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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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lassen, sobald man will, gut nachmacht: so
wird dadurch unfehlbar seine Seele ein dunkles
Gefühl von Zorn befallen, welches wiederum in
den Körper zurückwirkt, und da auch diejenigen
Veränderungen hervorbringt, die nicht blos von
unserm Willen abhangen; sein Gesicht wird
glühen, seine Augen werden blitzen, seine
Muskeln werden schwellen; kurz, er wird ein
wahrer Zorniger zu seyn scheinen, ohne es zu
seyn, ohne im geringsten zu begreifen, warum
er es seyn sollte.

Nach diesen Grundsätzen von der Empfindung
überhaupt, habe ich mir zu bestimmen gesucht,
welche äußerliche Merkmale diejenige Empfin-
dung begleiten, mit der moralische Betrachtun-
gen wollen gesprochen seyn, und welche von die-
sen Merkmalen in unserer Gewalt sind, so daß
sie jeder Akteur, er mag die Empfindung selbst
haben, oder nicht, darstellen kann. Mich dünkt
Folgendes.

Jede Moral ist ein allgemeiner Satz, der,
als solcher, einen Grad von Sammlung der
Seele und ruhiger Ueberlegung verlangt. Er
will also mit Gelassenheit und einer gewissen
Kälte gesagt seyn.

Allein dieser allgemeine Satz ist zugleich das
Resultat von Eindrücken, welche individuelle
Umstände auf die handelnden Personen machen;
er ist kein bloßer symbolischer Schluß; er ist eine

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laſſen, ſobald man will, gut nachmacht: ſo
wird dadurch unfehlbar ſeine Seele ein dunkles
Gefuͤhl von Zorn befallen, welches wiederum in
den Koͤrper zuruͤckwirkt, und da auch diejenigen
Veraͤnderungen hervorbringt, die nicht blos von
unſerm Willen abhangen; ſein Geſicht wird
gluͤhen, ſeine Augen werden blitzen, ſeine
Muſkeln werden ſchwellen; kurz, er wird ein
wahrer Zorniger zu ſeyn ſcheinen, ohne es zu
ſeyn, ohne im geringſten zu begreifen, warum
er es ſeyn ſollte.

Nach dieſen Grundſaͤtzen von der Empfindung
uͤberhaupt, habe ich mir zu beſtimmen geſucht,
welche aͤußerliche Merkmale diejenige Empfin-
dung begleiten, mit der moraliſche Betrachtun-
gen wollen geſprochen ſeyn, und welche von die-
ſen Merkmalen in unſerer Gewalt ſind, ſo daß
ſie jeder Akteur, er mag die Empfindung ſelbſt
haben, oder nicht, darſtellen kann. Mich duͤnkt
Folgendes.

Jede Moral iſt ein allgemeiner Satz, der,
als ſolcher, einen Grad von Sammlung der
Seele und ruhiger Ueberlegung verlangt. Er
will alſo mit Gelaſſenheit und einer gewiſſen
Kaͤlte geſagt ſeyn.

Allein dieſer allgemeine Satz iſt zugleich das
Reſultat von Eindruͤcken, welche individuelle
Umſtaͤnde auf die handelnden Perſonen machen;
er iſt kein bloßer ſymboliſcher Schluß; er iſt eine

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[21/0035] laſſen, ſobald man will, gut nachmacht: ſo wird dadurch unfehlbar ſeine Seele ein dunkles Gefuͤhl von Zorn befallen, welches wiederum in den Koͤrper zuruͤckwirkt, und da auch diejenigen Veraͤnderungen hervorbringt, die nicht blos von unſerm Willen abhangen; ſein Geſicht wird gluͤhen, ſeine Augen werden blitzen, ſeine Muſkeln werden ſchwellen; kurz, er wird ein wahrer Zorniger zu ſeyn ſcheinen, ohne es zu ſeyn, ohne im geringſten zu begreifen, warum er es ſeyn ſollte. Nach dieſen Grundſaͤtzen von der Empfindung uͤberhaupt, habe ich mir zu beſtimmen geſucht, welche aͤußerliche Merkmale diejenige Empfin- dung begleiten, mit der moraliſche Betrachtun- gen wollen geſprochen ſeyn, und welche von die- ſen Merkmalen in unſerer Gewalt ſind, ſo daß ſie jeder Akteur, er mag die Empfindung ſelbſt haben, oder nicht, darſtellen kann. Mich duͤnkt Folgendes. Jede Moral iſt ein allgemeiner Satz, der, als ſolcher, einen Grad von Sammlung der Seele und ruhiger Ueberlegung verlangt. Er will alſo mit Gelaſſenheit und einer gewiſſen Kaͤlte geſagt ſeyn. Allein dieſer allgemeine Satz iſt zugleich das Reſultat von Eindruͤcken, welche individuelle Umſtaͤnde auf die handelnden Perſonen machen; er iſt kein bloßer ſymboliſcher Schluß; er iſt eine ge- C 3

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/35>, abgerufen am 21.11.2024.