rathen will. Als ob der Voltairische das nicht auch wollte! Voltaire antwortet ihm daher: "Weder Maffei, noch ich, haben die Ursachen "dringend genug gemacht, warum Polyphont "durchaus Meropen zu seiner Gemahlinn ver- "langt. Das ist vielleicht ein Fehler des Stof- "fes; aber ich bekenne Ihnen, daß ich einen sol- "chen Fehler für sehr gering halte, wenn das "Interesse, welches er hervor bringt, beträcht- "lich ist." Nein, der Fehler liegt nicht in dem Stoffe. Denn in diesem Umstande eben hat Maffei den Stoff verändert. Was brauchte Voltaire diese Veränderung anzunehmen, wenn er seinen Vortheil nicht dabey sahe? --
Der Punkte sind mehrere, bey welchen Vol- taire eine ähnliche Rücksicht auf sich selbst hätte nehmen können: aber welcher Vater sieht alle Fehler seines Kindes? Der Fremde, dem sie in die Augen fallen, braucht darum gar nicht scharf- sichtiger zu seyn, als der Vater; genug, daß er nicht der Vater ist. Gesetzt also, ich wäre die- ser Fremde!
Lindelle wirft dem Maffei vor, daß er seine Scenen oft nicht verbinde, daß er das Theater oft leer lasse, daß seine Personen oft ohne Ursache aufträten und abgiengen; alles wesentliche Feh- ler, die man heut zu Tage auch dem armselig- sten Poeten nicht mehr verzeihe. -- Wesentliche Fehler dieses? Doch das ist die Sprache der
fran-
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rathen will. Als ob der Voltairiſche das nicht auch wollte! Voltaire antwortet ihm daher: 〟Weder Maffei, noch ich, haben die Urſachen 〟dringend genug gemacht, warum Polyphont 〟durchaus Meropen zu ſeiner Gemahlinn ver- 〟langt. Das iſt vielleicht ein Fehler des Stof- 〟fes; aber ich bekenne Ihnen, daß ich einen ſol- 〟chen Fehler fuͤr ſehr gering halte, wenn das 〟Intereſſe, welches er hervor bringt, betraͤcht- 〟lich iſt.〟 Nein, der Fehler liegt nicht in dem Stoffe. Denn in dieſem Umſtande eben hat Maffei den Stoff veraͤndert. Was brauchte Voltaire dieſe Veraͤnderung anzunehmen, wenn er ſeinen Vortheil nicht dabey ſahe? —
Der Punkte ſind mehrere, bey welchen Vol- taire eine aͤhnliche Ruͤckſicht auf ſich ſelbſt haͤtte nehmen koͤnnen: aber welcher Vater ſieht alle Fehler ſeines Kindes? Der Fremde, dem ſie in die Augen fallen, braucht darum gar nicht ſcharf- ſichtiger zu ſeyn, als der Vater; genug, daß er nicht der Vater iſt. Geſetzt alſo, ich waͤre die- ſer Fremde!
Lindelle wirft dem Maffei vor, daß er ſeine Scenen oft nicht verbinde, daß er das Theater oft leer laſſe, daß ſeine Perſonen oft ohne Urſache auftraͤten und abgiengen; alles weſentliche Feh- ler, die man heut zu Tage auch dem armſelig- ſten Poeten nicht mehr verzeihe. — Weſentliche Fehler dieſes? Doch das iſt die Sprache der
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rathen will. Als ob der Voltairiſche das nicht
auch wollte! Voltaire antwortet ihm daher:
〟Weder Maffei, noch ich, haben die Urſachen
〟dringend genug gemacht, warum Polyphont
〟durchaus Meropen zu ſeiner Gemahlinn ver-
〟langt. Das iſt vielleicht ein Fehler des Stof-
〟fes; aber ich bekenne Ihnen, daß ich einen ſol-
〟chen Fehler fuͤr ſehr gering halte, wenn das
〟Intereſſe, welches er hervor bringt, betraͤcht-
〟lich iſt.〟 Nein, der Fehler liegt nicht in dem
Stoffe. Denn in dieſem Umſtande eben hat
Maffei den Stoff veraͤndert. Was brauchte
Voltaire dieſe Veraͤnderung anzunehmen, wenn
er ſeinen Vortheil nicht dabey ſahe? —
Der Punkte ſind mehrere, bey welchen Vol-
taire eine aͤhnliche Ruͤckſicht auf ſich ſelbſt haͤtte
nehmen koͤnnen: aber welcher Vater ſieht alle
Fehler ſeines Kindes? Der Fremde, dem ſie in
die Augen fallen, braucht darum gar nicht ſcharf-
ſichtiger zu ſeyn, als der Vater; genug, daß
er nicht der Vater iſt. Geſetzt alſo, ich waͤre die-
ſer Fremde!
Lindelle wirft dem Maffei vor, daß er ſeine
Scenen oft nicht verbinde, daß er das Theater
oft leer laſſe, daß ſeine Perſonen oft ohne Urſache
auftraͤten und abgiengen; alles weſentliche Feh-
ler, die man heut zu Tage auch dem armſelig-
ſten Poeten nicht mehr verzeihe. — Weſentliche
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/361>, abgerufen am 23.11.2024.
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