Ring bestärket, den man bey dem Aegisth gefunden, u. von dem ihr gesagt wird, daß ihn Aegisth dem Erschla- genen abgenommen habe. Es ist dieses der Siegelring ihres Gemahls, den sie dem Polydor mitgegeben hatte, um ihn ihrem Sohne einzuhändigen, wenn er erwach- sen, und es Zeit seyn würde, ihm seinen Stand zu ent- decken. Sogleich läßt sie den Jüngling, für den sie vor- her selbst gebeten, an eine Säule binden, und will ihm das Herz mit eigner Hand durchstossen. Der Jüngling erinnert sich in diesem Augenblicke seiner Aeltern; ihm entfährt der Name Messene; er gedenkt des Verbots seines Vaters, diesen Ort sorgfältig zu vermeiden; Merope verlangt hierüber Erklärung: indem kömmt der König dazu, und der Jüngling wird befreyet. So nahe Merope der Erkennung ihres Irrthums war, so tief verfällt sie wiederum darein zurück, als sie siehet, wie höhnisch der König über ihre Verzweiflung trium- phirt. Nun ist Aegisth unfehlbar der Mörder ihres Sohnes, u. nichts soll ihn vor ihrer Rache schützen. Sie erfährt mit einbrechender Nacht, daß er in dem Vor- saale sey, wo er eingeschlafen, u. kömmt mit einer Axt, ihn den Kopf zu spalten; und schon hat sie die Axt zu dem Streiche erhoben, als ihr Polydor, der sich kurz zuvor in eben den Vorsaal eingeschlichen, und den schlafen- den Aegisth erkannt hatte, in die Arme fällt. Aegisth er- wacht und fliehet, und Polydor entdeckt Meropen ihren eigenen Sohn in dem vermeinten Mörder ihres Soh- nes. Sie will ihm nach, und würde ihn leicht durch ihre stürmische Zärtlichkeit dem Tyrannen entdeckt haben, wenn sie der Alte nicht auch hiervon zurück gehalten hätte. Mit frühem Morgen soll ihre Vermählung mit dem Könige vollzogen werden; sie muß zu dem Altare, aber sie will eher sterben, als ihre Einwilligung erthei- len. Indeß hat Polydor auch den Aegisth sich kennen ge- lehrt; Aegisth eilet in den Tempel, drenget sich durch das Volk, und -- das Uebrige wie bey dem Hyginus.
Ham-
Ring beſtaͤrket, den man bey dem Aegisth gefunden, u. von dem ihr geſagt wird, daß ihn Aegisth dem Erſchla- genen abgenommen habe. Es iſt dieſes der Siegelring ihres Gemahls, den ſie dem Polydor mitgegeben hatte, um ihn ihrem Sohne einzuhaͤndigen, wenn er erwach- ſen, und es Zeit ſeyn wuͤrde, ihm ſeinen Stand zu ent- decken. Sogleich laͤßt ſie den Juͤngling, fuͤr den ſie vor- her ſelbſt gebeten, an eine Saͤule binden, und will ihm das Herz mit eigner Hand durchſtoſſen. Der Juͤngling erinnert ſich in dieſem Augenblicke ſeiner Aeltern; ihm entfaͤhrt der Name Meſſene; er gedenkt des Verbots ſeines Vaters, dieſen Ort ſorgfaͤltig zu vermeiden; Merope verlangt hieruͤber Erklaͤrung: indem koͤmmt der Koͤnig dazu, und der Juͤngling wird befreyet. So nahe Merope der Erkennung ihres Irrthums war, ſo tief verfaͤllt ſie wiederum darein zuruͤck, als ſie ſiehet, wie hoͤhniſch der Koͤnig uͤber ihre Verzweiflung trium- phirt. Nun iſt Aegisth unfehlbar der Moͤrder ihres Sohnes, u. nichts ſoll ihn vor ihrer Rache ſchuͤtzen. Sie erfaͤhrt mit einbrechender Nacht, daß er in dem Vor- ſaale ſey, wo er eingeſchlafen, u. koͤm̃t mit einer Axt, ihn den Kopf zu ſpalten; und ſchon hat ſie die Axt zu dem Streiche erhoben, als ihr Polydor, der ſich kurz zuvor in eben den Vorſaal eingeſchlichen, und den ſchlafen- den Aegisth erkañt hatte, in die Arme faͤllt. Aegisth er- wacht und fliehet, und Polydor entdeckt Meropen ihren eigenen Sohn in dem vermeinten Moͤrder ihres Soh- nes. Sie will ihm nach, und wuͤrde ihn leicht durch ihre ſtuͤrmiſche Zaͤrtlichkeit dem Tyrannen entdeckt haben, wenn ſie der Alte nicht auch hiervon zuruͤck gehalten haͤtte. Mit fruͤhem Morgen ſoll ihre Vermaͤhlung mit dem Koͤnige vollzogen werden; ſie muß zu dem Altare, aber ſie will eher ſterben, als ihre Einwilligung erthei- len. Indeß hat Polydor auch den Aegisth ſich keñen ge- lehrt; Aegisth eilet in den Tempel, drenget ſich durch das Volk, und — das Uebrige wie bey dem Hyginus.
Ham-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0334"n="320"/>
Ring beſtaͤrket, den man bey dem Aegisth gefunden, u.<lb/>
von dem ihr geſagt wird, daß ihn Aegisth dem Erſchla-<lb/>
genen abgenommen habe. Es iſt dieſes der Siegelring<lb/>
ihres Gemahls, den ſie dem Polydor mitgegeben hatte,<lb/>
um ihn ihrem Sohne einzuhaͤndigen, wenn er erwach-<lb/>ſen, und es Zeit ſeyn wuͤrde, ihm ſeinen Stand zu ent-<lb/>
decken. Sogleich laͤßt ſie den Juͤngling, fuͤr den ſie vor-<lb/>
her ſelbſt gebeten, an eine Saͤule binden, und will ihm<lb/>
das Herz mit eigner Hand durchſtoſſen. Der Juͤngling<lb/>
erinnert ſich in dieſem Augenblicke ſeiner Aeltern; ihm<lb/>
entfaͤhrt der Name Meſſene; er gedenkt des Verbots<lb/>ſeines Vaters, dieſen Ort ſorgfaͤltig zu vermeiden;<lb/>
Merope verlangt hieruͤber Erklaͤrung: indem koͤmmt<lb/>
der Koͤnig dazu, und der Juͤngling wird befreyet. So<lb/>
nahe Merope der Erkennung ihres Irrthums war, ſo<lb/>
tief verfaͤllt ſie wiederum darein zuruͤck, als ſie ſiehet,<lb/>
wie hoͤhniſch der Koͤnig uͤber ihre Verzweiflung trium-<lb/>
phirt. Nun iſt Aegisth unfehlbar der Moͤrder ihres<lb/>
Sohnes, u. nichts ſoll ihn vor ihrer Rache ſchuͤtzen. Sie<lb/>
erfaͤhrt mit einbrechender Nacht, daß er in dem Vor-<lb/>ſaale ſey, wo er eingeſchlafen, u. koͤm̃t mit einer Axt, ihn<lb/>
den Kopf zu ſpalten; und ſchon hat ſie die Axt zu dem<lb/>
Streiche erhoben, als ihr Polydor, der ſich kurz zuvor<lb/>
in eben den Vorſaal eingeſchlichen, und den ſchlafen-<lb/>
den Aegisth erkañt hatte, in die Arme faͤllt. Aegisth er-<lb/>
wacht und fliehet, und Polydor entdeckt Meropen ihren<lb/>
eigenen Sohn in dem vermeinten Moͤrder ihres Soh-<lb/>
nes. Sie will ihm nach, und wuͤrde ihn leicht durch ihre<lb/>ſtuͤrmiſche Zaͤrtlichkeit dem Tyrannen entdeckt haben,<lb/>
wenn ſie der Alte nicht auch hiervon zuruͤck gehalten<lb/>
haͤtte. Mit fruͤhem Morgen ſoll ihre Vermaͤhlung mit<lb/>
dem Koͤnige vollzogen werden; ſie muß zu dem Altare,<lb/>
aber ſie will eher ſterben, als ihre Einwilligung erthei-<lb/>
len. Indeß hat Polydor auch den Aegisth ſich keñen ge-<lb/>
lehrt; Aegisth eilet in den Tempel, drenget ſich durch<lb/>
das Volk, und — das Uebrige wie bey dem Hyginus.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#b">Ham-</hi></fw><lb/></body></text></TEI>
[320/0334]
Ring beſtaͤrket, den man bey dem Aegisth gefunden, u.
von dem ihr geſagt wird, daß ihn Aegisth dem Erſchla-
genen abgenommen habe. Es iſt dieſes der Siegelring
ihres Gemahls, den ſie dem Polydor mitgegeben hatte,
um ihn ihrem Sohne einzuhaͤndigen, wenn er erwach-
ſen, und es Zeit ſeyn wuͤrde, ihm ſeinen Stand zu ent-
decken. Sogleich laͤßt ſie den Juͤngling, fuͤr den ſie vor-
her ſelbſt gebeten, an eine Saͤule binden, und will ihm
das Herz mit eigner Hand durchſtoſſen. Der Juͤngling
erinnert ſich in dieſem Augenblicke ſeiner Aeltern; ihm
entfaͤhrt der Name Meſſene; er gedenkt des Verbots
ſeines Vaters, dieſen Ort ſorgfaͤltig zu vermeiden;
Merope verlangt hieruͤber Erklaͤrung: indem koͤmmt
der Koͤnig dazu, und der Juͤngling wird befreyet. So
nahe Merope der Erkennung ihres Irrthums war, ſo
tief verfaͤllt ſie wiederum darein zuruͤck, als ſie ſiehet,
wie hoͤhniſch der Koͤnig uͤber ihre Verzweiflung trium-
phirt. Nun iſt Aegisth unfehlbar der Moͤrder ihres
Sohnes, u. nichts ſoll ihn vor ihrer Rache ſchuͤtzen. Sie
erfaͤhrt mit einbrechender Nacht, daß er in dem Vor-
ſaale ſey, wo er eingeſchlafen, u. koͤm̃t mit einer Axt, ihn
den Kopf zu ſpalten; und ſchon hat ſie die Axt zu dem
Streiche erhoben, als ihr Polydor, der ſich kurz zuvor
in eben den Vorſaal eingeſchlichen, und den ſchlafen-
den Aegisth erkañt hatte, in die Arme faͤllt. Aegisth er-
wacht und fliehet, und Polydor entdeckt Meropen ihren
eigenen Sohn in dem vermeinten Moͤrder ihres Soh-
nes. Sie will ihm nach, und wuͤrde ihn leicht durch ihre
ſtuͤrmiſche Zaͤrtlichkeit dem Tyrannen entdeckt haben,
wenn ſie der Alte nicht auch hiervon zuruͤck gehalten
haͤtte. Mit fruͤhem Morgen ſoll ihre Vermaͤhlung mit
dem Koͤnige vollzogen werden; ſie muß zu dem Altare,
aber ſie will eher ſterben, als ihre Einwilligung erthei-
len. Indeß hat Polydor auch den Aegisth ſich keñen ge-
lehrt; Aegisth eilet in den Tempel, drenget ſich durch
das Volk, und — das Uebrige wie bey dem Hyginus.
Ham-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/334>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.