wieder aufspringt, und tobet, und wüthet, und die blutigste schrecklichste Rache an ihm zu voll- ziehen drohet, und wirklich vollziehen würde, wenn er sich eben unter ihren Händen befände: ist eben dieses Ideal, nur in dem Stande einer gewaltsamen Handlung, in welchem es an Aus- druck und Kraft gewinnet, was es an Schön- heit und Rührung verlohren hat. Aber Me- rope, die sich zu dieser Rache Zeit nimmt, An- stalten dazu vorkehret, Feyerlichkeiten dazu an- ordnet, und selbst die Henkerinn seyn, nicht tödten sondern martern, nicht strafen sondern ihre Augen an der Strafe weiden will: ist das auch noch eine Mutter? Freylich wohl; aber eine Mutter, wie wir sie uns unter den Kani- balinnen denken; eine Mutter, wie es jede Bärinn ist. -- Diese Handlung der Merope gefalle wem da will; mir sage er es nur nicht, daß sie ihm gefällt, wenn ich ihn nicht eben so sehr verachten, als verabscheuen soll.
Vielleicht dürfte der Herr von Voltaire auch dieses zu einem Fehler des Stoffes machen; viel- leicht dürfte er sagen, Merope müsse ja wohl den Aegisth mit eigner Hand umbringen wollen, oder der ganze Coup de Theatre, den Aristo- teles so sehr anpreise, der die empfindlichen Athe- nienser ehedem so sehr entzückt habe, falle weg. Aber der Herr von Voltaire würde sich wieder- um irren, und die willkührlichen Abweichungen
des
wieder aufſpringt, und tobet, und wuͤthet, und die blutigſte ſchrecklichſte Rache an ihm zu voll- ziehen drohet, und wirklich vollziehen wuͤrde, wenn er ſich eben unter ihren Haͤnden befaͤnde: iſt eben dieſes Ideal, nur in dem Stande einer gewaltſamen Handlung, in welchem es an Aus- druck und Kraft gewinnet, was es an Schoͤn- heit und Ruͤhrung verlohren hat. Aber Me- rope, die ſich zu dieſer Rache Zeit nimmt, An- ſtalten dazu vorkehret, Feyerlichkeiten dazu an- ordnet, und ſelbſt die Henkerinn ſeyn, nicht toͤdten ſondern martern, nicht ſtrafen ſondern ihre Augen an der Strafe weiden will: iſt das auch noch eine Mutter? Freylich wohl; aber eine Mutter, wie wir ſie uns unter den Kani- balinnen denken; eine Mutter, wie es jede Baͤrinn iſt. — Dieſe Handlung der Merope gefalle wem da will; mir ſage er es nur nicht, daß ſie ihm gefaͤllt, wenn ich ihn nicht eben ſo ſehr verachten, als verabſcheuen ſoll.
Vielleicht duͤrfte der Herr von Voltaire auch dieſes zu einem Fehler des Stoffes machen; viel- leicht duͤrfte er ſagen, Merope muͤſſe ja wohl den Aegisth mit eigner Hand umbringen wollen, oder der ganze Coup de Théatre, den Ariſto- teles ſo ſehr anpreiſe, der die empfindlichen Athe- nienſer ehedem ſo ſehr entzuͤckt habe, falle weg. Aber der Herr von Voltaire wuͤrde ſich wieder- um irren, und die willkuͤhrlichen Abweichungen
des
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wieder aufſpringt, und tobet, und wuͤthet, und
die blutigſte ſchrecklichſte Rache an ihm zu voll-
ziehen drohet, und wirklich vollziehen wuͤrde,
wenn er ſich eben unter ihren Haͤnden befaͤnde:
iſt eben dieſes Ideal, nur in dem Stande einer
gewaltſamen Handlung, in welchem es an Aus-
druck und Kraft gewinnet, was es an Schoͤn-
heit und Ruͤhrung verlohren hat. Aber Me-
rope, die ſich zu dieſer Rache Zeit nimmt, An-
ſtalten dazu vorkehret, Feyerlichkeiten dazu an-
ordnet, und ſelbſt die Henkerinn ſeyn, nicht
toͤdten ſondern martern, nicht ſtrafen ſondern
ihre Augen an der Strafe weiden will: iſt das
auch noch eine Mutter? Freylich wohl; aber
eine Mutter, wie wir ſie uns unter den Kani-
balinnen denken; eine Mutter, wie es jede
Baͤrinn iſt. — Dieſe Handlung der Merope
gefalle wem da will; mir ſage er es nur nicht,
daß ſie ihm gefaͤllt, wenn ich ihn nicht eben ſo
ſehr verachten, als verabſcheuen ſoll.
Vielleicht duͤrfte der Herr von Voltaire auch
dieſes zu einem Fehler des Stoffes machen; viel-
leicht duͤrfte er ſagen, Merope muͤſſe ja wohl den
Aegisth mit eigner Hand umbringen wollen,
oder der ganze Coup de Théatre, den Ariſto-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/384>, abgerufen am 25.11.2024.
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