleibt der, welcher von ihnen
zuerst an das Ziel kömmt, doch noch ein Hin-
kender.

Eine Stelle in dem Epilog ist einer Mißdeu-
tung ausgesetzt gewesen, von der sie gerettet zu
werden verdienet. Der Dichter sagt:

"Bedenkt, daß unter uns die Kunst nur kaum
beginnt,
"In welcher tausend Quins, für einen Garrick
sind.

Quin, habe ich darwider erinnern hören, ist
kein schlechter Schauspieler gewesen. -- Nein,
gewiß nicht; er war Thomsons besonderer
Freund, und die Freundschaft, in der ein
Schauspieler mit einem Dichter, wie Thomson,
gestanden, wird bey der Nachwelt immer ein

gu-

ten werden ihn jederzeit ſchaͤtzbar machen, ob
man ihm ſchon andere abſprechen muß, zu denen
er entweder gar keine Anlage hatte, oder die zu
ihrer Reife gewiſſe Jahre erfordern, weit unter
welchen er ſtarb. Sein Codrus ward von den
Verfaſſern der Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſen-
ſchaften gekroͤnet, aber wahrlich nicht als ein
gutes Stuͤck, ſondern als das beſte von denen,
die damals um den Preis ſtritten. Mein Urtheil
nimmt ihm alſo keine Ehre, die ihm die Kritik
damals ertheilet. Wenn Hinkende um die
Wette laufen, ſo bleibt der, welcher von ihnen
zuerſt an das Ziel koͤmmt, doch noch ein Hin-
kender.

Eine Stelle in dem Epilog iſt einer Mißdeu-
tung ausgeſetzt geweſen, von der ſie gerettet zu
werden verdienet. Der Dichter ſagt:

〟Bedenkt, daß unter uns die Kunſt nur kaum
beginnt,
〟In welcher tauſend Quins, fuͤr einen Garrick
ſind.

Quin, habe ich darwider erinnern hoͤren, iſt
kein ſchlechter Schauſpieler geweſen. — Nein,
gewiß nicht; er war Thomſons beſonderer
Freund, und die Freundſchaft, in der ein
Schauſpieler mit einem Dichter, wie Thomſon,
geſtanden, wird bey der Nachwelt immer ein

gu-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066" n="52"/>
ten werden ihn jederzeit &#x017F;cha&#x0364;tzbar machen, ob<lb/>
man ihm &#x017F;chon andere ab&#x017F;prechen muß, zu denen<lb/>
er entweder gar keine Anlage hatte, oder die zu<lb/>
ihrer Reife gewi&#x017F;&#x017F;e Jahre erfordern, weit unter<lb/>
welchen er &#x017F;tarb. Sein Codrus ward von den<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ern der Bibliothek der &#x017F;cho&#x0364;nen Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften gekro&#x0364;net, aber wahrlich nicht als ein<lb/>
gutes Stu&#x0364;ck, &#x017F;ondern als das be&#x017F;te von denen,<lb/>
die damals um den Preis &#x017F;tritten. Mein Urtheil<lb/>
nimmt ihm al&#x017F;o keine Ehre, die ihm die Kritik<lb/>
damals ertheilet. Wenn Hinkende um die<lb/>
Wette laufen, &#x017F;o bleibt der, welcher von ihnen<lb/>
zuer&#x017F;t an das Ziel ko&#x0364;mmt, doch noch ein Hin-<lb/>
kender.</p><lb/>
        <p>Eine Stelle in dem Epilog i&#x017F;t einer Mißdeu-<lb/>
tung ausge&#x017F;etzt gewe&#x017F;en, von der &#x017F;ie gerettet zu<lb/>
werden verdienet. Der Dichter &#x017F;agt:</p><lb/>
        <cit>
          <quote>&#x301F;Bedenkt, daß unter uns die Kun&#x017F;t nur kaum<lb/><hi rendition="#et">beginnt,</hi><lb/>
&#x301F;In welcher tau&#x017F;end Quins, fu&#x0364;r einen Garrick<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ind.</hi></quote>
        </cit><lb/>
        <p>Quin, habe ich darwider erinnern ho&#x0364;ren, i&#x017F;t<lb/>
kein &#x017F;chlechter Schau&#x017F;pieler gewe&#x017F;en. &#x2014; Nein,<lb/>
gewiß nicht; er war Thom&#x017F;ons be&#x017F;onderer<lb/>
Freund, und die Freund&#x017F;chaft, in der ein<lb/>
Schau&#x017F;pieler mit einem Dichter, wie Thom&#x017F;on,<lb/>
ge&#x017F;tanden, wird bey der Nachwelt immer ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gu-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0066] ten werden ihn jederzeit ſchaͤtzbar machen, ob man ihm ſchon andere abſprechen muß, zu denen er entweder gar keine Anlage hatte, oder die zu ihrer Reife gewiſſe Jahre erfordern, weit unter welchen er ſtarb. Sein Codrus ward von den Verfaſſern der Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſen- ſchaften gekroͤnet, aber wahrlich nicht als ein gutes Stuͤck, ſondern als das beſte von denen, die damals um den Preis ſtritten. Mein Urtheil nimmt ihm alſo keine Ehre, die ihm die Kritik damals ertheilet. Wenn Hinkende um die Wette laufen, ſo bleibt der, welcher von ihnen zuerſt an das Ziel koͤmmt, doch noch ein Hin- kender. Eine Stelle in dem Epilog iſt einer Mißdeu- tung ausgeſetzt geweſen, von der ſie gerettet zu werden verdienet. Der Dichter ſagt: 〟Bedenkt, daß unter uns die Kunſt nur kaum beginnt, 〟In welcher tauſend Quins, fuͤr einen Garrick ſind. Quin, habe ich darwider erinnern hoͤren, iſt kein ſchlechter Schauſpieler geweſen. — Nein, gewiß nicht; er war Thomſons beſonderer Freund, und die Freundſchaft, in der ein Schauſpieler mit einem Dichter, wie Thomſon, geſtanden, wird bey der Nachwelt immer ein gu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/66
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/66>, abgerufen am 28.11.2024.