Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Ich erinnere mich, meine Meinung von den
Titeln der Komödien überhaupt, schon einmal ge-
äußert zu haben. Es könnte seyn, daß die
Sache so unbedeutend nicht wäre. Mancher
Stümper hat zu einem schönen Titel eine schlechte
Komödie gemacht; und blos des schönen Titels
wegen. Ich möchte doch lieber eine gute Ko-
mödie mit einem schlechten Titel. Wenn man
nachfragt, was für Charaktere bereits bearbei-
ten worden, so wird kaum einer zu erdenken seyn,
nach welchem, besonders die Franzosen, nicht
schon ein Stück genannt hätten. Der ist längst
da gewesen! ruft man. Der auch schon! Die-
ser würde vom Moliere, jener vom Destouches
entlehnet seyn! Entlehnet? Das kömmt aus
den schönen Titeln. Was für ein Eigenthums-
recht erhält ein Dichter auf einen gewissen Cha-
rakter dadurch, daß er seinen Titel davon herge-
nommen? Wenn er ihn stillschweigend gebraucht
hätte, so würde ich ihn wiederum stillschweigend
brauchen dürfen, und niemand würde mich dar-
über zum Nachahmer machen. Aber so wage
es einer einmal, und mache z. E. einen neuen
Misanthropen. Wann er auch keinen Zug von
dem Molierschen nimmt, so wird sein Misan-
throp doch immer nur eine Copie heissen. Ge-
nug, daß Moliere den Namen zuerst gebraucht
hat. Jener hat unrecht, daß er funfzig Jahr spä-
ter lebet; und daß die Sprache für die unendli-

chen

Ich erinnere mich, meine Meinung von den
Titeln der Komoͤdien uͤberhaupt, ſchon einmal ge-
aͤußert zu haben. Es koͤnnte ſeyn, daß die
Sache ſo unbedeutend nicht waͤre. Mancher
Stuͤmper hat zu einem ſchoͤnen Titel eine ſchlechte
Komoͤdie gemacht; und blos des ſchoͤnen Titels
wegen. Ich moͤchte doch lieber eine gute Ko-
moͤdie mit einem ſchlechten Titel. Wenn man
nachfragt, was fuͤr Charaktere bereits bearbei-
ten worden, ſo wird kaum einer zu erdenken ſeyn,
nach welchem, beſonders die Franzoſen, nicht
ſchon ein Stuͤck genannt haͤtten. Der iſt laͤngſt
da geweſen! ruft man. Der auch ſchon! Die-
ſer wuͤrde vom Moliere, jener vom Destouches
entlehnet ſeyn! Entlehnet? Das koͤmmt aus
den ſchoͤnen Titeln. Was fuͤr ein Eigenthums-
recht erhaͤlt ein Dichter auf einen gewiſſen Cha-
rakter dadurch, daß er ſeinen Titel davon herge-
nommen? Wenn er ihn ſtillſchweigend gebraucht
haͤtte, ſo wuͤrde ich ihn wiederum ſtillſchweigend
brauchen duͤrfen, und niemand wuͤrde mich dar-
uͤber zum Nachahmer machen. Aber ſo wage
es einer einmal, und mache z. E. einen neuen
Miſanthropen. Wann er auch keinen Zug von
dem Molierſchen nimmt, ſo wird ſein Miſan-
throp doch immer nur eine Copie heiſſen. Ge-
nug, daß Moliere den Namen zuerſt gebraucht
hat. Jener hat unrecht, daß er funfzig Jahr ſpaͤ-
ter lebet; und daß die Sprache fuͤr die unendli-

chen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="164"/>
Ich erinnere mich, meine Meinung von den<lb/>
Titeln der Komo&#x0364;dien u&#x0364;berhaupt, &#x017F;chon einmal ge-<lb/>
a&#x0364;ußert zu haben. Es ko&#x0364;nnte &#x017F;eyn, daß die<lb/>
Sache &#x017F;o unbedeutend nicht wa&#x0364;re. Mancher<lb/>
Stu&#x0364;mper hat zu einem &#x017F;cho&#x0364;nen Titel eine &#x017F;chlechte<lb/>
Komo&#x0364;die gemacht; und blos des &#x017F;cho&#x0364;nen Titels<lb/>
wegen. Ich mo&#x0364;chte doch lieber eine gute Ko-<lb/>
mo&#x0364;die mit einem &#x017F;chlechten Titel. Wenn man<lb/>
nachfragt, was fu&#x0364;r Charaktere bereits bearbei-<lb/>
ten worden, &#x017F;o wird kaum einer zu erdenken &#x017F;eyn,<lb/>
nach welchem, be&#x017F;onders die Franzo&#x017F;en, nicht<lb/>
&#x017F;chon ein Stu&#x0364;ck genannt ha&#x0364;tten. Der i&#x017F;t la&#x0364;ng&#x017F;t<lb/>
da gewe&#x017F;en! ruft man. Der auch &#x017F;chon! Die-<lb/>
&#x017F;er wu&#x0364;rde vom Moliere, jener vom Destouches<lb/>
entlehnet &#x017F;eyn! Entlehnet? Das ko&#x0364;mmt aus<lb/>
den &#x017F;cho&#x0364;nen Titeln. Was fu&#x0364;r ein Eigenthums-<lb/>
recht erha&#x0364;lt ein Dichter auf einen gewi&#x017F;&#x017F;en Cha-<lb/>
rakter dadurch, daß er &#x017F;einen Titel davon herge-<lb/>
nommen? Wenn er ihn &#x017F;till&#x017F;chweigend gebraucht<lb/>
ha&#x0364;tte, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich ihn wiederum &#x017F;till&#x017F;chweigend<lb/>
brauchen du&#x0364;rfen, und niemand wu&#x0364;rde mich dar-<lb/>
u&#x0364;ber zum Nachahmer machen. Aber &#x017F;o wage<lb/>
es einer einmal, und mache z. E. einen neuen<lb/>
Mi&#x017F;anthropen. Wann er auch keinen Zug von<lb/>
dem Molier&#x017F;chen nimmt, &#x017F;o wird &#x017F;ein Mi&#x017F;an-<lb/>
throp doch immer nur eine Copie hei&#x017F;&#x017F;en. Ge-<lb/>
nug, daß Moliere den Namen zuer&#x017F;t gebraucht<lb/>
hat. Jener hat unrecht, daß er funfzig Jahr &#x017F;pa&#x0364;-<lb/>
ter lebet; und daß die Sprache fu&#x0364;r die unendli-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0178] Ich erinnere mich, meine Meinung von den Titeln der Komoͤdien uͤberhaupt, ſchon einmal ge- aͤußert zu haben. Es koͤnnte ſeyn, daß die Sache ſo unbedeutend nicht waͤre. Mancher Stuͤmper hat zu einem ſchoͤnen Titel eine ſchlechte Komoͤdie gemacht; und blos des ſchoͤnen Titels wegen. Ich moͤchte doch lieber eine gute Ko- moͤdie mit einem ſchlechten Titel. Wenn man nachfragt, was fuͤr Charaktere bereits bearbei- ten worden, ſo wird kaum einer zu erdenken ſeyn, nach welchem, beſonders die Franzoſen, nicht ſchon ein Stuͤck genannt haͤtten. Der iſt laͤngſt da geweſen! ruft man. Der auch ſchon! Die- ſer wuͤrde vom Moliere, jener vom Destouches entlehnet ſeyn! Entlehnet? Das koͤmmt aus den ſchoͤnen Titeln. Was fuͤr ein Eigenthums- recht erhaͤlt ein Dichter auf einen gewiſſen Cha- rakter dadurch, daß er ſeinen Titel davon herge- nommen? Wenn er ihn ſtillſchweigend gebraucht haͤtte, ſo wuͤrde ich ihn wiederum ſtillſchweigend brauchen duͤrfen, und niemand wuͤrde mich dar- uͤber zum Nachahmer machen. Aber ſo wage es einer einmal, und mache z. E. einen neuen Miſanthropen. Wann er auch keinen Zug von dem Molierſchen nimmt, ſo wird ſein Miſan- throp doch immer nur eine Copie heiſſen. Ge- nug, daß Moliere den Namen zuerſt gebraucht hat. Jener hat unrecht, daß er funfzig Jahr ſpaͤ- ter lebet; und daß die Sprache fuͤr die unendli- chen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/178
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/178>, abgerufen am 22.11.2024.