Dichter übereinstimmender auszudrücken: sind es die bloßen Facta, die Umstände der Zeit und des Ortes, oder sind es die Charaktere der Per- sonen, durch welche die Facta wirklich gewor- den, warum der Dichter lieber diese als eine an- dere Begebenheit wählet? Wenn es die Cha- raktere sind, so ist die Frage gleich entschieden, wie weit der Dichter von der historischen Wahr- heit abgehen könne? In allem, was die Cha- raktere nicht betrift, so weit er will. Nur die Charaktere sind ihm heilig; diese zu verstärken, diese in ihrem besten Lichte zu zeigen, ist alles, was er von dem Seinigen dabey hinzuthun darf; die geringste wesentliche Veränderung würde die Ursache aufheben, warum sie diese und nicht andere Namen führen; und nichts ist anstößiger, als wovon wir uns keine Ursache geben können.
Ham-
Dichter uͤbereinſtimmender auszudruͤcken: ſind es die bloßen Facta, die Umſtaͤnde der Zeit und des Ortes, oder ſind es die Charaktere der Per- ſonen, durch welche die Facta wirklich gewor- den, warum der Dichter lieber dieſe als eine an- dere Begebenheit waͤhlet? Wenn es die Cha- raktere ſind, ſo iſt die Frage gleich entſchieden, wie weit der Dichter von der hiſtoriſchen Wahr- heit abgehen koͤnne? In allem, was die Cha- raktere nicht betrift, ſo weit er will. Nur die Charaktere ſind ihm heilig; dieſe zu verſtaͤrken, dieſe in ihrem beſten Lichte zu zeigen, iſt alles, was er von dem Seinigen dabey hinzuthun darf; die geringſte weſentliche Veraͤnderung wuͤrde die Urſache aufheben, warum ſie dieſe und nicht andere Namen fuͤhren; und nichts iſt anſtoͤßiger, als wovon wir uns keine Urſache geben koͤnnen.
Ham-
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Dichter uͤbereinſtimmender auszudruͤcken: ſind
es die bloßen Facta, die Umſtaͤnde der Zeit und
des Ortes, oder ſind es die Charaktere der Per-
ſonen, durch welche die Facta wirklich gewor-
den, warum der Dichter lieber dieſe als eine an-
dere Begebenheit waͤhlet? Wenn es die Cha-
raktere ſind, ſo iſt die Frage gleich entſchieden,
wie weit der Dichter von der hiſtoriſchen Wahr-
heit abgehen koͤnne? In allem, was die Cha-
raktere nicht betrift, ſo weit er will. Nur die
Charaktere ſind ihm heilig; dieſe zu verſtaͤrken,
dieſe in ihrem beſten Lichte zu zeigen, iſt alles,
was er von dem Seinigen dabey hinzuthun darf;
die geringſte weſentliche Veraͤnderung wuͤrde die
Urſache aufheben, warum ſie dieſe und nicht
andere Namen fuͤhren; und nichts iſt anſtoͤßiger,
als wovon wir uns keine Urſache geben koͤnnen.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/198>, abgerufen am 24.11.2024.
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