tyrannisiret seine unschuldige Juliane auf das unwürdigste, und hat recht seine Lust sie zu quä- len. Grämlich, so oft er sich sehen läßt, spöt- tisch bey den Thränen seiner gekränkten Frau, argwöhnisch bey ihren Liebkosungen, boshaft genug, ihre unschuldigsten Reden und Hand- lungen durch eine falsche Wendung zu ihrem Nachtheile auszulegen, eifersüchtig, hart, un- empfindlich, und, wie sie sich leicht einbilden können, in seiner Frauen Kammermädchen ver- liebt. -- Ein solcher Mann ist gar zu verderbt, als daß wir ihm eine schleunige Besserung zu- trauen könnten. Der Dichter giebt ihm eine Nebenrolle, in welcher sich die Falten seines nichtswürdigen Herzens nicht genug entwickeln können. Er tobt, und weder Juliane noch die Leser wissen recht, was er will. Eben so wenig hat der Dichter Raum gehabt, seine Besserung gehörig vorzubereiten und zu veran- stalten. Er mußte sich begnügen, dieses gleich- sam im Vorbeygehen zu thun, weil die Haupt- handlung mit Nikander und Philinten zu schaf- fen hatte. Kathrine, dieses edelmüthige Kam- mermädchen der Juliane, das Agenor verfolgt hatte, sagt gar recht am Ende des Lustspiels: Die geschwindesten Bekehrungen sind nicht alle- mal die aufrichtigsten! Wenigstens so lange die- ses Mädchen im Hause ist, möchte ich nicht für die Aufrichtigkeit stehen."
Ich
tyranniſiret ſeine unſchuldige Juliane auf das unwuͤrdigſte, und hat recht ſeine Luſt ſie zu quaͤ- len. Graͤmlich, ſo oft er ſich ſehen laͤßt, ſpoͤt- tiſch bey den Thraͤnen ſeiner gekraͤnkten Frau, argwoͤhniſch bey ihren Liebkoſungen, boshaft genug, ihre unſchuldigſten Reden und Hand- lungen durch eine falſche Wendung zu ihrem Nachtheile auszulegen, eiferſuͤchtig, hart, un- empfindlich, und, wie ſie ſich leicht einbilden koͤnnen, in ſeiner Frauen Kammermaͤdchen ver- liebt. — Ein ſolcher Mann iſt gar zu verderbt, als daß wir ihm eine ſchleunige Beſſerung zu- trauen koͤnnten. Der Dichter giebt ihm eine Nebenrolle, in welcher ſich die Falten ſeines nichtswuͤrdigen Herzens nicht genug entwickeln koͤnnen. Er tobt, und weder Juliane noch die Leſer wiſſen recht, was er will. Eben ſo wenig hat der Dichter Raum gehabt, ſeine Beſſerung gehoͤrig vorzubereiten und zu veran- ſtalten. Er mußte ſich begnuͤgen, dieſes gleich- ſam im Vorbeygehen zu thun, weil die Haupt- handlung mit Nikander und Philinten zu ſchaf- fen hatte. Kathrine, dieſes edelmuͤthige Kam- mermaͤdchen der Juliane, das Agenor verfolgt hatte, ſagt gar recht am Ende des Luſtſpiels: Die geſchwindeſten Bekehrungen ſind nicht alle- mal die aufrichtigſten! Wenigſtens ſo lange die- ſes Maͤdchen im Hauſe iſt, moͤchte ich nicht fuͤr die Aufrichtigkeit ſtehen.〟
Ich
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tyranniſiret ſeine unſchuldige Juliane auf das
unwuͤrdigſte, und hat recht ſeine Luſt ſie zu quaͤ-
len. Graͤmlich, ſo oft er ſich ſehen laͤßt, ſpoͤt-
tiſch bey den Thraͤnen ſeiner gekraͤnkten Frau,
argwoͤhniſch bey ihren Liebkoſungen, boshaft
genug, ihre unſchuldigſten Reden und Hand-
lungen durch eine falſche Wendung zu ihrem
Nachtheile auszulegen, eiferſuͤchtig, hart, un-
empfindlich, und, wie ſie ſich leicht einbilden
koͤnnen, in ſeiner Frauen Kammermaͤdchen ver-
liebt. — Ein ſolcher Mann iſt gar zu verderbt,
als daß wir ihm eine ſchleunige Beſſerung zu-
trauen koͤnnten. Der Dichter giebt ihm eine
Nebenrolle, in welcher ſich die Falten ſeines
nichtswuͤrdigen Herzens nicht genug entwickeln
koͤnnen. Er tobt, und weder Juliane noch
die Leſer wiſſen recht, was er will. Eben ſo
wenig hat der Dichter Raum gehabt, ſeine
Beſſerung gehoͤrig vorzubereiten und zu veran-
ſtalten. Er mußte ſich begnuͤgen, dieſes gleich-
ſam im Vorbeygehen zu thun, weil die Haupt-
handlung mit Nikander und Philinten zu ſchaf-
fen hatte. Kathrine, dieſes edelmuͤthige Kam-
mermaͤdchen der Juliane, das Agenor verfolgt
hatte, ſagt gar recht am Ende des Luſtſpiels:
Die geſchwindeſten Bekehrungen ſind nicht alle-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/428>, abgerufen am 24.11.2024.
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