genug, daß Er, daß Sie, für die Religion sterben wollen; auch Evander wollte, auch Se- rena hätte nicht übel Lust dazu.
Ich will hier eine doppelte Anmerkung machen, welche, wohl behalten, einen angehenden tragischen Dichter vor großen Fehltritten bewahren kann. Die eine betrift das Trauerspiel überhaupt. Wenn heldenmüthige Gesinnungen Bewunde- rung erregen sollen: so muß der Dichter nicht zu verschwenderisch damit umgehen; denn was man öfters, was man an mehrern sieht, höret man auf zu bewundern. Hierwider hatte sich Cronegk schon in seinem Codrus sehr versündi- get. Die Liebe des Vaterlandes, bis zum frey- willigen Tode für dasselbe, hätte den Codrus allein auszeichnen sollen: er hätte als ein einzel- nes Wesen einer ganz besondern Art da stehen müssen, um den Eindruck zu machen, welchen der Dichter mit ihm im Sinne hatte. Aber Elesinde und Philaide, und Medon, und wer nicht? sind alle gleich bereit, ihr Leben dem Va- terlande aufzuopfern; unsere Bewunderung wird getheilt, und Codrus verlieret sich unter der Men- ge. So auch hier. Was in Olint und Sophronia Christ ist, das alles hält gemartert werden und sterben, für ein Glas Wasser trinken. Wir hören diese frommen Bravaden so oft, aus so verschie- denem Munde, daß sie alle Wirkung verlieren.
Die
genug, daß Er, daß Sie, fuͤr die Religion ſterben wollen; auch Evander wollte, auch Se- rena haͤtte nicht uͤbel Luſt dazu.
Ich will hier eine doppelte Anmerkung machen, welche, wohl behalten, einen angehenden tragiſchen Dichter vor großen Fehltritten bewahren kann. Die eine betrift das Trauerſpiel uͤberhaupt. Wenn heldenmuͤthige Geſinnungen Bewunde- rung erregen ſollen: ſo muß der Dichter nicht zu verſchwenderiſch damit umgehen; denn was man oͤfters, was man an mehrern ſieht, hoͤret man auf zu bewundern. Hierwider hatte ſich Cronegk ſchon in ſeinem Codrus ſehr verſuͤndi- get. Die Liebe des Vaterlandes, bis zum frey- willigen Tode fuͤr daſſelbe, haͤtte den Codrus allein auszeichnen ſollen: er haͤtte als ein einzel- nes Weſen einer ganz beſondern Art da ſtehen muͤſſen, um den Eindruck zu machen, welchen der Dichter mit ihm im Sinne hatte. Aber Eleſinde und Philaide, und Medon, und wer nicht? ſind alle gleich bereit, ihr Leben dem Va- terlande aufzuopfern; unſere Bewunderung wird getheilt, und Codrus verlieret ſich unter der Men- ge. So auch hier. Was in Olint und Sophronia Chriſt iſt, das alles haͤlt gemartert werden und ſterben, fuͤr ein Glas Waſſer trinken. Wir hoͤren dieſe frommen Bravaden ſo oft, aus ſo verſchie- denem Munde, daß ſie alle Wirkung verlieren.
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genug, daß Er, daß Sie, fuͤr die Religion
ſterben wollen; auch Evander wollte, auch Se-
rena haͤtte nicht uͤbel Luſt dazu.
Ich will hier eine doppelte Anmerkung machen,
welche, wohl behalten, einen angehenden tragiſchen
Dichter vor großen Fehltritten bewahren kann.
Die eine betrift das Trauerſpiel uͤberhaupt.
Wenn heldenmuͤthige Geſinnungen Bewunde-
rung erregen ſollen: ſo muß der Dichter nicht
zu verſchwenderiſch damit umgehen; denn was
man oͤfters, was man an mehrern ſieht, hoͤret
man auf zu bewundern. Hierwider hatte ſich
Cronegk ſchon in ſeinem Codrus ſehr verſuͤndi-
get. Die Liebe des Vaterlandes, bis zum frey-
willigen Tode fuͤr daſſelbe, haͤtte den Codrus
allein auszeichnen ſollen: er haͤtte als ein einzel-
nes Weſen einer ganz beſondern Art da ſtehen
muͤſſen, um den Eindruck zu machen, welchen
der Dichter mit ihm im Sinne hatte. Aber
Eleſinde und Philaide, und Medon, und wer
nicht? ſind alle gleich bereit, ihr Leben dem Va-
terlande aufzuopfern; unſere Bewunderung wird
getheilt, und Codrus verlieret ſich unter der Men-
ge. So auch hier. Was in Olint und Sophronia
Chriſt iſt, das alles haͤlt gemartert werden und
ſterben, fuͤr ein Glas Waſſer trinken. Wir hoͤren
dieſe frommen Bravaden ſo oft, aus ſo verſchie-
denem Munde, daß ſie alle Wirkung verlieren.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/20>, abgerufen am 24.11.2024.
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