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Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.

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Biron. Verzeiht mir, theurester Sou-
verain! ich schwur bloß, mit Eurer Maje-
stät zu studiren und drey Jahre an Eurem
Hofe zuzubringen.
Longaville. Jhr schwurt das, Biron!
und das übrige auch.
Biron. Der Henker, so schwur ichs im
Scherz. Halt -- wenn ihr denn so scharf
seyd, was ist der Entzweck des Studirens,
sagt mir einmal?
König. Das zu wissen, was wir noch
nicht wissen.
Biron. Das heißt, alles, was dem
gewöhnlichen Menschenverstande untersagt
ist, nicht so?
König. Freilich! das ist der Vorzug
des Fleisses.
Biron. So kommt denn, ich will schwö-
ren. Jch will zum Exempel studiren, wie das
Essen schmeckt, an dem Tage, da es euch
untersagt seyn wird zu essen, wie ein hüb-
sches Mädchen aussehe, oder wie ein gar
zu harter Eyd zu brechen sey. Alsdenn
weiß ich mehr als itzt, nicht wahr? und so
ist der Entzweck meines Studirens erreicht.
König. Alle diese Dinge waren nur
Hindernisse, die unsern Trieb in seinem äch-
ten Lauf aufhielten und ihn in die Kanäle eit-
ler Ergötzungen leiteten.
Biron.


Biron. Verzeiht mir, theureſter Sou-
verain! ich ſchwur bloß, mit Eurer Maje-
ſtaͤt zu ſtudiren und drey Jahre an Eurem
Hofe zuzubringen.
Longaville. Jhr ſchwurt das, Biron!
und das uͤbrige auch.
Biron. Der Henker, ſo ſchwur ichs im
Scherz. Halt — wenn ihr denn ſo ſcharf
ſeyd, was iſt der Entzweck des Studirens,
ſagt mir einmal?
Koͤnig. Das zu wiſſen, was wir noch
nicht wiſſen.
Biron. Das heißt, alles, was dem
gewoͤhnlichen Menſchenverſtande unterſagt
iſt, nicht ſo?
Koͤnig. Freilich! das iſt der Vorzug
des Fleiſſes.
Biron. So kommt denn, ich will ſchwoͤ-
ren. Jch will zum Exempel ſtudiren, wie das
Eſſen ſchmeckt, an dem Tage, da es euch
unterſagt ſeyn wird zu eſſen, wie ein huͤb-
ſches Maͤdchen ausſehe, oder wie ein gar
zu harter Eyd zu brechen ſey. Alsdenn
weiß ich mehr als itzt, nicht wahr? und ſo
iſt der Entzweck meines Studirens erreicht.
Koͤnig. Alle dieſe Dinge waren nur
Hinderniſſe, die unſern Trieb in ſeinem aͤch-
ten Lauf aufhielten und ihn in die Kanaͤle eit-
ler Ergoͤtzungen leiteten.
Biron.
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[61/0067] Biron. Verzeiht mir, theureſter Sou- verain! ich ſchwur bloß, mit Eurer Maje- ſtaͤt zu ſtudiren und drey Jahre an Eurem Hofe zuzubringen. Longaville. Jhr ſchwurt das, Biron! und das uͤbrige auch. Biron. Der Henker, ſo ſchwur ichs im Scherz. Halt — wenn ihr denn ſo ſcharf ſeyd, was iſt der Entzweck des Studirens, ſagt mir einmal? Koͤnig. Das zu wiſſen, was wir noch nicht wiſſen. Biron. Das heißt, alles, was dem gewoͤhnlichen Menſchenverſtande unterſagt iſt, nicht ſo? Koͤnig. Freilich! das iſt der Vorzug des Fleiſſes. Biron. So kommt denn, ich will ſchwoͤ- ren. Jch will zum Exempel ſtudiren, wie das Eſſen ſchmeckt, an dem Tage, da es euch unterſagt ſeyn wird zu eſſen, wie ein huͤb- ſches Maͤdchen ausſehe, oder wie ein gar zu harter Eyd zu brechen ſey. Alsdenn weiß ich mehr als itzt, nicht wahr? und ſo iſt der Entzweck meines Studirens erreicht. Koͤnig. Alle dieſe Dinge waren nur Hinderniſſe, die unſern Trieb in ſeinem aͤch- ten Lauf aufhielten und ihn in die Kanaͤle eit- ler Ergoͤtzungen leiteten. Biron.

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Zitationshilfe: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/67>, abgerufen am 26.11.2024.