mann bleibt als ein Laffe (als eenen lafharti- gen) stehen. Ist das wohl seiner Würde ge- mäß? Reimet sich das wohl mit seinem Cha- rakter? Warum dringt er nicht in Zayren, sich deutlicher zu erklären? Warum folgt er ihr nicht in das Seraglio? Durfte er ihr nicht dahin fol- gen?" -- Guter Duim! wenn sich Zayre deut- licher erkläret hätte: wo hätten denn die andern Akte sollen herkommen? Wäre nicht die ganze Tragödie darüber in die Bilze gegangen? -- Ganz Recht! auch die zweyte Scene des dritten Akts ist eben so abgeschmackt: Orosmann kömmt wieder zu Zayren; Zayre geht abermals, ohne die geringste nähere Erklärung, ab, und Orosmann, der gute Schlucker, (dien goeden hals) tröstet sich desfalls in einer Monologe. Aber, wie gesagt, die Verwickelung, oder Un- gewißheit, mußte doch bis zum fünften Aufzuge hinhalten; und wenn die ganze Katastrophe an einem Haare hängt, so hängen mehr wichtige Dinge in der Welt an keinem stärkern.
Die letzterwähnte Scene ist sonst diejenige, in welcher der Schauspieler, der die Rolle des Oros- mann hat, seine feinste Kunst in alle dem beschei- denen Glanze zeigen kann, in dem sie nur ein eben so seiner Kenner zu empfinden fähig ist. Er muß aus einer Gemüthsbewegung in die an- dere übergehen, und diesen Uebergang durch das stumme Spiel so natürlich zu machen wissen, daß
der
mann bleibt als ein Laffe (als eenen lafharti- gen) ſtehen. Iſt das wohl ſeiner Wuͤrde ge- maͤß? Reimet ſich das wohl mit ſeinem Cha- rakter? Warum dringt er nicht in Zayren, ſich deutlicher zu erklaͤren? Warum folgt er ihr nicht in das Seraglio? Durfte er ihr nicht dahin fol- gen?„ — Guter Duim! wenn ſich Zayre deut- licher erklaͤret haͤtte: wo haͤtten denn die andern Akte ſollen herkommen? Waͤre nicht die ganze Tragoͤdie daruͤber in die Bilze gegangen? — Ganz Recht! auch die zweyte Scene des dritten Akts iſt eben ſo abgeſchmackt: Orosmann koͤmmt wieder zu Zayren; Zayre geht abermals, ohne die geringſte naͤhere Erklaͤrung, ab, und Orosmann, der gute Schlucker, (dien goeden hals) troͤſtet ſich desfalls in einer Monologe. Aber, wie geſagt, die Verwickelung, oder Un- gewißheit, mußte doch bis zum fuͤnften Aufzuge hinhalten; und wenn die ganze Kataſtrophe an einem Haare haͤngt, ſo haͤngen mehr wichtige Dinge in der Welt an keinem ſtaͤrkern.
Die letzterwaͤhnte Scene iſt ſonſt diejenige, in welcher der Schauſpieler, der die Rolle des Oros- mann hat, ſeine feinſte Kunſt in alle dem beſchei- denen Glanze zeigen kann, in dem ſie nur ein eben ſo ſeiner Kenner zu empfinden faͤhig iſt. Er muß aus einer Gemuͤthsbewegung in die an- dere uͤbergehen, und dieſen Uebergang durch das ſtumme Spiel ſo natuͤrlich zu machen wiſſen, daß
der
<TEI><text><body><divn="1"><p><cit><quote><pbfacs="#f0141"n="127"/>
mann bleibt als ein Laffe (<hirendition="#aq">als eenen lafharti-<lb/>
gen</hi>) ſtehen. Iſt das wohl ſeiner Wuͤrde ge-<lb/>
maͤß? Reimet ſich das wohl mit ſeinem Cha-<lb/>
rakter? Warum dringt er nicht in Zayren, ſich<lb/>
deutlicher zu erklaͤren? Warum folgt er ihr nicht<lb/>
in das Seraglio? Durfte er ihr nicht dahin fol-<lb/>
gen?„</quote></cit>— Guter Duim! wenn ſich Zayre deut-<lb/>
licher erklaͤret haͤtte: wo haͤtten denn die andern<lb/>
Akte ſollen herkommen? Waͤre nicht die ganze<lb/>
Tragoͤdie daruͤber in die Bilze gegangen? —<lb/>
Ganz Recht! auch die zweyte Scene des dritten<lb/>
Akts iſt eben ſo abgeſchmackt: Orosmann<lb/>
koͤmmt wieder zu Zayren; Zayre geht abermals,<lb/>
ohne die geringſte naͤhere Erklaͤrung, ab, und<lb/>
Orosmann, der gute Schlucker, (<hirendition="#aq">dien goeden<lb/>
hals</hi>) troͤſtet ſich desfalls in einer Monologe.<lb/>
Aber, wie geſagt, die Verwickelung, oder Un-<lb/>
gewißheit, mußte doch bis zum fuͤnften Aufzuge<lb/>
hinhalten; und wenn die ganze Kataſtrophe an<lb/>
einem Haare haͤngt, ſo haͤngen mehr wichtige<lb/>
Dinge in der Welt an keinem ſtaͤrkern.</p><lb/><p>Die letzterwaͤhnte Scene iſt ſonſt diejenige, in<lb/>
welcher der Schauſpieler, der die Rolle des Oros-<lb/>
mann hat, ſeine feinſte Kunſt in alle dem beſchei-<lb/>
denen Glanze zeigen kann, in dem ſie nur ein<lb/>
eben ſo ſeiner Kenner zu empfinden faͤhig iſt.<lb/>
Er muß aus einer Gemuͤthsbewegung in die an-<lb/>
dere uͤbergehen, und dieſen Uebergang durch das<lb/>ſtumme Spiel ſo natuͤrlich zu machen wiſſen, daß<lb/><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[127/0141]
mann bleibt als ein Laffe (als eenen lafharti-
gen) ſtehen. Iſt das wohl ſeiner Wuͤrde ge-
maͤß? Reimet ſich das wohl mit ſeinem Cha-
rakter? Warum dringt er nicht in Zayren, ſich
deutlicher zu erklaͤren? Warum folgt er ihr nicht
in das Seraglio? Durfte er ihr nicht dahin fol-
gen?„ — Guter Duim! wenn ſich Zayre deut-
licher erklaͤret haͤtte: wo haͤtten denn die andern
Akte ſollen herkommen? Waͤre nicht die ganze
Tragoͤdie daruͤber in die Bilze gegangen? —
Ganz Recht! auch die zweyte Scene des dritten
Akts iſt eben ſo abgeſchmackt: Orosmann
koͤmmt wieder zu Zayren; Zayre geht abermals,
ohne die geringſte naͤhere Erklaͤrung, ab, und
Orosmann, der gute Schlucker, (dien goeden
hals) troͤſtet ſich desfalls in einer Monologe.
Aber, wie geſagt, die Verwickelung, oder Un-
gewißheit, mußte doch bis zum fuͤnften Aufzuge
hinhalten; und wenn die ganze Kataſtrophe an
einem Haare haͤngt, ſo haͤngen mehr wichtige
Dinge in der Welt an keinem ſtaͤrkern.
Die letzterwaͤhnte Scene iſt ſonſt diejenige, in
welcher der Schauſpieler, der die Rolle des Oros-
mann hat, ſeine feinſte Kunſt in alle dem beſchei-
denen Glanze zeigen kann, in dem ſie nur ein
eben ſo ſeiner Kenner zu empfinden faͤhig iſt.
Er muß aus einer Gemuͤthsbewegung in die an-
dere uͤbergehen, und dieſen Uebergang durch das
ſtumme Spiel ſo natuͤrlich zu machen wiſſen, daß
der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/141>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.