Die Rolle der stummen Schöne hat ihre Be- denklichkeiten. Eine stumme Schöne, sagt man, ist nicht nothwendig eine dumme, und die Schauspielerinn hat Unrecht, die eine alberne plumpe Dirne daraus macht. Aber Schlegels stumme Schönheit ist allerdings dumm zugleich; denn daß sie nichts spricht, kömmt daher, weil sie nichts denkt. Das Feine dabey würde also dieses seyn, daß man sie überall, wo sie, um artig zu scheinen, denken müßte, unartig machte, dabey aber ihr alle die Artigkeiten liesse, die blos mechanisch sind, und die sie, ohne viel zu den- ken, haben könnte. Ihr Gang z. E. ihre Ver- beugungen, brauchen gar nicht bäurisch zu seyn; sie können so gut und zierlich seyn, als sie nur immer ein Tanzmeister lehren kann; denn warum sollte sie von ihrem Tanzmeister nichts gelernt haben, da sie sogar Quadrille gelernt hat? Und sie muß Quadrille nicht schlecht spielen; denn sie rechnet fest darauf, dem Papa das Geld abzu- gewinnen. Auch ihre Kleidung muß weder alt- vätrisch, noch schlumpicht seyn; denn Frau Praat- gern sagt ausdrücklich:
"Bist du vielleicht nicht wohl gekleidet? -- Laß doch sehn! "Nun! -- dreh dich um! -- das ist ja gut, und sitzt galant. "Was sagt denn der Phantast, dir fehlte der Verstand?
In
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Die Rolle der ſtummen Schoͤne hat ihre Be- denklichkeiten. Eine ſtumme Schoͤne, ſagt man, iſt nicht nothwendig eine dumme, und die Schauſpielerinn hat Unrecht, die eine alberne plumpe Dirne daraus macht. Aber Schlegels ſtumme Schoͤnheit iſt allerdings dumm zugleich; denn daß ſie nichts ſpricht, koͤmmt daher, weil ſie nichts denkt. Das Feine dabey wuͤrde alſo dieſes ſeyn, daß man ſie uͤberall, wo ſie, um artig zu ſcheinen, denken muͤßte, unartig machte, dabey aber ihr alle die Artigkeiten lieſſe, die blos mechaniſch ſind, und die ſie, ohne viel zu den- ken, haben koͤnnte. Ihr Gang z. E. ihre Ver- beugungen, brauchen gar nicht baͤuriſch zu ſeyn; ſie koͤnnen ſo gut und zierlich ſeyn, als ſie nur immer ein Tanzmeiſter lehren kann; denn warum ſollte ſie von ihrem Tanzmeiſter nichts gelernt haben, da ſie ſogar Quadrille gelernt hat? Und ſie muß Quadrille nicht ſchlecht ſpielen; denn ſie rechnet feſt darauf, dem Papa das Geld abzu- gewinnen. Auch ihre Kleidung muß weder alt- vaͤtriſch, noch ſchlumpicht ſeyn; denn Frau Praat- gern ſagt ausdruͤcklich:
„Biſt du vielleicht nicht wohl gekleidet? — Laß doch ſehn! „Nun! — dreh dich um! — das iſt ja gut, und ſitzt galant. „Was ſagt denn der Phantaſt, dir fehlte der Verſtand?
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Die Rolle der ſtummen Schoͤne hat ihre Be-
denklichkeiten. Eine ſtumme Schoͤne, ſagt
man, iſt nicht nothwendig eine dumme, und die
Schauſpielerinn hat Unrecht, die eine alberne
plumpe Dirne daraus macht. Aber Schlegels
ſtumme Schoͤnheit iſt allerdings dumm zugleich;
denn daß ſie nichts ſpricht, koͤmmt daher, weil
ſie nichts denkt. Das Feine dabey wuͤrde alſo
dieſes ſeyn, daß man ſie uͤberall, wo ſie, um
artig zu ſcheinen, denken muͤßte, unartig machte,
dabey aber ihr alle die Artigkeiten lieſſe, die blos
mechaniſch ſind, und die ſie, ohne viel zu den-
ken, haben koͤnnte. Ihr Gang z. E. ihre Ver-
beugungen, brauchen gar nicht baͤuriſch zu ſeyn;
ſie koͤnnen ſo gut und zierlich ſeyn, als ſie nur
immer ein Tanzmeiſter lehren kann; denn warum
ſollte ſie von ihrem Tanzmeiſter nichts gelernt
haben, da ſie ſogar Quadrille gelernt hat? Und
ſie muß Quadrille nicht ſchlecht ſpielen; denn ſie
rechnet feſt darauf, dem Papa das Geld abzu-
gewinnen. Auch ihre Kleidung muß weder alt-
vaͤtriſch, noch ſchlumpicht ſeyn; denn Frau Praat-
gern ſagt ausdruͤcklich:
„Biſt du vielleicht nicht wohl gekleidet? — Laß
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/115>, abgerufen am 22.11.2024.
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