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Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

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a. Declination der Nomina.
gegen die Lautgesetze Bildungen einer einzelnen Sprache mit vorhandenen ve-
dischen und sanskritischen zu identificiren und so als uralt hinzustellen, während
sie in der That oft sehr späten Ursprungs sind. Ferner herrscht, wo solche Ver-
gleichungen nicht möglich sind, die Gewohnheit, eine bestimmte unerklärbare
Bildung mit Anwendung der bekannten Entwickelungsgesetze der Laute in die
Periode der Ursprache zurückzuverlegen und so hypothetische Grundformen, z. B.
der Casus einer Einzelsprache oder einer Gruppe anzusetzen, die niemals existirt
haben. Beispiele dieser von demselben Punkte ausgehenden falschen Richtungen
werden uns unten begegnen.

Dieser Stand der Dinge macht es nothwendig, jede Casusform der drei
Sprachen, mit denen wir es hier zu thun haben, einer genauen Prüfung zu unter-
werfen, deren Richtschnur die Frage sein wird: ist die für einen jeden Casus von
der vergleichenden Grammatik bisher angenommene Grundform wirklich die,
aus der nach den bekannten Entwicklungsgesetzen der betreffenden Sprache der
Casus hat entstehen können? Um dem vielfach angefochtenen und in der That
missbrauchten, aber bequemen Worte Grundform einen für den Bereich dieser
Arbeit unzweifelhaften Sinn zu geben, sei hier bemerkt, dass, wenn keine
näheren Bestimmungen hinzugefügt sind, unter Grundform, z. B. eines Casus,
jedesmal diejenige Gestelt zu verstehen ist, die derselbe hatte unmittelbar vor
oder in der Zeit der Trennung der bestimmten Einzelsprache von der ihr im
Kreise der indogermanischen nächst verwandten, also z. B. eine slavische Grund-
form werden wir diejenige nennen, die dem betreffenden Worte zukam bei der
Trennung des Slavischen vom Litauischen, oder, was mit anderen Worten das-
selbe sagt, diejenige Form, welche mit Anwendung der bekannten Entwicklungs-
gesetze der Einzelsprache die für diese anzusetzende älteste Gestalt repräsentirt.

Die Entwicklung einer bestimmten Flexionsreihe, also hier der Declination,
unterliegt dem Einfluss zweier Momente. Jede Sprache besitzt zur Zeit ihres
Entstehens als Einzelsprache eine gewisse Anzahl von Casusformen, herüber-
gebracht aus der Periode ihres Zusammenlebens mit einer oder mehreren ver-
wandten Sprachen. Diese Formen nehmen ausnahmslos die Gestalt an, welche
die Wirkung der Lautgesetze, vor allen der hier namentlich in Betracht kommen-
den Auslautsgesetze, hervorbringen muss. So weit ist die Entwicklung einfach
und, wie man sagen kann, regelrecht. Nun erscheinen aber thatsächlich in der
einen Sprache mehr, in der anderen weniger Bildungen, deren Gestalt durch
die Wirkung der Lautgesetze nicht erklärt werden kann, aber auch nicht erklärt
werden darf; sie sind der Stammclasse oder der Function, der sie dem Sprach-
gebrauche nach anzugehören scheinen, ursprünglich fremd, einer anderen Stamm-
classe entlehnt oder mit einer ihnen von Hause aus nicht zukommenden Function
versehen, mit einem Worte Analogiebildungen. Beide Momente, lautgesetzliche
Umbildung und Analogie, erklären die in einer bestimmten Periode vorhandene
Gestalt der Declination einer Sprache, wie jeder Art der Flexion, und nur diese
beiden Momente kommen in Betracht. Untersuchen wir also nach dem ange-
gebenen Princip die einzelnen Casusformen unsrer Sprachen, und zwar so, dass
bekanntes oder ohne Schwierigkeit erkennbares vorangestellt und seine Bedeutung

a. Declination der Nomina.
gegen die Lautgesetze Bildungen einer einzelnen Sprache mit vorhandenen ve-
dischen und sanskritischen zu identificiren und so als uralt hinzustellen, während
sie in der That oft sehr späten Ursprungs sind. Ferner herrscht, wo solche Ver-
gleichungen nicht möglich sind, die Gewohnheit, eine bestimmte unerklärbare
Bildung mit Anwendung der bekannten Entwickelungsgesetze der Laute in die
Periode der Ursprache zurückzuverlegen und so hypothetische Grundformen, z. B.
der Casus einer Einzelsprache oder einer Gruppe anzusetzen, die niemals existirt
haben. Beispiele dieser von demselben Punkte ausgehenden falschen Richtungen
werden uns unten begegnen.

Dieser Stand der Dinge macht es nothwendig, jede Casusform der drei
Sprachen, mit denen wir es hier zu thun haben, einer genauen Prüfung zu unter-
werfen, deren Richtschnur die Frage sein wird: ist die für einen jeden Casus von
der vergleichenden Grammatik bisher angenommene Grundform wirklich die,
aus der nach den bekannten Entwicklungsgesetzen der betreffenden Sprache der
Casus hat entstehen können? Um dem vielfach angefochtenen und in der That
missbrauchten, aber bequemen Worte Grundform einen für den Bereich dieser
Arbeit unzweifelhaften Sinn zu geben, sei hier bemerkt, dass, wenn keine
näheren Bestimmungen hinzugefügt sind, unter Grundform, z. B. eines Casus,
jedesmal diejenige Gestelt zu verstehen ist, die derselbe hatte unmittelbar vor
oder in der Zeit der Trennung der bestimmten Einzelsprache von der ihr im
Kreise der indogermanischen nächst verwandten, also z. B. eine slavische Grund-
form werden wir diejenige nennen, die dem betreffenden Worte zukam bei der
Trennung des Slavischen vom Litauischen, oder, was mit anderen Worten das-
selbe sagt, diejenige Form, welche mit Anwendung der bekannten Entwicklungs-
gesetze der Einzelsprache die für diese anzusetzende älteste Gestalt repräsentirt.

Die Entwicklung einer bestimmten Flexionsreihe, also hier der Declination,
unterliegt dem Einfluss zweier Momente. Jede Sprache besitzt zur Zeit ihres
Entstehens als Einzelsprache eine gewisse Anzahl von Casusformen, herüber-
gebracht aus der Periode ihres Zusammenlebens mit einer oder mehreren ver-
wandten Sprachen. Diese Formen nehmen ausnahmslos die Gestalt an, welche
die Wirkung der Lautgesetze, vor allen der hier namentlich in Betracht kommen-
den Auslautsgesetze, hervorbringen muss. So weit ist die Entwicklung einfach
und, wie man sagen kann, regelrecht. Nun erscheinen aber thatsächlich in der
einen Sprache mehr, in der anderen weniger Bildungen, deren Gestalt durch
die Wirkung der Lautgesetze nicht erklärt werden kann, aber auch nicht erklärt
werden darf; sie sind der Stammclasse oder der Function, der sie dem Sprach-
gebrauche nach anzugehören scheinen, ursprünglich fremd, einer anderen Stamm-
classe entlehnt oder mit einer ihnen von Hause aus nicht zukommenden Function
versehen, mit einem Worte Analogiebildungen. Beide Momente, lautgesetzliche
Umbildung und Analogie, erklären die in einer bestimmten Periode vorhandene
Gestalt der Declination einer Sprache, wie jeder Art der Flexion, und nur diese
beiden Momente kommen in Betracht. Untersuchen wir also nach dem ange-
gebenen Princip die einzelnen Casusformen unsrer Sprachen, und zwar so, dass
bekanntes oder ohne Schwierigkeit erkennbares vorangestellt und seine Bedeutung

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[2/0038] a. Declination der Nomina. gegen die Lautgesetze Bildungen einer einzelnen Sprache mit vorhandenen ve- dischen und sanskritischen zu identificiren und so als uralt hinzustellen, während sie in der That oft sehr späten Ursprungs sind. Ferner herrscht, wo solche Ver- gleichungen nicht möglich sind, die Gewohnheit, eine bestimmte unerklärbare Bildung mit Anwendung der bekannten Entwickelungsgesetze der Laute in die Periode der Ursprache zurückzuverlegen und so hypothetische Grundformen, z. B. der Casus einer Einzelsprache oder einer Gruppe anzusetzen, die niemals existirt haben. Beispiele dieser von demselben Punkte ausgehenden falschen Richtungen werden uns unten begegnen. Dieser Stand der Dinge macht es nothwendig, jede Casusform der drei Sprachen, mit denen wir es hier zu thun haben, einer genauen Prüfung zu unter- werfen, deren Richtschnur die Frage sein wird: ist die für einen jeden Casus von der vergleichenden Grammatik bisher angenommene Grundform wirklich die, aus der nach den bekannten Entwicklungsgesetzen der betreffenden Sprache der Casus hat entstehen können? Um dem vielfach angefochtenen und in der That missbrauchten, aber bequemen Worte Grundform einen für den Bereich dieser Arbeit unzweifelhaften Sinn zu geben, sei hier bemerkt, dass, wenn keine näheren Bestimmungen hinzugefügt sind, unter Grundform, z. B. eines Casus, jedesmal diejenige Gestelt zu verstehen ist, die derselbe hatte unmittelbar vor oder in der Zeit der Trennung der bestimmten Einzelsprache von der ihr im Kreise der indogermanischen nächst verwandten, also z. B. eine slavische Grund- form werden wir diejenige nennen, die dem betreffenden Worte zukam bei der Trennung des Slavischen vom Litauischen, oder, was mit anderen Worten das- selbe sagt, diejenige Form, welche mit Anwendung der bekannten Entwicklungs- gesetze der Einzelsprache die für diese anzusetzende älteste Gestalt repräsentirt. Die Entwicklung einer bestimmten Flexionsreihe, also hier der Declination, unterliegt dem Einfluss zweier Momente. Jede Sprache besitzt zur Zeit ihres Entstehens als Einzelsprache eine gewisse Anzahl von Casusformen, herüber- gebracht aus der Periode ihres Zusammenlebens mit einer oder mehreren ver- wandten Sprachen. Diese Formen nehmen ausnahmslos die Gestalt an, welche die Wirkung der Lautgesetze, vor allen der hier namentlich in Betracht kommen- den Auslautsgesetze, hervorbringen muss. So weit ist die Entwicklung einfach und, wie man sagen kann, regelrecht. Nun erscheinen aber thatsächlich in der einen Sprache mehr, in der anderen weniger Bildungen, deren Gestalt durch die Wirkung der Lautgesetze nicht erklärt werden kann, aber auch nicht erklärt werden darf; sie sind der Stammclasse oder der Function, der sie dem Sprach- gebrauche nach anzugehören scheinen, ursprünglich fremd, einer anderen Stamm- classe entlehnt oder mit einer ihnen von Hause aus nicht zukommenden Function versehen, mit einem Worte Analogiebildungen. Beide Momente, lautgesetzliche Umbildung und Analogie, erklären die in einer bestimmten Periode vorhandene Gestalt der Declination einer Sprache, wie jeder Art der Flexion, und nur diese beiden Momente kommen in Betracht. Untersuchen wir also nach dem ange- gebenen Princip die einzelnen Casusformen unsrer Sprachen, und zwar so, dass bekanntes oder ohne Schwierigkeit erkennbares vorangestellt und seine Bedeutung

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Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/38>, abgerufen am 24.11.2024.