gewesen. Aber es von dem Olint verlangen, Gegenliebe von ihm, mit dem Messer an der Gurgel, fodern, das ist so unartig als lächerlich.
Doch was hätte es geholfen, den Dichter einen Augenblick länger in den Schranken des Wohlstandes und der Mäßigung zu erhalten? Er fährt fort, Clorinden in dem wahren Tone einer besoffenen Marquetenderinn rasen zu lassen; und da findet keine Linderung, keine Bemänte- lung mehr Statt.
Das einzige, was die Schauspielerinn zu sei- nem Besten noch thun könnte, wäre vielleicht dieses, wenn sie sich von seinem wilden Feuer nicht so ganz hinreissen liesse, wenn sie ein wenig an sich hielte, wenn sie die äußerste Wuth nicht mit der äußersten Anstrengung der Stimme, nicht mit den gewaltsamsten Gebehrden aus- drückte.
Wenn Shakespear nicht ein eben so großer Schauspieler in der Ausübung gewesen ist, als er ein dramatischer Dichter war, so hat er doch wenigstens eben so gut gewußt, was zu der Kunst des einen, als was zu der Kunst des an- dern gehöret. Ja vielleicht hatte er über die Kunst des erstern um so viel tiefer nachgedacht, weil er so viel weniger Genie dazu hatte. We- nigstens ist jedes Wort, das er dem Hamlet, wenn er die Komödianten abrichtet, in den Mund legt, eine goldene Regel für alle Schau-
spieler,
E 2
geweſen. Aber es von dem Olint verlangen, Gegenliebe von ihm, mit dem Meſſer an der Gurgel, fodern, das iſt ſo unartig als laͤcherlich.
Doch was haͤtte es geholfen, den Dichter einen Augenblick laͤnger in den Schranken des Wohlſtandes und der Maͤßigung zu erhalten? Er faͤhrt fort, Clorinden in dem wahren Tone einer beſoffenen Marquetenderinn raſen zu laſſen; und da findet keine Linderung, keine Bemaͤnte- lung mehr Statt.
Das einzige, was die Schauſpielerinn zu ſei- nem Beſten noch thun koͤnnte, waͤre vielleicht dieſes, wenn ſie ſich von ſeinem wilden Feuer nicht ſo ganz hinreiſſen lieſſe, wenn ſie ein wenig an ſich hielte, wenn ſie die aͤußerſte Wuth nicht mit der aͤußerſten Anſtrengung der Stimme, nicht mit den gewaltſamſten Gebehrden aus- druͤckte.
Wenn Shakeſpear nicht ein eben ſo großer Schauſpieler in der Ausuͤbung geweſen iſt, als er ein dramatiſcher Dichter war, ſo hat er doch wenigſtens eben ſo gut gewußt, was zu der Kunſt des einen, als was zu der Kunſt des an- dern gehoͤret. Ja vielleicht hatte er uͤber die Kunſt des erſtern um ſo viel tiefer nachgedacht, weil er ſo viel weniger Genie dazu hatte. We- nigſtens iſt jedes Wort, das er dem Hamlet, wenn er die Komoͤdianten abrichtet, in den Mund legt, eine goldene Regel fuͤr alle Schau-
ſpieler,
E 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0049"n="35"/>
geweſen. Aber es von dem Olint verlangen,<lb/>
Gegenliebe von ihm, mit dem Meſſer an der<lb/>
Gurgel, fodern, das iſt ſo unartig als laͤcherlich.</p><lb/><p>Doch was haͤtte es geholfen, den Dichter<lb/>
einen Augenblick laͤnger in den Schranken des<lb/>
Wohlſtandes und der Maͤßigung zu erhalten?<lb/>
Er faͤhrt fort, Clorinden in dem wahren Tone<lb/>
einer beſoffenen Marquetenderinn raſen zu laſſen;<lb/>
und da findet keine Linderung, keine Bemaͤnte-<lb/>
lung mehr Statt.</p><lb/><p>Das einzige, was die Schauſpielerinn zu ſei-<lb/>
nem Beſten noch thun koͤnnte, waͤre vielleicht<lb/>
dieſes, wenn ſie ſich von ſeinem wilden Feuer<lb/>
nicht ſo ganz hinreiſſen lieſſe, wenn ſie ein wenig<lb/>
an ſich hielte, wenn ſie die aͤußerſte Wuth nicht<lb/>
mit der aͤußerſten Anſtrengung der Stimme,<lb/>
nicht mit den gewaltſamſten Gebehrden aus-<lb/>
druͤckte.</p><lb/><p>Wenn Shakeſpear nicht ein eben ſo großer<lb/>
Schauſpieler in der Ausuͤbung geweſen iſt, als<lb/>
er ein dramatiſcher Dichter war, ſo hat er doch<lb/>
wenigſtens eben ſo gut gewußt, was zu der<lb/>
Kunſt des einen, als was zu der Kunſt des an-<lb/>
dern gehoͤret. Ja vielleicht hatte er uͤber die<lb/>
Kunſt des erſtern um ſo viel tiefer nachgedacht,<lb/>
weil er ſo viel weniger Genie dazu hatte. We-<lb/>
nigſtens iſt jedes Wort, das er dem Hamlet,<lb/>
wenn er die Komoͤdianten abrichtet, in den<lb/>
Mund legt, eine goldene Regel fuͤr alle Schau-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſpieler,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[35/0049]
geweſen. Aber es von dem Olint verlangen,
Gegenliebe von ihm, mit dem Meſſer an der
Gurgel, fodern, das iſt ſo unartig als laͤcherlich.
Doch was haͤtte es geholfen, den Dichter
einen Augenblick laͤnger in den Schranken des
Wohlſtandes und der Maͤßigung zu erhalten?
Er faͤhrt fort, Clorinden in dem wahren Tone
einer beſoffenen Marquetenderinn raſen zu laſſen;
und da findet keine Linderung, keine Bemaͤnte-
lung mehr Statt.
Das einzige, was die Schauſpielerinn zu ſei-
nem Beſten noch thun koͤnnte, waͤre vielleicht
dieſes, wenn ſie ſich von ſeinem wilden Feuer
nicht ſo ganz hinreiſſen lieſſe, wenn ſie ein wenig
an ſich hielte, wenn ſie die aͤußerſte Wuth nicht
mit der aͤußerſten Anſtrengung der Stimme,
nicht mit den gewaltſamſten Gebehrden aus-
druͤckte.
Wenn Shakeſpear nicht ein eben ſo großer
Schauſpieler in der Ausuͤbung geweſen iſt, als
er ein dramatiſcher Dichter war, ſo hat er doch
wenigſtens eben ſo gut gewußt, was zu der
Kunſt des einen, als was zu der Kunſt des an-
dern gehoͤret. Ja vielleicht hatte er uͤber die
Kunſt des erſtern um ſo viel tiefer nachgedacht,
weil er ſo viel weniger Genie dazu hatte. We-
nigſtens iſt jedes Wort, das er dem Hamlet,
wenn er die Komoͤdianten abrichtet, in den
Mund legt, eine goldene Regel fuͤr alle Schau-
ſpieler,
E 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/49>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.