Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Personen, die eine Moschee beraubet haben,
zur Strafe ziehen, kömmt das wohl gegen die
unselige Raserey, welche das rechtgläubige Eu-
ropa entvölkerte, um das ungläubige Asien zu
verwüsten? Doch was der Tragicus in seinem
Werke sehr unschicklich angebracht hat, das
konnte der Dichter des Epilogs gar wohl auf-
fassen. Menschlichkeit und Sanftmuth verdie-
nen bey jeder Gelegenheit empfohlen zu werden,
und kein Anlaß dazu kann so entfernt seyn, den
wenigstens unser Herz nicht sehr natürlich und
dringend finden sollte.

Uebrigens stimme ich mit Vergnügen dem rüh-
renden Lobe bey, welches der Dichter dem seligen
Cronegk ertheilet. Aber ich werde mich schwer-
lich bereden lassen, daß er mit mir, über den poe-
tischen Werth des kritisirten Stückes, nicht eben-
falls einig seyn sollte. Ich bin sehr betroffen
gewesen, als man mich versichert, daß ich ver-
schiedene von meinen Lesern durch mein unver-
hohlnes Urtheil unwillig gemacht hätte. Wenn
ihnen bescheidene Freyheit, bey der sich durchaus
keine Nebenabsichten denken lassen, mißfällt, so
laufe ich Gefahr, sie noch oft unwillig zu machen.
Ich habe gar nicht die Absicht gehabt, ihnen die
Lesung eines Dichters zu verleiden, den unge-
künstelter Witz, viel feine Empfindung und die
lauterste Moral empfehlen. Diese Eigenschaf-

ten
G 2

Perſonen, die eine Moſchee beraubet haben,
zur Strafe ziehen, koͤmmt das wohl gegen die
unſelige Raſerey, welche das rechtglaͤubige Eu-
ropa entvoͤlkerte, um das unglaͤubige Aſien zu
verwuͤſten? Doch was der Tragicus in ſeinem
Werke ſehr unſchicklich angebracht hat, das
konnte der Dichter des Epilogs gar wohl auf-
faſſen. Menſchlichkeit und Sanftmuth verdie-
nen bey jeder Gelegenheit empfohlen zu werden,
und kein Anlaß dazu kann ſo entfernt ſeyn, den
wenigſtens unſer Herz nicht ſehr natuͤrlich und
dringend finden ſollte.

Uebrigens ſtimme ich mit Vergnuͤgen dem ruͤh-
renden Lobe bey, welches der Dichter dem ſeligen
Cronegk ertheilet. Aber ich werde mich ſchwer-
lich bereden laſſen, daß er mit mir, uͤber den poe-
tiſchen Werth des kritiſirten Stuͤckes, nicht eben-
falls einig ſeyn ſollte. Ich bin ſehr betroffen
geweſen, als man mich verſichert, daß ich ver-
ſchiedene von meinen Leſern durch mein unver-
hohlnes Urtheil unwillig gemacht haͤtte. Wenn
ihnen beſcheidene Freyheit, bey der ſich durchaus
keine Nebenabſichten denken laſſen, mißfaͤllt, ſo
laufe ich Gefahr, ſie noch oft unwillig zu machen.
Ich habe gar nicht die Abſicht gehabt, ihnen die
Leſung eines Dichters zu verleiden, den unge-
kuͤnſtelter Witz, viel feine Empfindung und die
lauterſte Moral empfehlen. Dieſe Eigenſchaf-

ten
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0065" n="51"/>
Per&#x017F;onen, die eine Mo&#x017F;chee beraubet haben,<lb/>
zur Strafe ziehen, ko&#x0364;mmt das wohl gegen die<lb/>
un&#x017F;elige Ra&#x017F;erey, welche das rechtgla&#x0364;ubige Eu-<lb/>
ropa entvo&#x0364;lkerte, um das ungla&#x0364;ubige A&#x017F;ien zu<lb/>
verwu&#x0364;&#x017F;ten? Doch was der Tragicus in &#x017F;einem<lb/>
Werke &#x017F;ehr un&#x017F;chicklich angebracht hat, das<lb/>
konnte der Dichter des Epilogs gar wohl auf-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en. Men&#x017F;chlichkeit und Sanftmuth verdie-<lb/>
nen bey jeder Gelegenheit empfohlen zu werden,<lb/>
und kein Anlaß dazu kann &#x017F;o entfernt &#x017F;eyn, den<lb/>
wenig&#x017F;tens un&#x017F;er Herz nicht &#x017F;ehr natu&#x0364;rlich und<lb/>
dringend finden &#x017F;ollte.</p><lb/>
        <p>Uebrigens &#x017F;timme ich mit Vergnu&#x0364;gen dem ru&#x0364;h-<lb/>
renden Lobe bey, welches der Dichter dem &#x017F;eligen<lb/>
Cronegk ertheilet. Aber ich werde mich &#x017F;chwer-<lb/>
lich bereden la&#x017F;&#x017F;en, daß er mit mir, u&#x0364;ber den poe-<lb/>
ti&#x017F;chen Werth des kriti&#x017F;irten Stu&#x0364;ckes, nicht eben-<lb/>
falls einig &#x017F;eyn &#x017F;ollte. Ich bin &#x017F;ehr betroffen<lb/>
gewe&#x017F;en, als man mich ver&#x017F;ichert, daß ich ver-<lb/>
&#x017F;chiedene von meinen Le&#x017F;ern durch mein unver-<lb/>
hohlnes Urtheil unwillig gemacht ha&#x0364;tte. Wenn<lb/>
ihnen be&#x017F;cheidene Freyheit, bey der &#x017F;ich durchaus<lb/>
keine Nebenab&#x017F;ichten denken la&#x017F;&#x017F;en, mißfa&#x0364;llt, &#x017F;o<lb/>
laufe ich Gefahr, &#x017F;ie noch oft unwillig zu machen.<lb/>
Ich habe gar nicht die Ab&#x017F;icht gehabt, ihnen die<lb/>
Le&#x017F;ung eines Dichters zu verleiden, den unge-<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;telter Witz, viel feine Empfindung und die<lb/>
lauter&#x017F;te Moral empfehlen. Die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaf-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0065] Perſonen, die eine Moſchee beraubet haben, zur Strafe ziehen, koͤmmt das wohl gegen die unſelige Raſerey, welche das rechtglaͤubige Eu- ropa entvoͤlkerte, um das unglaͤubige Aſien zu verwuͤſten? Doch was der Tragicus in ſeinem Werke ſehr unſchicklich angebracht hat, das konnte der Dichter des Epilogs gar wohl auf- faſſen. Menſchlichkeit und Sanftmuth verdie- nen bey jeder Gelegenheit empfohlen zu werden, und kein Anlaß dazu kann ſo entfernt ſeyn, den wenigſtens unſer Herz nicht ſehr natuͤrlich und dringend finden ſollte. Uebrigens ſtimme ich mit Vergnuͤgen dem ruͤh- renden Lobe bey, welches der Dichter dem ſeligen Cronegk ertheilet. Aber ich werde mich ſchwer- lich bereden laſſen, daß er mit mir, uͤber den poe- tiſchen Werth des kritiſirten Stuͤckes, nicht eben- falls einig ſeyn ſollte. Ich bin ſehr betroffen geweſen, als man mich verſichert, daß ich ver- ſchiedene von meinen Leſern durch mein unver- hohlnes Urtheil unwillig gemacht haͤtte. Wenn ihnen beſcheidene Freyheit, bey der ſich durchaus keine Nebenabſichten denken laſſen, mißfaͤllt, ſo laufe ich Gefahr, ſie noch oft unwillig zu machen. Ich habe gar nicht die Abſicht gehabt, ihnen die Leſung eines Dichters zu verleiden, den unge- kuͤnſtelter Witz, viel feine Empfindung und die lauterſte Moral empfehlen. Dieſe Eigenſchaf- ten G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/65
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/65>, abgerufen am 30.11.2024.