Hamburgische Dramaturgie. Fünf und dreyßigstes Stück.
Den 28sten August, 1767.
Der letztere Zug, muß man wissen, gehört dem Favart ganz allein; Marmontel hat sich ihn nicht erlaubt. Auch ist der erstere bey diesem feiner, als bey jenem. Denn beym Favart giebt Roxelane das Tuch, welches der Sultan ihr gegeben, weg; sie scheinet es der Delia lieber zu gönnen, als sich selbst; sie schei- net es zu verschmähen: das ist Beleidigung. Beym Marmontel hingegen läßt sich Roxelane das Tuch von dem Sultan geben, und giebt es der Delia in seinem Namen; sie beuget damit einer Gunstbezeigung nur vor, die sie selbst noch nicht anzunehmen Willens ist, und das mit der uneigennützigsten, gutherzigsten Mine: der Sul- tan kann sich über nichts beschweren, als daß sie seine Gesinnungen so schlecht erräth, oder nicht besser errathen will.
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Hamburgiſche Dramaturgie. Fuͤnf und dreyßigſtes Stuͤck.
Den 28ſten Auguſt, 1767.
Der letztere Zug, muß man wiſſen, gehoͤrt dem Favart ganz allein; Marmontel hat ſich ihn nicht erlaubt. Auch iſt der erſtere bey dieſem feiner, als bey jenem. Denn beym Favart giebt Roxelane das Tuch, welches der Sultan ihr gegeben, weg; ſie ſcheinet es der Delia lieber zu goͤnnen, als ſich ſelbſt; ſie ſchei- net es zu verſchmaͤhen: das iſt Beleidigung. Beym Marmontel hingegen laͤßt ſich Roxelane das Tuch von dem Sultan geben, und giebt es der Delia in ſeinem Namen; ſie beuget damit einer Gunſtbezeigung nur vor, die ſie ſelbſt noch nicht anzunehmen Willens iſt, und das mit der uneigennuͤtzigſten, gutherzigſten Mine: der Sul- tan kann ſich uͤber nichts beſchweren, als daß ſie ſeine Geſinnungen ſo ſchlecht erraͤth, oder nicht beſſer errathen will.
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Hamburgiſche
Dramaturgie.
Fuͤnf und dreyßigſtes Stuͤck.
Den 28ſten Auguſt, 1767.
Der letztere Zug, muß man wiſſen, gehoͤrt
dem Favart ganz allein; Marmontel hat
ſich ihn nicht erlaubt. Auch iſt der erſtere
bey dieſem feiner, als bey jenem. Denn beym
Favart giebt Roxelane das Tuch, welches der
Sultan ihr gegeben, weg; ſie ſcheinet es der
Delia lieber zu goͤnnen, als ſich ſelbſt; ſie ſchei-
net es zu verſchmaͤhen: das iſt Beleidigung.
Beym Marmontel hingegen laͤßt ſich Roxelane
das Tuch von dem Sultan geben, und giebt es
der Delia in ſeinem Namen; ſie beuget damit
einer Gunſtbezeigung nur vor, die ſie ſelbſt noch
nicht anzunehmen Willens iſt, und das mit der
uneigennuͤtzigſten, gutherzigſten Mine: der Sul-
tan kann ſich uͤber nichts beſchweren, als daß ſie
ſeine Geſinnungen ſo ſchlecht erraͤth, oder nicht
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [273]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/287>, abgerufen am 03.12.2024.
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