Cronegk hat wahrlich aus seiner Clorinde ein sehr abgeschmacktes, widerwärtiges, häßliches Ding gemacht. Und dem ohngeachtet ist sie noch der einzige Charakter, der uns bey ihm in- tereßiret. So sehr er die schöne Natur in ihr verfehlt, so thut doch noch die plumpe, unge- schlachte Natur einige Wirkung. Das macht, weil die übrigen Charaktere ganz außer aller Natur sind, und wir doch noch leichter mit einem Dragoner von Weibe, als mit himmelbrütenden Schwärmern sympathisiren. Nur gegen das Ende, wo sie mit in den begeisterten Ton fällt, wird sie uns eben so gleichgültig und eckel. Alles ist Widerspruch in ihr, und immer springt sie von einem Aeußersten auf das andere. Kaum hat sie ihre Liebe erklärt, so fügt sie hinzu:
"Wirst du mein Herz verschmähn? Du schweigst? -- Entschliesse dich; "Und wenn du zweifeln kannst -- so zittre!
So zittre? Olint soll zittern? er, den sie so oft, in dem Tumulte der Schlacht, unerschrocken unter den Streichen des Todes gesehen? Und soll vor ihr zittern? Was will sie denn? Will sie ihm die Augen auskratzen? -- O wenn es der Schauspielerinn eingefallen wäre, für diese un- gezogene weibliche Gasconade "so zittre!" zu sagen: ich zittere! Sie konnte zittern, so viel sie wollte, ihre Liebe verschmäht, ihren Stolz beleidiget zu finden. Das wäre sehr natürlich
gewe-
Cronegk hat wahrlich aus ſeiner Clorinde ein ſehr abgeſchmacktes, widerwaͤrtiges, haͤßliches Ding gemacht. Und dem ohngeachtet iſt ſie noch der einzige Charakter, der uns bey ihm in- tereßiret. So ſehr er die ſchoͤne Natur in ihr verfehlt, ſo thut doch noch die plumpe, unge- ſchlachte Natur einige Wirkung. Das macht, weil die uͤbrigen Charaktere ganz außer aller Natur ſind, und wir doch noch leichter mit einem Dragoner von Weibe, als mit himmelbruͤtenden Schwaͤrmern ſympathiſiren. Nur gegen das Ende, wo ſie mit in den begeiſterten Ton faͤllt, wird ſie uns eben ſo gleichguͤltig und eckel. Alles iſt Widerſpruch in ihr, und immer ſpringt ſie von einem Aeußerſten auf das andere. Kaum hat ſie ihre Liebe erklaͤrt, ſo fuͤgt ſie hinzu:
〟Wirſt du mein Herz verſchmaͤhn? Du ſchweigſt? — Entſchlieſſe dich; 〟Und wenn du zweifeln kannſt — ſo zittre!
So zittre? Olint ſoll zittern? er, den ſie ſo oft, in dem Tumulte der Schlacht, unerſchrocken unter den Streichen des Todes geſehen? Und ſoll vor ihr zittern? Was will ſie denn? Will ſie ihm die Augen auskratzen? — O wenn es der Schauſpielerinn eingefallen waͤre, fuͤr dieſe un- gezogene weibliche Gaſconade 〟ſo zittre!〟 zu ſagen: ich zittere! Sie konnte zittern, ſo viel ſie wollte, ihre Liebe verſchmaͤht, ihren Stolz beleidiget zu finden. Das waͤre ſehr natuͤrlich
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Cronegk hat wahrlich aus ſeiner Clorinde ein
ſehr abgeſchmacktes, widerwaͤrtiges, haͤßliches
Ding gemacht. Und dem ohngeachtet iſt ſie
noch der einzige Charakter, der uns bey ihm in-
tereßiret. So ſehr er die ſchoͤne Natur in ihr
verfehlt, ſo thut doch noch die plumpe, unge-
ſchlachte Natur einige Wirkung. Das macht,
weil die uͤbrigen Charaktere ganz außer aller
Natur ſind, und wir doch noch leichter mit einem
Dragoner von Weibe, als mit himmelbruͤtenden
Schwaͤrmern ſympathiſiren. Nur gegen das
Ende, wo ſie mit in den begeiſterten Ton faͤllt,
wird ſie uns eben ſo gleichguͤltig und eckel. Alles
iſt Widerſpruch in ihr, und immer ſpringt ſie
von einem Aeußerſten auf das andere. Kaum
hat ſie ihre Liebe erklaͤrt, ſo fuͤgt ſie hinzu:
〟Wirſt du mein Herz verſchmaͤhn? Du ſchweigſt? —
Entſchlieſſe dich;
〟Und wenn du zweifeln kannſt — ſo zittre!
So zittre? Olint ſoll zittern? er, den ſie ſo oft,
in dem Tumulte der Schlacht, unerſchrocken
unter den Streichen des Todes geſehen? Und
ſoll vor ihr zittern? Was will ſie denn? Will
ſie ihm die Augen auskratzen? — O wenn es der
Schauſpielerinn eingefallen waͤre, fuͤr dieſe un-
gezogene weibliche Gaſconade 〟ſo zittre!〟 zu
ſagen: ich zittere! Sie konnte zittern, ſo viel
ſie wollte, ihre Liebe verſchmaͤht, ihren Stolz
beleidiget zu finden. Das waͤre ſehr natuͤrlich
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/48>, abgerufen am 27.11.2024.
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