den die Musik aus der Vereinigung mit der Poesie ziehet; ja vielleicht der allergrößte. Denn es ist bey weitem nicht so nothwendig, die allgemeinen unbestimmten Empfindungen der Mu- sik, z. E. der Freude, durch Worte auf einen gewissen einzeln Gegenstand der Freude einzu- schränken, weil auch jene dunkeln schwanken Empfindungen noch immer sehr angenehm sind; als nothwendig es ist, abstechende widerspre- chende Empfindungen durch deutliche Begriffe, die nur Worte gewähren können, zu verbinden, um sie durch diese Verbindung in ein Ganzes zu verweben, in welchem man nicht allein Mannich- faltiges, sondern auch Uebereinstimmung des Mannichfaltigen bemerke. Nun aber würde, bey dem doppelten Satze zwischen den Akten ei- nes Schauspiels, diese Verbindung ersten hinten nach kommen; wir würden es erst hinten nach erfahren, warum wir aus einer Leidenschaft in eine ganz entgegen gesetzte überspringen müssen: und das ist für die Musik so gut, als erführen wir es gar nicht. Der Sprung hat einmal seine üble Wirkung gethan, und er hat uns darum nicht weniger beleidiget, weil wir nun einsehen, daß er uns nicht hätte beleidigen sollen. Man glaube aber nicht, daß so nach überhaupt alle Symphonien verwerflich seyn müßten, weil alle aus mehrern Sätzen bestehen, die von einander unterschieden sind, und deren jeder etwas anders
aus-
D d 3
den die Muſik aus der Vereinigung mit der Poeſie ziehet; ja vielleicht der allergroͤßte. Denn es iſt bey weitem nicht ſo nothwendig, die allgemeinen unbeſtim̃ten Empfindungen der Mu- ſik, z. E. der Freude, durch Worte auf einen gewiſſen einzeln Gegenſtand der Freude einzu- ſchraͤnken, weil auch jene dunkeln ſchwanken Empfindungen noch immer ſehr angenehm ſind; als nothwendig es iſt, abſtechende widerſpre- chende Empfindungen durch deutliche Begriffe, die nur Worte gewaͤhren koͤnnen, zu verbinden, um ſie durch dieſe Verbindung in ein Ganzes zu verweben, in welchem man nicht allein Mannich- faltiges, ſondern auch Uebereinſtimmung des Mannichfaltigen bemerke. Nun aber wuͤrde, bey dem doppelten Satze zwiſchen den Akten ei- nes Schauſpiels, dieſe Verbindung erſten hinten nach kommen; wir wuͤrden es erſt hinten nach erfahren, warum wir aus einer Leidenſchaft in eine ganz entgegen geſetzte uͤberſpringen muͤſſen: und das iſt fuͤr die Muſik ſo gut, als erfuͤhren wir es gar nicht. Der Sprung hat einmal ſeine uͤble Wirkung gethan, und er hat uns darum nicht weniger beleidiget, weil wir nun einſehen, daß er uns nicht haͤtte beleidigen ſollen. Man glaube aber nicht, daß ſo nach uͤberhaupt alle Symphonien verwerflich ſeyn muͤßten, weil alle aus mehrern Saͤtzen beſtehen, die von einander unterſchieden ſind, und deren jeder etwas anders
aus-
D d 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0227"n="213"/>
den die Muſik aus der Vereinigung mit der<lb/>
Poeſie ziehet; ja vielleicht der allergroͤßte.<lb/>
Denn es iſt bey weitem nicht ſo nothwendig, die<lb/>
allgemeinen unbeſtim̃ten Empfindungen der Mu-<lb/>ſik, z. E. der Freude, durch Worte auf einen<lb/>
gewiſſen einzeln Gegenſtand der Freude einzu-<lb/>ſchraͤnken, weil auch jene dunkeln ſchwanken<lb/>
Empfindungen noch immer ſehr angenehm ſind;<lb/>
als nothwendig es iſt, abſtechende widerſpre-<lb/>
chende Empfindungen durch deutliche Begriffe,<lb/>
die nur Worte gewaͤhren koͤnnen, zu verbinden,<lb/>
um ſie durch dieſe Verbindung in ein Ganzes zu<lb/>
verweben, in welchem man nicht allein Mannich-<lb/>
faltiges, ſondern auch Uebereinſtimmung des<lb/>
Mannichfaltigen bemerke. Nun aber wuͤrde,<lb/>
bey dem doppelten Satze zwiſchen den Akten ei-<lb/>
nes Schauſpiels, dieſe Verbindung erſten hinten<lb/>
nach kommen; wir wuͤrden es erſt hinten nach<lb/>
erfahren, warum wir aus einer Leidenſchaft in<lb/>
eine ganz entgegen geſetzte uͤberſpringen muͤſſen:<lb/>
und das iſt fuͤr die Muſik ſo gut, als erfuͤhren<lb/>
wir es gar nicht. Der Sprung hat einmal ſeine<lb/>
uͤble Wirkung gethan, und er hat uns darum<lb/>
nicht weniger beleidiget, weil wir nun einſehen,<lb/>
daß er uns nicht haͤtte beleidigen ſollen. Man<lb/>
glaube aber nicht, daß ſo nach uͤberhaupt alle<lb/>
Symphonien verwerflich ſeyn muͤßten, weil alle<lb/>
aus mehrern Saͤtzen beſtehen, die von einander<lb/>
unterſchieden ſind, und deren jeder etwas anders<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D d 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">aus-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[213/0227]
den die Muſik aus der Vereinigung mit der
Poeſie ziehet; ja vielleicht der allergroͤßte.
Denn es iſt bey weitem nicht ſo nothwendig, die
allgemeinen unbeſtim̃ten Empfindungen der Mu-
ſik, z. E. der Freude, durch Worte auf einen
gewiſſen einzeln Gegenſtand der Freude einzu-
ſchraͤnken, weil auch jene dunkeln ſchwanken
Empfindungen noch immer ſehr angenehm ſind;
als nothwendig es iſt, abſtechende widerſpre-
chende Empfindungen durch deutliche Begriffe,
die nur Worte gewaͤhren koͤnnen, zu verbinden,
um ſie durch dieſe Verbindung in ein Ganzes zu
verweben, in welchem man nicht allein Mannich-
faltiges, ſondern auch Uebereinſtimmung des
Mannichfaltigen bemerke. Nun aber wuͤrde,
bey dem doppelten Satze zwiſchen den Akten ei-
nes Schauſpiels, dieſe Verbindung erſten hinten
nach kommen; wir wuͤrden es erſt hinten nach
erfahren, warum wir aus einer Leidenſchaft in
eine ganz entgegen geſetzte uͤberſpringen muͤſſen:
und das iſt fuͤr die Muſik ſo gut, als erfuͤhren
wir es gar nicht. Der Sprung hat einmal ſeine
uͤble Wirkung gethan, und er hat uns darum
nicht weniger beleidiget, weil wir nun einſehen,
daß er uns nicht haͤtte beleidigen ſollen. Man
glaube aber nicht, daß ſo nach uͤberhaupt alle
Symphonien verwerflich ſeyn muͤßten, weil alle
aus mehrern Saͤtzen beſtehen, die von einander
unterſchieden ſind, und deren jeder etwas anders
aus-
D d 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/227>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.