wissen, als insofern es in seinen Kram taugt; es verstößt also, bald aus Sicherheit bald aus Stolz, bald mit bald ohne Vorsatz, so oft, so gröblich, daß wir andern guten Leute uns nicht genug darüber verwundern können; wir stehen und staunen und schlagen die Hände zusammen und rufen: "Aber, wie hat ein so großer Mann nicht wissen können! -- wie ist es möglich, daß ihm nicht beyfiel! -- überlegte er denn nicht?" O, laßt uns ja schweigen; wir glauben ihn zu de- müthigen, und wir machen uns in seinen Augen lächerlich; alles, was wir besser wissen, als er, beweiset blos, daß wir fleißiger zur Schule ge- gangen, als er; und das hatten wir leider nö- thig, wenn wir nicht vollkommne Dummköpfe bleiben wollten.
Marmontels Solimann hätte daher meinet- wegen immer ein ganz anderer Solimann, und seine Roxelane eine ganz andere Roxelane seyn mögen, als mich die Geschichte kennen lehret: wenn ich nur gefunden hätte, daß, ob sie schon nicht aus dieser wirklichen Welt sind, sie dennoch zu einer andern Welt gehören könnten; zu einer Welt, deren Zufälligkeiten in einer andern Ord- nung verbunden, aber doch eben so genau ver- bunden sind, als in dieser; zu einer Welt, in welcher Ursachen und Wirkungen zwar in einer andern Reihe folgen, aber doch zu eben der all- gemeinen Wirkung des Guten abzwecken; kurz,
zu
wiſſen, als inſofern es in ſeinen Kram taugt; es verſtoͤßt alſo, bald aus Sicherheit bald aus Stolz, bald mit bald ohne Vorſatz, ſo oft, ſo groͤblich, daß wir andern guten Leute uns nicht genug daruͤber verwundern koͤnnen; wir ſtehen und ſtaunen und ſchlagen die Haͤnde zuſammen und rufen: 〟Aber, wie hat ein ſo großer Mann nicht wiſſen koͤnnen! — wie iſt es moͤglich, daß ihm nicht beyfiel! — uͤberlegte er denn nicht?〟 O, laßt uns ja ſchweigen; wir glauben ihn zu de- muͤthigen, und wir machen uns in ſeinen Augen laͤcherlich; alles, was wir beſſer wiſſen, als er, beweiſet blos, daß wir fleißiger zur Schule ge- gangen, als er; und das hatten wir leider noͤ- thig, wenn wir nicht vollkommne Dummkoͤpfe bleiben wollten.
Marmontels Solimann haͤtte daher meinet- wegen immer ein ganz anderer Solimann, und ſeine Roxelane eine ganz andere Roxelane ſeyn moͤgen, als mich die Geſchichte kennen lehret: wenn ich nur gefunden haͤtte, daß, ob ſie ſchon nicht aus dieſer wirklichen Welt ſind, ſie dennoch zu einer andern Welt gehoͤren koͤnnten; zu einer Welt, deren Zufaͤlligkeiten in einer andern Ord- nung verbunden, aber doch eben ſo genau ver- bunden ſind, als in dieſer; zu einer Welt, in welcher Urſachen und Wirkungen zwar in einer andern Reihe folgen, aber doch zu eben der all- gemeinen Wirkung des Guten abzwecken; kurz,
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[266/0280]
wiſſen, als inſofern es in ſeinen Kram taugt;
es verſtoͤßt alſo, bald aus Sicherheit bald aus
Stolz, bald mit bald ohne Vorſatz, ſo oft, ſo
groͤblich, daß wir andern guten Leute uns nicht
genug daruͤber verwundern koͤnnen; wir ſtehen
und ſtaunen und ſchlagen die Haͤnde zuſammen
und rufen: 〟Aber, wie hat ein ſo großer Mann
nicht wiſſen koͤnnen! — wie iſt es moͤglich, daß
ihm nicht beyfiel! — uͤberlegte er denn nicht?〟
O, laßt uns ja ſchweigen; wir glauben ihn zu de-
muͤthigen, und wir machen uns in ſeinen Augen
laͤcherlich; alles, was wir beſſer wiſſen, als er,
beweiſet blos, daß wir fleißiger zur Schule ge-
gangen, als er; und das hatten wir leider noͤ-
thig, wenn wir nicht vollkommne Dummkoͤpfe
bleiben wollten.
Marmontels Solimann haͤtte daher meinet-
wegen immer ein ganz anderer Solimann, und
ſeine Roxelane eine ganz andere Roxelane ſeyn
moͤgen, als mich die Geſchichte kennen lehret:
wenn ich nur gefunden haͤtte, daß, ob ſie ſchon
nicht aus dieſer wirklichen Welt ſind, ſie dennoch
zu einer andern Welt gehoͤren koͤnnten; zu einer
Welt, deren Zufaͤlligkeiten in einer andern Ord-
nung verbunden, aber doch eben ſo genau ver-
bunden ſind, als in dieſer; zu einer Welt, in
welcher Urſachen und Wirkungen zwar in einer
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/280>, abgerufen am 25.11.2024.
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