Kopf von den Trauerspielen der Griechen und seiner Landesleute des sechszehnten Seculi voll, und der fand an der Rodogune gleichfals vieles auszusetzen. Endlich kam vor einigen Jahren sogar auch ein Franzose, sonst ein gewaltiger Verehrer des Corneilleschen Namens, (denn, weil er reich war, und ein sehr gutes Herz hatte, so nahm er sich einer armen verlaßnen Enkelinn dieses großen Dichters an, ließ sie unter seinen Augen erziehen, lehrte sie hübsche Verse machen, sammelte Allmosen für sie, schrieb zu ihrer Aus- steuer einen großen einträglichen Commentar über die Werke ihres Großvaters u. s. w.) aber gleichwohl erklärte er die Rodogune für ein sehr ungereimtes Gedicht, und wollte sich des Todes verwundern, wie ein so großer Mann, als der große Corneille, solch widersinniges Zeug habe schreiben können. -- Bey einem von diesen ist der Dramaturgist ohnstreitig in die Schule gegan- gen; und aller Wahrscheinlichkeit nach bey dem letztern; denn es ist doch gemeiniglich ein Fran- zose, der den Ausländern über die Fehler eines Franzosen die Augen eröffnet. Diesem ganz gewiß betet er nach; -- oder ist es nicht diesem, wenigstens dem Welschen, -- wo nicht gar dem Huronen. Von einem muß er es doch haben. Denn daß ein Deutscher selbst dächte, von selbst die Kühnheit hätte, an der Vortrefflichkeit eines Franzosen zu zweifeln, wer kann sich das einbilden?
Ich
Kopf von den Trauerſpielen der Griechen und ſeiner Landesleute des ſechszehnten Seculi voll, und der fand an der Rodogune gleichfals vieles auszuſetzen. Endlich kam vor einigen Jahren ſogar auch ein Franzoſe, ſonſt ein gewaltiger Verehrer des Corneilleſchen Namens, (denn, weil er reich war, und ein ſehr gutes Herz hatte, ſo nahm er ſich einer armen verlaßnen Enkelinn dieſes großen Dichters an, ließ ſie unter ſeinen Augen erziehen, lehrte ſie huͤbſche Verſe machen, ſammelte Allmoſen fuͤr ſie, ſchrieb zu ihrer Aus- ſteuer einen großen eintraͤglichen Commentar uͤber die Werke ihres Großvaters u. ſ. w.) aber gleichwohl erklaͤrte er die Rodogune fuͤr ein ſehr ungereimtes Gedicht, und wollte ſich des Todes verwundern, wie ein ſo großer Mann, als der große Corneille, ſolch widerſinniges Zeug habe ſchreiben koͤnnen. — Bey einem von dieſen iſt der Dramaturgiſt ohnſtreitig in die Schule gegan- gen; und aller Wahrſcheinlichkeit nach bey dem letztern; denn es iſt doch gemeiniglich ein Fran- zoſe, der den Auslaͤndern uͤber die Fehler eines Franzoſen die Augen eroͤffnet. Dieſem ganz gewiß betet er nach; — oder iſt es nicht dieſem, wenigſtens dem Welſchen, — wo nicht gar dem Huronen. Von einem muß er es doch haben. Denn daß ein Deutſcher ſelbſt daͤchte, von ſelbſt die Kuͤhnheit haͤtte, an der Vortrefflichkeit eines Franzoſen zu zweifeln, wer kann ſich das einbilden?
Ich
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Kopf von den Trauerſpielen der Griechen und
ſeiner Landesleute des ſechszehnten Seculi voll,
und der fand an der Rodogune gleichfals vieles
auszuſetzen. Endlich kam vor einigen Jahren
ſogar auch ein Franzoſe, ſonſt ein gewaltiger
Verehrer des Corneilleſchen Namens, (denn,
weil er reich war, und ein ſehr gutes Herz hatte,
ſo nahm er ſich einer armen verlaßnen Enkelinn
dieſes großen Dichters an, ließ ſie unter ſeinen
Augen erziehen, lehrte ſie huͤbſche Verſe machen,
ſammelte Allmoſen fuͤr ſie, ſchrieb zu ihrer Aus-
ſteuer einen großen eintraͤglichen Commentar
uͤber die Werke ihres Großvaters u. ſ. w.) aber
gleichwohl erklaͤrte er die Rodogune fuͤr ein ſehr
ungereimtes Gedicht, und wollte ſich des Todes
verwundern, wie ein ſo großer Mann, als der
große Corneille, ſolch widerſinniges Zeug habe
ſchreiben koͤnnen. — Bey einem von dieſen iſt der
Dramaturgiſt ohnſtreitig in die Schule gegan-
gen; und aller Wahrſcheinlichkeit nach bey dem
letztern; denn es iſt doch gemeiniglich ein Fran-
zoſe, der den Auslaͤndern uͤber die Fehler eines
Franzoſen die Augen eroͤffnet. Dieſem ganz
gewiß betet er nach; — oder iſt es nicht dieſem,
wenigſtens dem Welſchen, — wo nicht gar dem
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Denn daß ein Deutſcher ſelbſt daͤchte, von ſelbſt
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/269>, abgerufen am 25.11.2024.
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