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Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

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a. Declination der Nomina.
unvaurstvon- (Müssige), fem. zu vaurstvan-,
daura-vardon- neben daura-varda fem. zu daura-varda- msc.;
gamarkon- (Grenznachbarin) zu marka;
malon- (Motte) zu malan;
vinthi-skauron- (Wurfschaufel).

Es ist von vornherein klar, dass hier nicht unmittelbar ein Suffix -an- zu
Grunde liegen kann, denn an diesem konnte ein Genusunterschied ursprünglich
nicht ausgedrückt werden, daher denn im Griechischen e aedon, o und e aregon.
Sollte das Femininum kenntlich gemacht werden, so konnte es nur durch ein
neues Suffix geschehen, griech. tektaina zu tekton u. a., skrt. ragni d. i. *ra-
gan-ja
zu ragan-. Das ist im Gotischen nicht geschehen, jene gotischen Femi-
nina sind also germanische Neubildungen, und zwar, wie mir unzweifelhaft scheint,
Analogiebildungen: wie dem msc. auf -a ein fem. auf -a gegenübersteht, vgl.
daura-varda- msc. zu daura-varda fem., so stellte die Sprache neben das alte
-an- ein jüngeres -an-, d. i. -on-. Das Bedürfniss, besondere Bezeichnungen für
das femininale nom. ag. zu haben, ist in den Sprachen, wie es scheint, über-
haupt jüngeren Ursprungs: die ältesten Verwandtschaftsnamen auf -tar- unter-
scheiden die Genera nicht; das Slavische hat neben dem aus älterem -tar- der
nom. ag. weiter gebildeten msc. -tarja-, nom. sg. -telji (da-telji, dator), kein fem.,
obwohl es ganz einfach gewesen wäre, das entsprechende Femininum *datelja zu
brauchen; das Griechische und Sanskrit verwenden -ja zur Femininalbildung,
doteira, datri = *datarja, lateinisch wieder -ic-, sodass die Sprachen weder ein
völliges Durchführen des Genusunterschiedes zeigen noch in der Formation des
fem. übereinstimmen. Im Germanischen werden alte Feminina auf -a mit dem
Sinne eines nom. ag. wie -varda zur Bildung der -an-formen beigetragen haben:
man hatte also alte nom. ag. auf -a msc. gen. (-varda-), eine weit grössere An-
zahl dagegen von solchen in der Sprache lebendig empfundenen auf -an-, jenen
entsprechend fem. auf -a, und schuf zu diesen dann die conformen auf -an-.

2. Eine weit zahlreichere Classe besteht aus Abstracten und zwar

a) Verbalabstracten:

armaion- zu arman, das Erbarmen,
brinnon- zu brinnan, Fieber, eigentl. "Brand",
driuson- zu driusan, Abhang, eigentl. "Fall",
reiron- zu reiran, Zittern,
rinnon- zu rinnan, Bach, vgl. Fluss: fliessen,
vinnon- zu vinnan, Leiden

u. s. w.

b) von Adjectiven:

fullon- Fülle zu fulla-,
heiton- Hitze, Fieber, zu einem Adjectiv * heita-,
aglon- zu agla-, Trübsal,
gariudjon-, Ehrbarkeit, zu gariuds, Stamm -riuda-.

Dass in dieser Kategorie von Worten dasselbe Suffix -a oder -ja ursprünglich

a. Declination der Nomina.
unvaurstvōn- (Müssige), fem. zu vaurstvan-,
daura-vardōn- neben daura-varda fem. zu daura-varda- msc.;
gamarkōn- (Grenznachbarin) zu marka;
malōn- (Motte) zu malan;
vinþi-skaurōn- (Wurfschaufel).

Es ist von vornherein klar, dass hier nicht unmittelbar ein Suffix -an- zu
Grunde liegen kann, denn an diesem konnte ein Genusunterschied ursprünglich
nicht ausgedrückt werden, daher denn im Griechischen ἡ ἀηδών, ὁ und ἡ ἀρηγών.
Sollte das Femininum kenntlich gemacht werden, so konnte es nur durch ein
neues Suffix geschehen, griech. τέκταινα zu τέκτων u. a., skrt. râǵńī d. i. *râ-
ǵan-jā
zu râǵan-. Das ist im Gotischen nicht geschehen, jene gotischen Femi-
nina sind also germanische Neubildungen, und zwar, wie mir unzweifelhaft scheint,
Analogiebildungen: wie dem msc. auf -a ein fem. auf gegenübersteht, vgl.
daura-varda- msc. zu daura-vardā fem., so stellte die Sprache neben das alte
-an- ein jüngeres -ān-, d. i. -ōn-. Das Bedürfniss, besondere Bezeichnungen für
das femininale nom. ag. zu haben, ist in den Sprachen, wie es scheint, über-
haupt jüngeren Ursprungs: die ältesten Verwandtschaftsnamen auf -tar- unter-
scheiden die Genera nicht; das Slavische hat neben dem aus älterem -tar- der
nom. ag. weiter gebildeten msc. -tarja-, nom. sg. -teljĭ (da-teljĭ, dator), kein fem.,
obwohl es ganz einfach gewesen wäre, das entsprechende Femininum *dateljā zu
brauchen; das Griechische und Sanskrit verwenden -jā zur Femininalbildung,
δότειρα, dātrī = *dātarjā, lateinisch wieder -īc-, sodass die Sprachen weder ein
völliges Durchführen des Genusunterschiedes zeigen noch in der Formation des
fem. übereinstimmen. Im Germanischen werden alte Feminina auf mit dem
Sinne eines nom. ag. wie -vardā zur Bildung der -ān-formen beigetragen haben:
man hatte also alte nom. ag. auf -a msc. gen. (-varda-), eine weit grössere An-
zahl dagegen von solchen in der Sprache lebendig empfundenen auf -an-, jenen
entsprechend fem. auf , und schuf zu diesen dann die conformen auf -ān-.

2. Eine weit zahlreichere Classe besteht aus Abstracten und zwar

a) Verbalabstracten:

armaiōn- zu arman, das Erbarmen,
brinnōn- zu brinnan, Fieber, eigentl. «Brand»,
driusōn- zu driusan, Abhang, eigentl. «Fall»,
reirōn- zu reiran, Zittern,
rinnōn- zu rinnan, Bach, vgl. Fluss: fliessen,
vinnōn- zu vinnan, Leiden

u. s. w.

b) von Adjectiven:

fullōn- Fülle zu fulla-,
heitōn- Hitze, Fieber, zu einem Adjectiv * heita-,
aglōn- zu agla-, Trübsal,
gariudjōn-, Ehrbarkeit, zu gariuds, Stamm -riuda-.

Dass in dieser Kategorie von Worten dasselbe Suffix oder -jā ursprünglich

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[94/0130] a. Declination der Nomina. unvaurstvōn- (Müssige), fem. zu vaurstvan-, daura-vardōn- neben daura-varda fem. zu daura-varda- msc.; gamarkōn- (Grenznachbarin) zu marka; malōn- (Motte) zu malan; vinþi-skaurōn- (Wurfschaufel). Es ist von vornherein klar, dass hier nicht unmittelbar ein Suffix -an- zu Grunde liegen kann, denn an diesem konnte ein Genusunterschied ursprünglich nicht ausgedrückt werden, daher denn im Griechischen ἡ ἀηδών, ὁ und ἡ ἀρηγών. Sollte das Femininum kenntlich gemacht werden, so konnte es nur durch ein neues Suffix geschehen, griech. τέκταινα zu τέκτων u. a., skrt. râǵńī d. i. *râ- ǵan-jā zu râǵan-. Das ist im Gotischen nicht geschehen, jene gotischen Femi- nina sind also germanische Neubildungen, und zwar, wie mir unzweifelhaft scheint, Analogiebildungen: wie dem msc. auf -a ein fem. auf -ā gegenübersteht, vgl. daura-varda- msc. zu daura-vardā fem., so stellte die Sprache neben das alte -an- ein jüngeres -ān-, d. i. -ōn-. Das Bedürfniss, besondere Bezeichnungen für das femininale nom. ag. zu haben, ist in den Sprachen, wie es scheint, über- haupt jüngeren Ursprungs: die ältesten Verwandtschaftsnamen auf -tar- unter- scheiden die Genera nicht; das Slavische hat neben dem aus älterem -tar- der nom. ag. weiter gebildeten msc. -tarja-, nom. sg. -teljĭ (da-teljĭ, dator), kein fem., obwohl es ganz einfach gewesen wäre, das entsprechende Femininum *dateljā zu brauchen; das Griechische und Sanskrit verwenden -jā zur Femininalbildung, δότειρα, dātrī = *dātarjā, lateinisch wieder -īc-, sodass die Sprachen weder ein völliges Durchführen des Genusunterschiedes zeigen noch in der Formation des fem. übereinstimmen. Im Germanischen werden alte Feminina auf -ā mit dem Sinne eines nom. ag. wie -vardā zur Bildung der -ān-formen beigetragen haben: man hatte also alte nom. ag. auf -a msc. gen. (-varda-), eine weit grössere An- zahl dagegen von solchen in der Sprache lebendig empfundenen auf -an-, jenen entsprechend fem. auf -ā, und schuf zu diesen dann die conformen auf -ān-. 2. Eine weit zahlreichere Classe besteht aus Abstracten und zwar a) Verbalabstracten: armaiōn- zu arman, das Erbarmen, brinnōn- zu brinnan, Fieber, eigentl. «Brand», driusōn- zu driusan, Abhang, eigentl. «Fall», reirōn- zu reiran, Zittern, rinnōn- zu rinnan, Bach, vgl. Fluss: fliessen, vinnōn- zu vinnan, Leiden u. s. w. b) von Adjectiven: fullōn- Fülle zu fulla-, heitōn- Hitze, Fieber, zu einem Adjectiv * heita-, aglōn- zu agla-, Trübsal, gariudjōn-, Ehrbarkeit, zu gariuds, Stamm -riuda-. Dass in dieser Kategorie von Worten dasselbe Suffix -ā oder -jā ursprünglich

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Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/130>, abgerufen am 22.11.2024.