Ich erinnere mich, meine Meinung von den Titeln der Komödien überhaupt, schon einmal ge- äußert zu haben. Es könnte seyn, daß die Sache so unbedeutend nicht wäre. Mancher Stümper hat zu einem schönen Titel eine schlechte Komödie gemacht; und blos des schönen Titels wegen. Ich möchte doch lieber eine gute Ko- mödie mit einem schlechten Titel. Wenn man nachfragt, was für Charaktere bereits bearbei- ten worden, so wird kaum einer zu erdenken seyn, nach welchem, besonders die Franzosen, nicht schon ein Stück genannt hätten. Der ist längst da gewesen! ruft man. Der auch schon! Die- ser würde vom Moliere, jener vom Destouches entlehnet seyn! Entlehnet? Das kömmt aus den schönen Titeln. Was für ein Eigenthums- recht erhält ein Dichter auf einen gewissen Cha- rakter dadurch, daß er seinen Titel davon herge- nommen? Wenn er ihn stillschweigend gebraucht hätte, so würde ich ihn wiederum stillschweigend brauchen dürfen, und niemand würde mich dar- über zum Nachahmer machen. Aber so wage es einer einmal, und mache z. E. einen neuen Misanthropen. Wann er auch keinen Zug von dem Molierschen nimmt, so wird sein Misan- throp doch immer nur eine Copie heissen. Ge- nug, daß Moliere den Namen zuerst gebraucht hat. Jener hat unrecht, daß er funfzig Jahr spä- ter lebet; und daß die Sprache für die unendli-
chen
Ich erinnere mich, meine Meinung von den Titeln der Komoͤdien uͤberhaupt, ſchon einmal ge- aͤußert zu haben. Es koͤnnte ſeyn, daß die Sache ſo unbedeutend nicht waͤre. Mancher Stuͤmper hat zu einem ſchoͤnen Titel eine ſchlechte Komoͤdie gemacht; und blos des ſchoͤnen Titels wegen. Ich moͤchte doch lieber eine gute Ko- moͤdie mit einem ſchlechten Titel. Wenn man nachfragt, was fuͤr Charaktere bereits bearbei- ten worden, ſo wird kaum einer zu erdenken ſeyn, nach welchem, beſonders die Franzoſen, nicht ſchon ein Stuͤck genannt haͤtten. Der iſt laͤngſt da geweſen! ruft man. Der auch ſchon! Die- ſer wuͤrde vom Moliere, jener vom Destouches entlehnet ſeyn! Entlehnet? Das koͤmmt aus den ſchoͤnen Titeln. Was fuͤr ein Eigenthums- recht erhaͤlt ein Dichter auf einen gewiſſen Cha- rakter dadurch, daß er ſeinen Titel davon herge- nommen? Wenn er ihn ſtillſchweigend gebraucht haͤtte, ſo wuͤrde ich ihn wiederum ſtillſchweigend brauchen duͤrfen, und niemand wuͤrde mich dar- uͤber zum Nachahmer machen. Aber ſo wage es einer einmal, und mache z. E. einen neuen Miſanthropen. Wann er auch keinen Zug von dem Molierſchen nimmt, ſo wird ſein Miſan- throp doch immer nur eine Copie heiſſen. Ge- nug, daß Moliere den Namen zuerſt gebraucht hat. Jener hat unrecht, daß er funfzig Jahr ſpaͤ- ter lebet; und daß die Sprache fuͤr die unendli-
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Ich erinnere mich, meine Meinung von den
Titeln der Komoͤdien uͤberhaupt, ſchon einmal ge-
aͤußert zu haben. Es koͤnnte ſeyn, daß die
Sache ſo unbedeutend nicht waͤre. Mancher
Stuͤmper hat zu einem ſchoͤnen Titel eine ſchlechte
Komoͤdie gemacht; und blos des ſchoͤnen Titels
wegen. Ich moͤchte doch lieber eine gute Ko-
moͤdie mit einem ſchlechten Titel. Wenn man
nachfragt, was fuͤr Charaktere bereits bearbei-
ten worden, ſo wird kaum einer zu erdenken ſeyn,
nach welchem, beſonders die Franzoſen, nicht
ſchon ein Stuͤck genannt haͤtten. Der iſt laͤngſt
da geweſen! ruft man. Der auch ſchon! Die-
ſer wuͤrde vom Moliere, jener vom Destouches
entlehnet ſeyn! Entlehnet? Das koͤmmt aus
den ſchoͤnen Titeln. Was fuͤr ein Eigenthums-
recht erhaͤlt ein Dichter auf einen gewiſſen Cha-
rakter dadurch, daß er ſeinen Titel davon herge-
nommen? Wenn er ihn ſtillſchweigend gebraucht
haͤtte, ſo wuͤrde ich ihn wiederum ſtillſchweigend
brauchen duͤrfen, und niemand wuͤrde mich dar-
uͤber zum Nachahmer machen. Aber ſo wage
es einer einmal, und mache z. E. einen neuen
Miſanthropen. Wann er auch keinen Zug von
dem Molierſchen nimmt, ſo wird ſein Miſan-
throp doch immer nur eine Copie heiſſen. Ge-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/178>, abgerufen am 22.11.2024.
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