Ein Türk und Despot muß, auch wenn er ver- liebt ist, noch Türk und Despot seyn. Dem Türken, der nur die sinnliche Liebe kennt, müs- sen keine von den Raffinements beyfallen, die eine verwöhnte Europäische Einbildungskraft damit verbindet. "Ich bin dieser liebkosenden "Maschinen satt; ihre weiche Gelehrigkeit hat "nichts anzügliches, nichts schmeichelhaftes; ich "will Schwierigkeiten zu überwinden haben, "und wenn ich sie überwunden habe, durch neue "Schwierigkeiten in Athem erhalten seyn:" so kann ein König von Frankreich denken, aber kein Sultan. Es ist wahr, wenn man einem Sultan diese Denkungsart einmal giebt, so kömmt der Despot nicht mehr in Betrachtung; er entäußert sich seines Despotismus selbst, um einer freyern Liebe zu geniessen; aber wird er deßwegen auf einmal der zahme Affe seyn, den eine dreiste Gaucklerinn kann tanzen lassen, wie sie will? Marmontel sagt: Solimann war ein zu großer Mann, als daß er die kleinen Angele- genheiten seines Serraglio auf den Fuß wichtiger Staatsgeschäfte hätte treiben sollen. Sehr wohl; aber so hätte er auch am Ende wichtige Staatsgeschäfte nicht auf den Fuß der kleinen Angelegenheiten seines Serraglio treiben müs- sen. Denn zu einem großen Manne gehört bei- des: Kleinigkeiten als Kleinigkeiten, und wich- tige Dinge als wichtige Dinge zu behandeln.
Er
Ein Tuͤrk und Deſpot muß, auch wenn er ver- liebt iſt, noch Tuͤrk und Deſpot ſeyn. Dem Tuͤrken, der nur die ſinnliche Liebe kennt, muͤſ- ſen keine von den Raffinements beyfallen, die eine verwoͤhnte Europaͤiſche Einbildungskraft damit verbindet. 〟Ich bin dieſer liebkoſenden 〟Maſchinen ſatt; ihre weiche Gelehrigkeit hat 〟nichts anzuͤgliches, nichts ſchmeichelhaftes; ich 〟will Schwierigkeiten zu uͤberwinden haben, 〟und wenn ich ſie uͤberwunden habe, durch neue 〟Schwierigkeiten in Athem erhalten ſeyn:〟 ſo kann ein Koͤnig von Frankreich denken, aber kein Sultan. Es iſt wahr, wenn man einem Sultan dieſe Denkungsart einmal giebt, ſo koͤmmt der Deſpot nicht mehr in Betrachtung; er entaͤußert ſich ſeines Deſpotismus ſelbſt, um einer freyern Liebe zu genieſſen; aber wird er deßwegen auf einmal der zahme Affe ſeyn, den eine dreiſte Gaucklerinn kann tanzen laſſen, wie ſie will? Marmontel ſagt: Solimann war ein zu großer Mann, als daß er die kleinen Angele- genheiten ſeines Serraglio auf den Fuß wichtiger Staatsgeſchaͤfte haͤtte treiben ſollen. Sehr wohl; aber ſo haͤtte er auch am Ende wichtige Staatsgeſchaͤfte nicht auf den Fuß der kleinen Angelegenheiten ſeines Serraglio treiben muͤſ- ſen. Denn zu einem großen Manne gehoͤrt bei- des: Kleinigkeiten als Kleinigkeiten, und wich- tige Dinge als wichtige Dinge zu behandeln.
Er
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0282"n="268"/>
Ein Tuͤrk und Deſpot muß, auch wenn er ver-<lb/>
liebt iſt, noch Tuͤrk und Deſpot ſeyn. Dem<lb/>
Tuͤrken, der nur die ſinnliche Liebe kennt, muͤſ-<lb/>ſen keine von den Raffinements beyfallen, die<lb/>
eine verwoͤhnte Europaͤiſche Einbildungskraft<lb/>
damit verbindet. <cit><quote>〟Ich bin dieſer liebkoſenden<lb/>〟Maſchinen ſatt; ihre weiche Gelehrigkeit hat<lb/>〟nichts anzuͤgliches, nichts ſchmeichelhaftes; ich<lb/>〟will Schwierigkeiten zu uͤberwinden haben,<lb/>〟und wenn ich ſie uͤberwunden habe, durch neue<lb/>〟Schwierigkeiten in Athem erhalten ſeyn:〟</quote></cit>ſo<lb/>
kann ein Koͤnig von Frankreich denken, aber<lb/>
kein Sultan. Es iſt wahr, wenn man einem<lb/>
Sultan dieſe Denkungsart einmal giebt, ſo<lb/>
koͤmmt der Deſpot nicht mehr in Betrachtung;<lb/>
er entaͤußert ſich ſeines Deſpotismus ſelbſt, um<lb/>
einer freyern Liebe zu genieſſen; aber wird er<lb/>
deßwegen auf einmal der zahme Affe ſeyn, den<lb/>
eine dreiſte Gaucklerinn kann tanzen laſſen, wie<lb/>ſie will? Marmontel ſagt: Solimann war ein<lb/>
zu großer Mann, als daß er die kleinen Angele-<lb/>
genheiten ſeines Serraglio auf den Fuß wichtiger<lb/>
Staatsgeſchaͤfte haͤtte treiben ſollen. Sehr<lb/>
wohl; aber ſo haͤtte er auch am Ende wichtige<lb/>
Staatsgeſchaͤfte nicht auf den Fuß der kleinen<lb/>
Angelegenheiten ſeines Serraglio treiben muͤſ-<lb/>ſen. Denn zu einem großen Manne gehoͤrt bei-<lb/>
des: Kleinigkeiten als Kleinigkeiten, und wich-<lb/>
tige Dinge als wichtige Dinge zu behandeln.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Er</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[268/0282]
Ein Tuͤrk und Deſpot muß, auch wenn er ver-
liebt iſt, noch Tuͤrk und Deſpot ſeyn. Dem
Tuͤrken, der nur die ſinnliche Liebe kennt, muͤſ-
ſen keine von den Raffinements beyfallen, die
eine verwoͤhnte Europaͤiſche Einbildungskraft
damit verbindet. 〟Ich bin dieſer liebkoſenden
〟Maſchinen ſatt; ihre weiche Gelehrigkeit hat
〟nichts anzuͤgliches, nichts ſchmeichelhaftes; ich
〟will Schwierigkeiten zu uͤberwinden haben,
〟und wenn ich ſie uͤberwunden habe, durch neue
〟Schwierigkeiten in Athem erhalten ſeyn:〟 ſo
kann ein Koͤnig von Frankreich denken, aber
kein Sultan. Es iſt wahr, wenn man einem
Sultan dieſe Denkungsart einmal giebt, ſo
koͤmmt der Deſpot nicht mehr in Betrachtung;
er entaͤußert ſich ſeines Deſpotismus ſelbſt, um
einer freyern Liebe zu genieſſen; aber wird er
deßwegen auf einmal der zahme Affe ſeyn, den
eine dreiſte Gaucklerinn kann tanzen laſſen, wie
ſie will? Marmontel ſagt: Solimann war ein
zu großer Mann, als daß er die kleinen Angele-
genheiten ſeines Serraglio auf den Fuß wichtiger
Staatsgeſchaͤfte haͤtte treiben ſollen. Sehr
wohl; aber ſo haͤtte er auch am Ende wichtige
Staatsgeſchaͤfte nicht auf den Fuß der kleinen
Angelegenheiten ſeines Serraglio treiben muͤſ-
ſen. Denn zu einem großen Manne gehoͤrt bei-
des: Kleinigkeiten als Kleinigkeiten, und wich-
tige Dinge als wichtige Dinge zu behandeln.
Er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/282>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.