Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

beobachten, als wer unsern Verstand zu unter-
halten und zu belehren denkt. Ohne Zusammen-
hang, ohne die innigste Verbindung aller und
jeder Theile, ist die beste Musik ein eitler Sand-
haufen, der keines dauerhaften Eindruckes fähig
ist; nur der Zusammenhang macht sie zu einem
festen Marmor, an dem sich die Hand des Künst-
lers verewigen kann.

Der Satz nach dem ersten Akte sucht also le-
diglich die Besorgnisse der Semiramis zu unter-
halten, denen der Dichter diesen Akt gewidmet hat;
Besorgnisse, die noch mit einiger Hofnung ver-
mischt sind; ein Andante mesto, bloß mit ge-
dämpften Violinen und Bratsche.

In dem zweyten Akte spielt Assur eine zu wich-
tige Rolle, als daß er nicht den Ausdruck der
darauf folgenden Musik bestimmen sollte. Eine
Allegro assai aus dem G dur, mit Waldhörnern,
durch Flöten und Hoboen, auch den Grundbaß
mitspielende Fagotte verstärkt, druckt den durch
Zweifel und Furcht unterbrochenen, aber immer
noch sich wieder erhohlenden Stolz dieses treu-
losen und herrschsüchtigen Ministers aus.

In dem dritten Akte erscheint das Gespenst.
Ich habe, bey Gelegenheit der ersten Vorstel-
lung, bereits angemerkt, wie wenig Eindruck
Voltaire diese Erscheinung auf die Anwesenden
machen läßt. Aber der Tonkünstler hat sich,
wie billig, daran nicht gekehrt; er hohlt es nach,

was

beobachten, als wer unſern Verſtand zu unter-
halten und zu belehren denkt. Ohne Zuſammen-
hang, ohne die innigſte Verbindung aller und
jeder Theile, iſt die beſte Muſik ein eitler Sand-
haufen, der keines dauerhaften Eindruckes faͤhig
iſt; nur der Zuſammenhang macht ſie zu einem
feſten Marmor, an dem ſich die Hand des Kuͤnſt-
lers verewigen kann.

Der Satz nach dem erſten Akte ſucht alſo le-
diglich die Beſorgniſſe der Semiramis zu unter-
halten, denen der Dichter dieſen Akt gewidmet hat;
Beſorgniſſe, die noch mit einiger Hofnung ver-
miſcht ſind; ein Andante meſto, bloß mit ge-
daͤmpften Violinen und Bratſche.

In dem zweyten Akte ſpielt Aſſur eine zu wich-
tige Rolle, als daß er nicht den Ausdruck der
darauf folgenden Muſik beſtimmen ſollte. Eine
Allegro aſſai aus dem G dur, mit Waldhoͤrnern,
durch Floͤten und Hoboen, auch den Grundbaß
mitſpielende Fagotte verſtaͤrkt, druckt den durch
Zweifel und Furcht unterbrochenen, aber immer
noch ſich wieder erhohlenden Stolz dieſes treu-
loſen und herrſchſuͤchtigen Miniſters aus.

In dem dritten Akte erſcheint das Geſpenſt.
Ich habe, bey Gelegenheit der erſten Vorſtel-
lung, bereits angemerkt, wie wenig Eindruck
Voltaire dieſe Erſcheinung auf die Anweſenden
machen laͤßt. Aber der Tonkuͤnſtler hat ſich,
wie billig, daran nicht gekehrt; er hohlt es nach,

was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0229" n="215"/>
beobachten, als wer un&#x017F;ern Ver&#x017F;tand zu unter-<lb/>
halten und zu belehren denkt. Ohne Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hang, ohne die innig&#x017F;te Verbindung aller und<lb/>
jeder Theile, i&#x017F;t die be&#x017F;te Mu&#x017F;ik ein eitler Sand-<lb/>
haufen, der keines dauerhaften Eindruckes fa&#x0364;hig<lb/>
i&#x017F;t; nur der Zu&#x017F;ammenhang macht &#x017F;ie zu einem<lb/>
fe&#x017F;ten Marmor, an dem &#x017F;ich die Hand des Ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
lers verewigen kann.</p><lb/>
        <p>Der Satz nach dem er&#x017F;ten Akte &#x017F;ucht al&#x017F;o le-<lb/>
diglich die Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;e der Semiramis zu unter-<lb/>
halten, denen der Dichter die&#x017F;en Akt gewidmet hat;<lb/>
Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;e, die noch mit einiger Hofnung ver-<lb/>
mi&#x017F;cht &#x017F;ind; ein Andante me&#x017F;to, bloß mit ge-<lb/>
da&#x0364;mpften Violinen und Brat&#x017F;che.</p><lb/>
        <p>In dem zweyten Akte &#x017F;pielt A&#x017F;&#x017F;ur eine zu wich-<lb/>
tige Rolle, als daß er nicht den Ausdruck der<lb/>
darauf folgenden Mu&#x017F;ik be&#x017F;timmen &#x017F;ollte. Eine<lb/>
Allegro a&#x017F;&#x017F;ai aus dem G dur, mit Waldho&#x0364;rnern,<lb/>
durch Flo&#x0364;ten und Hoboen, auch den Grundbaß<lb/>
mit&#x017F;pielende Fagotte ver&#x017F;ta&#x0364;rkt, druckt den durch<lb/>
Zweifel und Furcht unterbrochenen, aber immer<lb/>
noch &#x017F;ich wieder erhohlenden Stolz die&#x017F;es treu-<lb/>
lo&#x017F;en und herr&#x017F;ch&#x017F;u&#x0364;chtigen Mini&#x017F;ters aus.</p><lb/>
        <p>In dem dritten Akte er&#x017F;cheint das Ge&#x017F;pen&#x017F;t.<lb/>
Ich habe, bey Gelegenheit der er&#x017F;ten Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung, bereits angemerkt, wie wenig Eindruck<lb/>
Voltaire die&#x017F;e Er&#x017F;cheinung auf die Anwe&#x017F;enden<lb/>
machen la&#x0364;ßt. Aber der Tonku&#x0364;n&#x017F;tler hat &#x017F;ich,<lb/>
wie billig, daran nicht gekehrt; er hohlt es nach,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">was</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0229] beobachten, als wer unſern Verſtand zu unter- halten und zu belehren denkt. Ohne Zuſammen- hang, ohne die innigſte Verbindung aller und jeder Theile, iſt die beſte Muſik ein eitler Sand- haufen, der keines dauerhaften Eindruckes faͤhig iſt; nur der Zuſammenhang macht ſie zu einem feſten Marmor, an dem ſich die Hand des Kuͤnſt- lers verewigen kann. Der Satz nach dem erſten Akte ſucht alſo le- diglich die Beſorgniſſe der Semiramis zu unter- halten, denen der Dichter dieſen Akt gewidmet hat; Beſorgniſſe, die noch mit einiger Hofnung ver- miſcht ſind; ein Andante meſto, bloß mit ge- daͤmpften Violinen und Bratſche. In dem zweyten Akte ſpielt Aſſur eine zu wich- tige Rolle, als daß er nicht den Ausdruck der darauf folgenden Muſik beſtimmen ſollte. Eine Allegro aſſai aus dem G dur, mit Waldhoͤrnern, durch Floͤten und Hoboen, auch den Grundbaß mitſpielende Fagotte verſtaͤrkt, druckt den durch Zweifel und Furcht unterbrochenen, aber immer noch ſich wieder erhohlenden Stolz dieſes treu- loſen und herrſchſuͤchtigen Miniſters aus. In dem dritten Akte erſcheint das Geſpenſt. Ich habe, bey Gelegenheit der erſten Vorſtel- lung, bereits angemerkt, wie wenig Eindruck Voltaire dieſe Erſcheinung auf die Anweſenden machen laͤßt. Aber der Tonkuͤnſtler hat ſich, wie billig, daran nicht gekehrt; er hohlt es nach, was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/229
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/229>, abgerufen am 22.11.2024.