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Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.

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Biron. Alle Ergötzungen sind eitel, es
ist wahr, aber die gelehrten am meisten.
Da über einem Buch schweben und das Licht
der Wahrheit suchen, das uns doch nur die
Augen thränen macht. Licht mit einem Licht
suchen, betrügt uns oft um das Licht, das wir
haben. Studirt lieber, wie ihr dem Auge
Vergnügen schaffen wollt, wenn ihrs auf
ein ander schönes Auge heftet, wird es da
gleich geblendet, so wird sich das andere
Auge seiner freundlich annehmen und es
wieder mit dem Lichte versorgen, das es ihm
entzog. Die Wissenschaften gleichen der
strahlenden Sonne des Himmels, die nicht
mit zu verwegenen Blicken zu lange will
angesehen werden. Wenig genug haben die
kontinuirlichen Gucker bis dato gewonnen,
höchstens das, was andere vor ihnen gesagt
haben. Diese irrdischen Gevattern des Him-
mels, diese Astronomen, die jedem Stern
gleich einen Namen an den Hals werfen,
haben nicht grössern Gewinn von den schö-
nen Nächten als der ehrliche Bauer, der
drunter umherspaziert und viel weiß, was
sie bedeuten. Nein nein, zu viel wissen,
heißt nichts wissen -- als höchstens sich
einen Namen zu machen, weil man andern
Dingen Namen geben kann.
König. Wie gelehrt wider die Gelehr-
samkeit!
Dümain.


Biron. Alle Ergoͤtzungen ſind eitel, es
iſt wahr, aber die gelehrten am meiſten.
Da uͤber einem Buch ſchweben und das Licht
der Wahrheit ſuchen, das uns doch nur die
Augen thraͤnen macht. Licht mit einem Licht
ſuchen, betruͤgt uns oft um das Licht, das wir
haben. Studirt lieber, wie ihr dem Auge
Vergnuͤgen ſchaffen wollt, wenn ihrs auf
ein ander ſchoͤnes Auge heftet, wird es da
gleich geblendet, ſo wird ſich das andere
Auge ſeiner freundlich annehmen und es
wieder mit dem Lichte verſorgen, das es ihm
entzog. Die Wiſſenſchaften gleichen der
ſtrahlenden Sonne des Himmels, die nicht
mit zu verwegenen Blicken zu lange will
angeſehen werden. Wenig genug haben die
kontinuirlichen Gucker bis dato gewonnen,
hoͤchſtens das, was andere vor ihnen geſagt
haben. Dieſe irrdiſchen Gevattern des Him-
mels, dieſe Aſtronomen, die jedem Stern
gleich einen Namen an den Hals werfen,
haben nicht groͤſſern Gewinn von den ſchoͤ-
nen Naͤchten als der ehrliche Bauer, der
drunter umherſpaziert und viel weiß, was
ſie bedeuten. Nein nein, zu viel wiſſen,
heißt nichts wiſſen — als hoͤchſtens ſich
einen Namen zu machen, weil man andern
Dingen Namen geben kann.
Koͤnig. Wie gelehrt wider die Gelehr-
ſamkeit!
Duͤmain.
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[62/0068] Biron. Alle Ergoͤtzungen ſind eitel, es iſt wahr, aber die gelehrten am meiſten. Da uͤber einem Buch ſchweben und das Licht der Wahrheit ſuchen, das uns doch nur die Augen thraͤnen macht. Licht mit einem Licht ſuchen, betruͤgt uns oft um das Licht, das wir haben. Studirt lieber, wie ihr dem Auge Vergnuͤgen ſchaffen wollt, wenn ihrs auf ein ander ſchoͤnes Auge heftet, wird es da gleich geblendet, ſo wird ſich das andere Auge ſeiner freundlich annehmen und es wieder mit dem Lichte verſorgen, das es ihm entzog. Die Wiſſenſchaften gleichen der ſtrahlenden Sonne des Himmels, die nicht mit zu verwegenen Blicken zu lange will angeſehen werden. Wenig genug haben die kontinuirlichen Gucker bis dato gewonnen, hoͤchſtens das, was andere vor ihnen geſagt haben. Dieſe irrdiſchen Gevattern des Him- mels, dieſe Aſtronomen, die jedem Stern gleich einen Namen an den Hals werfen, haben nicht groͤſſern Gewinn von den ſchoͤ- nen Naͤchten als der ehrliche Bauer, der drunter umherſpaziert und viel weiß, was ſie bedeuten. Nein nein, zu viel wiſſen, heißt nichts wiſſen — als hoͤchſtens ſich einen Namen zu machen, weil man andern Dingen Namen geben kann. Koͤnig. Wie gelehrt wider die Gelehr- ſamkeit! Duͤmain.

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Zitationshilfe: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/68>, abgerufen am 26.11.2024.