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Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

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a. Declination der Nomina.
Geht man bei den letzteren von der starken Uebereinstimmung mit den arischen
Formen auf -a-ja in dem j und der Kürze des Stammauslautes aus, so kann man
nicht umhin, Bopps sinnreiche Erklärung (vgl. Gr.3 II, 539) wahrscheinlich zu
finden, wornach -o-ja = -a-j-a-mi, also an die fertige Instrumentalform auf -a
noch einmal Suffix -mi angetreten sein soll (vgl. auch Schleicher, Comp.3 564).
Diese zweite Anfügung wäre zu erklären aus der sonst allgemeinen Verbreitung des
-mi. Freilich bleibt dabei eine lautliche Schwierigkeit, der Abfall des auslauten-
den i; ursprünglich auslautende Vocale fallen bekanntlich im Slavischen nicht ab.
Schleicher vergleicht ihn mit dem Abfall des i in der 1. sg. praes., veza = *va-
gham
aus *vaghami, allein es lässt sich leicht nachweisen, dass bei den Verbal-
stämmen auf -a der Abfall des i älter ist als die Einzelsprachen, wahrscheinlich
allgemein europäisch, sicher germanisch, denn *viga kann nicht auf germanischem
Boden aus veghami hervorgegangen sein, sondern nur aus vorgermanischem
*vegham. Der instr. sg. fem. wäre ja aber eine speciell slavische Neubildung mit
einem Suffixe, das in allen andern Fällen, wo es vorkommt, nie sein -i verloren
hat; und bei derartigen secundären Analogiebildungen halten sich sonst die
Sprachen streng an das vorliegende Muster. Der Schwund des i in -o-ja würde
in der That das einzige Beispiel vom Abfall eines ursprünglich auslautenden
Vocals in der gesammten Sonderentwicklung des Slavischen bilden. Wenn man
nun noch überlegt, dass es nicht recht begreiflich ist, warum die Sprache eine so
deutliche, von allen andern Casusformen unterschiedene Bildung wie das voraus-
zusetzende *zenoja = ursprünglichem *gana-ja aufgegeben habe, so erscheint es
um so unbegreiflicher, warum, wenn trotzdem Analogiebildung nach den Formen
auf -mi eintrat, die neue Gestaltung *zenojami wieder von den letzteren ab-
weichend behandelt wurde. Kurz, so plausibel auch auf den ersten Blick Bopps
und Schleichers Erklärung erscheint, so hat sie ihre sehr bedenklichen Seiten,
und man muss die Vermuthung aussprechen dürfen, dass die Entstehung dieser
Form eine andere sei: zenoja führt mit Beobachtung der Lautgesetze nur auf
*genajam zurück, und es scheint mir die Annahme nicht ganz abweisbar, dass
hier in der That das Suffix als -j-am anzusetzen. Oben wurde das Locativsuffix
-ja behandelt und nachgewiesen, dass es in dieser Form im gotischen dat. sg.
der a-stämme wie im Litauischen (ja, je) ursprünglich sei; dazu stimmt die
Zendform, und doch heisst es im Sanskrit -a-jam, wofür es kaum eine andere
Erklärung geben dürfte, als dass jenes in der Casusbildung öfter verwendete
Element -am angetreten, also das Suffix = -ja + am sei, wie auch Schleicher
eine solche Auflösung für die pronominale Form jasjam angedeutet hat (Comp.3
614). Zu vergleichen wäre das Dativsuffix -bhj-am neben dem Instrumental-
suffix -bhi und der Wechsel pronominaler Formen mit und ohne -am in den
verschiedenen Sprachen: lat., germ., slav., lit. Grundform der II. Person tu, tu,
sanskr. tv-am. Wie sich indess die Sache auch verhalten mag, für die Geschichte
dieser Form im Slavischen scheint mir noch eine Berichtigung nöthig: Schleicher
Comp.3 564 nimmt kostija als direct einer Grundform auf -i-ja (+ mi) ent-
sprechend, dieser Form nachgebildet die der consonantischen Stämme materija,
crikuvija
. Darnach müsste man annehmen, das Suffix -mi sei seit ältester Zeit

a. Declination der Nomina.
Geht man bei den letzteren von der starken Uebereinstimmung mit den arischen
Formen auf -a-jā in dem j und der Kürze des Stammauslautes aus, so kann man
nicht umhin, Bopps sinnreiche Erklärung (vgl. Gr.3 II, 539) wahrscheinlich zu
finden, wornach -o-ją = -a-j-ā-mi, also an die fertige Instrumentalform auf
noch einmal Suffix -mi angetreten sein soll (vgl. auch Schleicher, Comp.3 564).
Diese zweite Anfügung wäre zu erklären aus der sonst allgemeinen Verbreitung des
-mi. Freilich bleibt dabei eine lautliche Schwierigkeit, der Abfall des auslauten-
den i; ursprünglich auslautende Vocale fallen bekanntlich im Slavischen nicht ab.
Schleicher vergleicht ihn mit dem Abfall des i in der 1. sg. praes., vezą = *va-
ghām
aus *vaghāmi, allein es lässt sich leicht nachweisen, dass bei den Verbal-
stämmen auf -a der Abfall des i älter ist als die Einzelsprachen, wahrscheinlich
allgemein europäisch, sicher germanisch, denn *viga kann nicht auf germanischem
Boden aus veghāmi hervorgegangen sein, sondern nur aus vorgermanischem
*veghām. Der instr. sg. fem. wäre ja aber eine speciell slavische Neubildung mit
einem Suffixe, das in allen andern Fällen, wo es vorkommt, nie sein verloren
hat; und bei derartigen secundären Analogiebildungen halten sich sonst die
Sprachen streng an das vorliegende Muster. Der Schwund des i in -o-ją würde
in der That das einzige Beispiel vom Abfall eines ursprünglich auslautenden
Vocals in der gesammten Sonderentwicklung des Slavischen bilden. Wenn man
nun noch überlegt, dass es nicht recht begreiflich ist, warum die Sprache eine so
deutliche, von allen andern Casusformen unterschiedene Bildung wie das voraus-
zusetzende *ženoja = ursprünglichem *gana-jā aufgegeben habe, so erscheint es
um so unbegreiflicher, warum, wenn trotzdem Analogiebildung nach den Formen
auf -mĭ eintrat, die neue Gestaltung *ženojāmĭ wieder von den letzteren ab-
weichend behandelt wurde. Kurz, so plausibel auch auf den ersten Blick Bopps
und Schleichers Erklärung erscheint, so hat sie ihre sehr bedenklichen Seiten,
und man muss die Vermuthung aussprechen dürfen, dass die Entstehung dieser
Form eine andere sei: ženoją führt mit Beobachtung der Lautgesetze nur auf
*genajām zurück, und es scheint mir die Annahme nicht ganz abweisbar, dass
hier in der That das Suffix als -j-ām anzusetzen. Oben wurde das Locativsuffix
-ja behandelt und nachgewiesen, dass es in dieser Form im gotischen dat. sg.
der ā-stämme wie im Litauischen (ja, je) ursprünglich sei; dazu stimmt die
Zendform, und doch heisst es im Sanskrit -ā-jām, wofür es kaum eine andere
Erklärung geben dürfte, als dass jenes in der Casusbildung öfter verwendete
Element -am angetreten, also das Suffix = -ja + am sei, wie auch Schleicher
eine solche Auflösung für die pronominale Form jasjām angedeutet hat (Comp.3
614). Zu vergleichen wäre das Dativsuffix -bhj-am neben dem Instrumental-
suffix -bhi und der Wechsel pronominaler Formen mit und ohne -am in den
verschiedenen Sprachen: lat., germ., slav., lit. Grundform der II. Person tu, tū,
sanskr. tv-am. Wie sich indess die Sache auch verhalten mag, für die Geschichte
dieser Form im Slavischen scheint mir noch eine Berichtigung nöthig: Schleicher
Comp.3 564 nimmt kostiją als direct einer Grundform auf -i-jā (+ mi) ent-
sprechend, dieser Form nachgebildet die der consonantischen Stämme materiją,
crĭkŭviją
. Darnach müsste man annehmen, das Suffix -mi sei seit ältester Zeit

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[70/0106] a. Declination der Nomina. Geht man bei den letzteren von der starken Uebereinstimmung mit den arischen Formen auf -a-jā in dem j und der Kürze des Stammauslautes aus, so kann man nicht umhin, Bopps sinnreiche Erklärung (vgl. Gr.3 II, 539) wahrscheinlich zu finden, wornach -o-ją = -a-j-ā-mi, also an die fertige Instrumentalform auf -ā noch einmal Suffix -mi angetreten sein soll (vgl. auch Schleicher, Comp.3 564). Diese zweite Anfügung wäre zu erklären aus der sonst allgemeinen Verbreitung des -mi. Freilich bleibt dabei eine lautliche Schwierigkeit, der Abfall des auslauten- den i; ursprünglich auslautende Vocale fallen bekanntlich im Slavischen nicht ab. Schleicher vergleicht ihn mit dem Abfall des i in der 1. sg. praes., vezą = *va- ghām aus *vaghāmi, allein es lässt sich leicht nachweisen, dass bei den Verbal- stämmen auf -a der Abfall des i älter ist als die Einzelsprachen, wahrscheinlich allgemein europäisch, sicher germanisch, denn *viga kann nicht auf germanischem Boden aus veghāmi hervorgegangen sein, sondern nur aus vorgermanischem *veghām. Der instr. sg. fem. wäre ja aber eine speciell slavische Neubildung mit einem Suffixe, das in allen andern Fällen, wo es vorkommt, nie sein -ĭ verloren hat; und bei derartigen secundären Analogiebildungen halten sich sonst die Sprachen streng an das vorliegende Muster. Der Schwund des i in -o-ją würde in der That das einzige Beispiel vom Abfall eines ursprünglich auslautenden Vocals in der gesammten Sonderentwicklung des Slavischen bilden. Wenn man nun noch überlegt, dass es nicht recht begreiflich ist, warum die Sprache eine so deutliche, von allen andern Casusformen unterschiedene Bildung wie das voraus- zusetzende *ženoja = ursprünglichem *gana-jā aufgegeben habe, so erscheint es um so unbegreiflicher, warum, wenn trotzdem Analogiebildung nach den Formen auf -mĭ eintrat, die neue Gestaltung *ženojāmĭ wieder von den letzteren ab- weichend behandelt wurde. Kurz, so plausibel auch auf den ersten Blick Bopps und Schleichers Erklärung erscheint, so hat sie ihre sehr bedenklichen Seiten, und man muss die Vermuthung aussprechen dürfen, dass die Entstehung dieser Form eine andere sei: ženoją führt mit Beobachtung der Lautgesetze nur auf *genajām zurück, und es scheint mir die Annahme nicht ganz abweisbar, dass hier in der That das Suffix als -j-ām anzusetzen. Oben wurde das Locativsuffix -ja behandelt und nachgewiesen, dass es in dieser Form im gotischen dat. sg. der ā-stämme wie im Litauischen (ja, je) ursprünglich sei; dazu stimmt die Zendform, und doch heisst es im Sanskrit -ā-jām, wofür es kaum eine andere Erklärung geben dürfte, als dass jenes in der Casusbildung öfter verwendete Element -am angetreten, also das Suffix = -ja + am sei, wie auch Schleicher eine solche Auflösung für die pronominale Form jasjām angedeutet hat (Comp.3 614). Zu vergleichen wäre das Dativsuffix -bhj-am neben dem Instrumental- suffix -bhi und der Wechsel pronominaler Formen mit und ohne -am in den verschiedenen Sprachen: lat., germ., slav., lit. Grundform der II. Person tu, tū, sanskr. tv-am. Wie sich indess die Sache auch verhalten mag, für die Geschichte dieser Form im Slavischen scheint mir noch eine Berichtigung nöthig: Schleicher Comp.3 564 nimmt kostiją als direct einer Grundform auf -i-jā (+ mi) ent- sprechend, dieser Form nachgebildet die der consonantischen Stämme materiją, crĭkŭviją. Darnach müsste man annehmen, das Suffix -mi sei seit ältester Zeit

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Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/106>, abgerufen am 24.11.2024.