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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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diese Erkennung, wenn diese Rache des jüngern
Sohnes der vornehmste Inhalt gewesen: wie
konnte das Stück Kresphontes heissen? Kresphon-
tes war der Name des Vaters; der Sohn aber
hieß nach einigen Aepytus, und nach andern
Telephontes; vielleicht, daß jenes der rechte,
und dieses der angenommene Name war, den
er in der Fremde führte, um unerkannt und vor
den Nachstellungen des Polyphonts sicher zu
bleiben. Der Vater muß längst todt seyn,
wenn sich der Sohn des väterlichen Reiches wie-
der bemächtiget. Hat man jemals gehört, daß
ein Trauerspiel nach einer Person benennet wor-
den, die gar nicht darinn vorkömmt? Corneille
und Dacier haben sich geschwind über diese
Schwierigkeit hinweg zu setzen gewußt, indem
sie angenommen, daß der Sohn gleichfalls
Kresphont geheissen; (*) aber mit welcher Wahr-
scheinlichkeit? aus welchem Grunde?

Wenn es indeß mit einer Entdeckung seine
Richtigkeit hat, mit der sich Maffei schmeichelte:
so können wir den Plan des Kresphontes ziemlich
genau wissen. Er glaubte ihn nehmlich bey dem
Hyginus, in der hundert und vier und achtzig-

sten
(*) Remarque 22. sur le Chapitre XV.
de la Poet. d'Arist. Une Mere, qui
va tuer son fils, comme Merope va tuer
Cresphonte &c.

dieſe Erkennung, wenn dieſe Rache des juͤngern
Sohnes der vornehmſte Inhalt geweſen: wie
konnte das Stuͤck Kreſphontes heiſſen? Kreſphon-
tes war der Name des Vaters; der Sohn aber
hieß nach einigen Aepytus, und nach andern
Telephontes; vielleicht, daß jenes der rechte,
und dieſes der angenommene Name war, den
er in der Fremde fuͤhrte, um unerkannt und vor
den Nachſtellungen des Polyphonts ſicher zu
bleiben. Der Vater muß laͤngſt todt ſeyn,
wenn ſich der Sohn des vaͤterlichen Reiches wie-
der bemaͤchtiget. Hat man jemals gehoͤrt, daß
ein Trauerſpiel nach einer Perſon benennet wor-
den, die gar nicht darinn vorkoͤmmt? Corneille
und Dacier haben ſich geſchwind uͤber dieſe
Schwierigkeit hinweg zu ſetzen gewußt, indem
ſie angenommen, daß der Sohn gleichfalls
Kreſphont geheiſſen; (*) aber mit welcher Wahr-
ſcheinlichkeit? aus welchem Grunde?

Wenn es indeß mit einer Entdeckung ſeine
Richtigkeit hat, mit der ſich Maffei ſchmeichelte:
ſo koͤnnen wir den Plan des Kreſphontes ziemlich
genau wiſſen. Er glaubte ihn nehmlich bey dem
Hyginus, in der hundert und vier und achtzig-

ſten
(*) Remarque 22. ſur le Chapitre XV.
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va tuer ſon fils, comme Merope va tuer
Creſphonte &c.
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[310/0324] dieſe Erkennung, wenn dieſe Rache des juͤngern Sohnes der vornehmſte Inhalt geweſen: wie konnte das Stuͤck Kreſphontes heiſſen? Kreſphon- tes war der Name des Vaters; der Sohn aber hieß nach einigen Aepytus, und nach andern Telephontes; vielleicht, daß jenes der rechte, und dieſes der angenommene Name war, den er in der Fremde fuͤhrte, um unerkannt und vor den Nachſtellungen des Polyphonts ſicher zu bleiben. Der Vater muß laͤngſt todt ſeyn, wenn ſich der Sohn des vaͤterlichen Reiches wie- der bemaͤchtiget. Hat man jemals gehoͤrt, daß ein Trauerſpiel nach einer Perſon benennet wor- den, die gar nicht darinn vorkoͤmmt? Corneille und Dacier haben ſich geſchwind uͤber dieſe Schwierigkeit hinweg zu ſetzen gewußt, indem ſie angenommen, daß der Sohn gleichfalls Kreſphont geheiſſen; (*) aber mit welcher Wahr- ſcheinlichkeit? aus welchem Grunde? Wenn es indeß mit einer Entdeckung ſeine Richtigkeit hat, mit der ſich Maffei ſchmeichelte: ſo koͤnnen wir den Plan des Kreſphontes ziemlich genau wiſſen. Er glaubte ihn nehmlich bey dem Hyginus, in der hundert und vier und achtzig- ſten (*) Remarque 22. ſur le Chapitre XV. de la Poet. d’Ariſt. Une Mere, qui va tuer ſon fils, comme Merope va tuer Creſphonte &c.

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/324>, abgerufen am 22.11.2024.