mal so häßlich erklärt, als es wirklich ist; und der Dichter hat nur zu wählen, ob er von uns lieber für ein Giftmischer oder für einen Blödsin- nigen will gehalten seyn. So wäre es dem Fa- vart, so wäre es seinen Charakteren des Soli- manns und der Roxelane ergangen; und das empfand Favart. Aber da er diese Charaktere nicht von Anfang ändern konnte, ohne sich eine Menge Theaterspiele zu verderben, die er so voll- kommen nach dem Geschmacke seines Parterrs zu seyn urtheilte, so blieb ihn nichts zu thun übrig, als was er that. Nun freuen wir uns, uns an nichts vergnügt zu haben, was wir nicht auch hochachten könnten; und zugleich befriediget diese Hochachtung unsere Neugierde und Besorgniß wegen der Zukunft. Denn da die Illusion des Drama weit stärker ist, als einer bloßen Erzeh- lung, so interessiren uns auch die Personen in jenem weit mehr, als in dieser, und wir begnü- gen uns nicht, ihr Schicksal bloß für den gegen- wärtigen Augenblick entschieden zu sehen, son- dern wir wollen uns auf immer desfalls zufrieden gestellet wissen.
Ham-
mal ſo haͤßlich erklaͤrt, als es wirklich iſt; und der Dichter hat nur zu waͤhlen, ob er von uns lieber fuͤr ein Giftmiſcher oder fuͤr einen Bloͤdſin- nigen will gehalten ſeyn. So waͤre es dem Fa- vart, ſo waͤre es ſeinen Charakteren des Soli- manns und der Roxelane ergangen; und das empfand Favart. Aber da er dieſe Charaktere nicht von Anfang aͤndern konnte, ohne ſich eine Menge Theaterſpiele zu verderben, die er ſo voll- kommen nach dem Geſchmacke ſeines Parterrs zu ſeyn urtheilte, ſo blieb ihn nichts zu thun uͤbrig, als was er that. Nun freuen wir uns, uns an nichts vergnuͤgt zu haben, was wir nicht auch hochachten koͤnnten; und zugleich befriediget dieſe Hochachtung unſere Neugierde und Beſorgniß wegen der Zukunft. Denn da die Illuſion des Drama weit ſtaͤrker iſt, als einer bloßen Erzeh- lung, ſo intereſſiren uns auch die Perſonen in jenem weit mehr, als in dieſer, und wir begnuͤ- gen uns nicht, ihr Schickſal bloß fuͤr den gegen- waͤrtigen Augenblick entſchieden zu ſehen, ſon- dern wir wollen uns auf immer desfalls zufrieden geſtellet wiſſen.
Ham-
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mal ſo haͤßlich erklaͤrt, als es wirklich iſt; und
der Dichter hat nur zu waͤhlen, ob er von uns
lieber fuͤr ein Giftmiſcher oder fuͤr einen Bloͤdſin-
nigen will gehalten ſeyn. So waͤre es dem Fa-
vart, ſo waͤre es ſeinen Charakteren des Soli-
manns und der Roxelane ergangen; und das
empfand Favart. Aber da er dieſe Charaktere
nicht von Anfang aͤndern konnte, ohne ſich eine
Menge Theaterſpiele zu verderben, die er ſo voll-
kommen nach dem Geſchmacke ſeines Parterrs zu
ſeyn urtheilte, ſo blieb ihn nichts zu thun uͤbrig,
als was er that. Nun freuen wir uns, uns an
nichts vergnuͤgt zu haben, was wir nicht auch
hochachten koͤnnten; und zugleich befriediget dieſe
Hochachtung unſere Neugierde und Beſorgniß
wegen der Zukunft. Denn da die Illuſion des
Drama weit ſtaͤrker iſt, als einer bloßen Erzeh-
lung, ſo intereſſiren uns auch die Perſonen in
jenem weit mehr, als in dieſer, und wir begnuͤ-
gen uns nicht, ihr Schickſal bloß fuͤr den gegen-
waͤrtigen Augenblick entſchieden zu ſehen, ſon-
dern wir wollen uns auf immer desfalls zufrieden
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/294>, abgerufen am 25.11.2024.
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