Aktrice ist für die Rolle zu groß. Mich dünkt einen Riesen zu sehen, der mit dem Gewehre eines Cadets exerciret. Ich möchte nicht alles machen, was ich vortrefflich machen könnte.
Herr Eckhof in der Rolle des Dorimond, ist ganz Dorimond. Diese Mischung von Sanft- muth und Ernst, von Weichherzigkeit und Strenge, wird gerade in so einem Manne wirk- lich seyn, oder sie ist es in keinem. Wann er zum Schlusse des Stücks vom Mericourt sagt: "Ich will ihm so viel geben, daß er in der großen Welt leben kann, die sein Vaterland ist; aber sehen mag ich ihn nicht mehr!" wer hat den Mann gelehrt, mit ein Paar erhobenen Fingern, hierhin und dahin bewegt, mit einem einzigen Kopfdrehen, uns auf einmal zu zeigen, was das für ein Land ist, dieses Vaterland des Me- ricourt? Ein gefährliches, ein böses Land!
Tot linguae, quot membra viro! --
Den vier und zwanzigsten Abend (Freytags, den 25sten May,) ward die Amalia des Herrn Weiß aufgeführet.
Amalia wird von Kennern für das beste Lust- spiel dieses Dichters gehalten. Es hat auch wirklich mehr Interesse, ausgeführtere Cha- raktere und einen lebhaftern gedankenreichern Dialog, als seine übrige komische Stücke. Die Rollen sind hier sehr wohl besetzt; besonders
macht
U 3
Aktrice iſt fuͤr die Rolle zu groß. Mich duͤnkt einen Rieſen zu ſehen, der mit dem Gewehre eines Cadets exerciret. Ich moͤchte nicht alles machen, was ich vortrefflich machen koͤnnte.
Herr Eckhof in der Rolle des Dorimond, iſt ganz Dorimond. Dieſe Miſchung von Sanft- muth und Ernſt, von Weichherzigkeit und Strenge, wird gerade in ſo einem Manne wirk- lich ſeyn, oder ſie iſt es in keinem. Wann er zum Schluſſe des Stuͤcks vom Mericourt ſagt: „Ich will ihm ſo viel geben, daß er in der großen Welt leben kann, die ſein Vaterland iſt; aber ſehen mag ich ihn nicht mehr!„ wer hat den Mann gelehrt, mit ein Paar erhobenen Fingern, hierhin und dahin bewegt, mit einem einzigen Kopfdrehen, uns auf einmal zu zeigen, was das fuͤr ein Land iſt, dieſes Vaterland des Me- ricourt? Ein gefaͤhrliches, ein boͤſes Land!
Tot linguæ, quot membra viro! —
Den vier und zwanzigſten Abend (Freytags, den 25ſten May,) ward die Amalia des Herrn Weiß aufgefuͤhret.
Amalia wird von Kennern fuͤr das beſte Luſt- ſpiel dieſes Dichters gehalten. Es hat auch wirklich mehr Intereſſe, ausgefuͤhrtere Cha- raktere und einen lebhaftern gedankenreichern Dialog, als ſeine uͤbrige komiſche Stuͤcke. Die Rollen ſind hier ſehr wohl beſetzt; beſonders
macht
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Aktrice iſt fuͤr die Rolle zu groß. Mich duͤnkt
einen Rieſen zu ſehen, der mit dem Gewehre
eines Cadets exerciret. Ich moͤchte nicht alles
machen, was ich vortrefflich machen koͤnnte.
Herr Eckhof in der Rolle des Dorimond, iſt
ganz Dorimond. Dieſe Miſchung von Sanft-
muth und Ernſt, von Weichherzigkeit und
Strenge, wird gerade in ſo einem Manne wirk-
lich ſeyn, oder ſie iſt es in keinem. Wann er
zum Schluſſe des Stuͤcks vom Mericourt ſagt:
„Ich will ihm ſo viel geben, daß er in der großen
Welt leben kann, die ſein Vaterland iſt; aber
ſehen mag ich ihn nicht mehr!„ wer hat den
Mann gelehrt, mit ein Paar erhobenen Fingern,
hierhin und dahin bewegt, mit einem einzigen
Kopfdrehen, uns auf einmal zu zeigen, was
das fuͤr ein Land iſt, dieſes Vaterland des Me-
ricourt? Ein gefaͤhrliches, ein boͤſes Land!
Tot linguæ, quot membra viro! —
Den vier und zwanzigſten Abend (Freytags,
den 25ſten May,) ward die Amalia des Herrn
Weiß aufgefuͤhret.
Amalia wird von Kennern fuͤr das beſte Luſt-
ſpiel dieſes Dichters gehalten. Es hat auch
wirklich mehr Intereſſe, ausgefuͤhrtere Cha-
raktere und einen lebhaftern gedankenreichern
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/171>, abgerufen am 25.11.2024.
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