theile hat Maffei sich mit dem begnügt, was ihm sein Stoff von selbst anbot, ohne die geringste Kunst dabey anzuwenden; sein Dialog ist ohne alle Wahrscheinlichkeit, ohne allen Anstand und Würde; da ist so viel Kleines und Kriechendes, das kaum in einem Possenspiele, in der Bude des Harlekins zu dulden wäre; alles wimmelt von Ungereimtheiten und Schulschnitzern. "Mit "einem Worte, schließt er, das Werk des Maf- "fei enthält einen schönen Stoff, ist aber ein sehr "elendes Stück. Alle Welt kömmt in Paris "darinn überein, daß man die Vorstellung des- "selben nicht würde haben aushalten können; "und in Italien selbst wird von verständigen "Leuten sehr wenig daraus gemacht. Verge- "bens hat der Verfasser auf seinen Reisen die "elendesten Schriftsteller in Sold genommen, "seine Tragödie zu übersetzen; er konnte leichter "einen Uebersetzer bezahlen, als sein Stück ver- "bessern."
So wie es selten Komplimente giebt, ohne alle Lügen, so finden sich auch selten Grobheiten ohne alle Wahrheit. Lindelle hat in vielen Stücken wider den Maffei Recht, und möchte er doch höflich oder grob seyn, wenn er sich be- gnügte, ihn blos zu tadeln. Aber er will ihn unter die Füße treten, vernichten, und gehet mit ihm so blind als treulos zu Werke. Er schämt sich nicht, offenbare Lügen zu sagen, au-
gen-
theile hat Maffei ſich mit dem begnuͤgt, was ihm ſein Stoff von ſelbſt anbot, ohne die geringſte Kunſt dabey anzuwenden; ſein Dialog iſt ohne alle Wahrſcheinlichkeit, ohne allen Anſtand und Wuͤrde; da iſt ſo viel Kleines und Kriechendes, das kaum in einem Poſſenſpiele, in der Bude des Harlekins zu dulden waͤre; alles wimmelt von Ungereimtheiten und Schulſchnitzern. 〟Mit 〟einem Worte, ſchließt er, das Werk des Maf- 〟fei enthaͤlt einen ſchoͤnen Stoff, iſt aber ein ſehr 〟elendes Stuͤck. Alle Welt koͤmmt in Paris 〟darinn uͤberein, daß man die Vorſtellung deſ- 〟ſelben nicht wuͤrde haben aushalten koͤnnen; 〟und in Italien ſelbſt wird von verſtaͤndigen 〟Leuten ſehr wenig daraus gemacht. Verge- 〟bens hat der Verfaſſer auf ſeinen Reiſen die 〟elendeſten Schriftſteller in Sold genommen, 〟ſeine Tragoͤdie zu uͤberſetzen; er konnte leichter 〟einen Ueberſetzer bezahlen, als ſein Stuͤck ver- 〟beſſern.〟
So wie es ſelten Komplimente giebt, ohne alle Luͤgen, ſo finden ſich auch ſelten Grobheiten ohne alle Wahrheit. Lindelle hat in vielen Stuͤcken wider den Maffei Recht, und moͤchte er doch hoͤflich oder grob ſeyn, wenn er ſich be- gnuͤgte, ihn blos zu tadeln. Aber er will ihn unter die Fuͤße treten, vernichten, und gehet mit ihm ſo blind als treulos zu Werke. Er ſchaͤmt ſich nicht, offenbare Luͤgen zu ſagen, au-
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theile hat Maffei ſich mit dem begnuͤgt, was ihm
ſein Stoff von ſelbſt anbot, ohne die geringſte
Kunſt dabey anzuwenden; ſein Dialog iſt ohne
alle Wahrſcheinlichkeit, ohne allen Anſtand und
Wuͤrde; da iſt ſo viel Kleines und Kriechendes,
das kaum in einem Poſſenſpiele, in der Bude
des Harlekins zu dulden waͤre; alles wimmelt
von Ungereimtheiten und Schulſchnitzern. 〟Mit
〟einem Worte, ſchließt er, das Werk des Maf-
〟fei enthaͤlt einen ſchoͤnen Stoff, iſt aber ein ſehr
〟elendes Stuͤck. Alle Welt koͤmmt in Paris
〟darinn uͤberein, daß man die Vorſtellung deſ-
〟ſelben nicht wuͤrde haben aushalten koͤnnen;
〟und in Italien ſelbſt wird von verſtaͤndigen
〟Leuten ſehr wenig daraus gemacht. Verge-
〟bens hat der Verfaſſer auf ſeinen Reiſen die
〟elendeſten Schriftſteller in Sold genommen,
〟ſeine Tragoͤdie zu uͤberſetzen; er konnte leichter
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〟beſſern.〟
So wie es ſelten Komplimente giebt, ohne
alle Luͤgen, ſo finden ſich auch ſelten Grobheiten
ohne alle Wahrheit. Lindelle hat in vielen
Stuͤcken wider den Maffei Recht, und moͤchte
er doch hoͤflich oder grob ſeyn, wenn er ſich be-
gnuͤgte, ihn blos zu tadeln. Aber er will ihn
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/349>, abgerufen am 25.11.2024.
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