Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite


Wer noch Magen hat und ich kann ihm mit
einem bisher unübersetzten -- Volksstück --
Komödie von Shakespearn aufwarten. -- --
Seine Sprache ist die Sprache des kühnsten
Genius, der Erd und Himmel aufwühlt, Aus-
druck zu den ihm zuströmenden Gedanken zu
finden. Mensch, in jedem Verhältniß gleich
bewandert, gleich stark, schlug er ein Theater
fürs ganze menschliche Geschlecht auf, wo jeder
stehn, staunen, sich freuen, sich wiederfinden
konnte, vom obersten bis zum untersten. Sei-
ne Könige und Königinnen schämen sich so we-
nig als der niedrigste Pöbel, warmes Blut im
schlagenden Herzen zu fühlen, oder kützelnder
Galle in schalkhaftem Scherzen Luft zu machen,
denn sie sind Menschen, auch unterm Reifrock,
kennen keine Vapeurs, sterben nicht vor un-
sern Augen in müßiggehenden Formularen da-
hin, kennen den tödtenden Wohlstand nicht.
Sie werden also hier nicht ein Stück sehen, daß
den und den, der durch Augengläser bald so,
bald so, verschoben drauf loßguckt, allein in-
tereßirt, sondern wer Lust und Belieben trägt,
jedermann, bringt er nur Augen mit und ei-
nen gesunden Magen, der ein gutes spasmati-
sches Gelächter -- -- doch ich vergesse hier,
daß ich nicht das Original, sondern -- eheu
discrimina rerum
-- meine Uebersetzung an-
kündige -- mag er immerhin auftreten, mein
Herkules, wär's auch im Hemd der Dejani-
ra -- --

AMOR


Wer noch Magen hat und ich kann ihm mit
einem bisher unuͤberſetzten — Volksſtuͤck —
Komoͤdie von Shakeſpearn aufwarten. — —
Seine Sprache iſt die Sprache des kuͤhnſten
Genius, der Erd und Himmel aufwuͤhlt, Aus-
druck zu den ihm zuſtroͤmenden Gedanken zu
finden. Menſch, in jedem Verhaͤltniß gleich
bewandert, gleich ſtark, ſchlug er ein Theater
fuͤrs ganze menſchliche Geſchlecht auf, wo jeder
ſtehn, ſtaunen, ſich freuen, ſich wiederfinden
konnte, vom oberſten bis zum unterſten. Sei-
ne Koͤnige und Koͤniginnen ſchaͤmen ſich ſo we-
nig als der niedrigſte Poͤbel, warmes Blut im
ſchlagenden Herzen zu fuͤhlen, oder kuͤtzelnder
Galle in ſchalkhaftem Scherzen Luft zu machen,
denn ſie ſind Menſchen, auch unterm Reifrock,
kennen keine Vapeurs, ſterben nicht vor un-
ſern Augen in muͤßiggehenden Formularen da-
hin, kennen den toͤdtenden Wohlſtand nicht.
Sie werden alſo hier nicht ein Stuͤck ſehen, daß
den und den, der durch Augenglaͤſer bald ſo,
bald ſo, verſchoben drauf loßguckt, allein in-
tereßirt, ſondern wer Luſt und Belieben traͤgt,
jedermann, bringt er nur Augen mit und ei-
nen geſunden Magen, der ein gutes ſpasmati-
ſches Gelaͤchter — — doch ich vergeſſe hier,
daß ich nicht das Original, ſondern — eheu
diſcrimina rerum
— meine Ueberſetzung an-
kuͤndige — mag er immerhin auftreten, mein
Herkules, waͤr’s auch im Hemd der Dejani-
ra — —

AMOR
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0062" n="56"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Wer noch Magen hat und ich kann ihm mit<lb/>
einem bisher unu&#x0364;ber&#x017F;etzten &#x2014; Volks&#x017F;tu&#x0364;ck &#x2014;<lb/>
Komo&#x0364;die von Shake&#x017F;pearn aufwarten. &#x2014; &#x2014;<lb/>
Seine Sprache i&#x017F;t die Sprache des ku&#x0364;hn&#x017F;ten<lb/>
Genius, der Erd und Himmel aufwu&#x0364;hlt, Aus-<lb/>
druck zu den ihm zu&#x017F;tro&#x0364;menden Gedanken zu<lb/>
finden. Men&#x017F;ch, in jedem Verha&#x0364;ltniß gleich<lb/>
bewandert, gleich &#x017F;tark, &#x017F;chlug er ein Theater<lb/>
fu&#x0364;rs ganze men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlecht auf, wo jeder<lb/>
&#x017F;tehn, &#x017F;taunen, &#x017F;ich freuen, &#x017F;ich wiederfinden<lb/>
konnte, vom ober&#x017F;ten bis zum unter&#x017F;ten. Sei-<lb/>
ne Ko&#x0364;nige und Ko&#x0364;niginnen &#x017F;cha&#x0364;men &#x017F;ich &#x017F;o we-<lb/>
nig als der niedrig&#x017F;te Po&#x0364;bel, warmes Blut im<lb/>
&#x017F;chlagenden Herzen zu fu&#x0364;hlen, oder ku&#x0364;tzelnder<lb/>
Galle in &#x017F;chalkhaftem Scherzen Luft zu machen,<lb/>
denn &#x017F;ie &#x017F;ind Men&#x017F;chen, auch unterm Reifrock,<lb/>
kennen keine Vapeurs, &#x017F;terben nicht vor un-<lb/>
&#x017F;ern Augen in mu&#x0364;ßiggehenden Formularen da-<lb/>
hin, kennen den to&#x0364;dtenden Wohl&#x017F;tand nicht.<lb/>
Sie werden al&#x017F;o hier nicht ein Stu&#x0364;ck &#x017F;ehen, daß<lb/>
den und den, der durch Augengla&#x0364;&#x017F;er bald &#x017F;o,<lb/>
bald &#x017F;o, ver&#x017F;choben drauf loßguckt, allein in-<lb/>
tereßirt, &#x017F;ondern wer Lu&#x017F;t und Belieben tra&#x0364;gt,<lb/>
jedermann, bringt er nur Augen mit und ei-<lb/>
nen ge&#x017F;unden Magen, der ein gutes &#x017F;pasmati-<lb/>
&#x017F;ches Gela&#x0364;chter &#x2014; &#x2014; doch ich verge&#x017F;&#x017F;e hier,<lb/>
daß ich nicht das Original, &#x017F;ondern &#x2014; <hi rendition="#aq">eheu<lb/>
di&#x017F;crimina rerum</hi> &#x2014; meine Ueber&#x017F;etzung an-<lb/>
ku&#x0364;ndige &#x2014; mag er immerhin auftreten, mein<lb/>
Herkules, wa&#x0364;r&#x2019;s auch im Hemd der Dejani-<lb/>
ra &#x2014; &#x2014;</p>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#g">AMOR</hi> </hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0062] Wer noch Magen hat und ich kann ihm mit einem bisher unuͤberſetzten — Volksſtuͤck — Komoͤdie von Shakeſpearn aufwarten. — — Seine Sprache iſt die Sprache des kuͤhnſten Genius, der Erd und Himmel aufwuͤhlt, Aus- druck zu den ihm zuſtroͤmenden Gedanken zu finden. Menſch, in jedem Verhaͤltniß gleich bewandert, gleich ſtark, ſchlug er ein Theater fuͤrs ganze menſchliche Geſchlecht auf, wo jeder ſtehn, ſtaunen, ſich freuen, ſich wiederfinden konnte, vom oberſten bis zum unterſten. Sei- ne Koͤnige und Koͤniginnen ſchaͤmen ſich ſo we- nig als der niedrigſte Poͤbel, warmes Blut im ſchlagenden Herzen zu fuͤhlen, oder kuͤtzelnder Galle in ſchalkhaftem Scherzen Luft zu machen, denn ſie ſind Menſchen, auch unterm Reifrock, kennen keine Vapeurs, ſterben nicht vor un- ſern Augen in muͤßiggehenden Formularen da- hin, kennen den toͤdtenden Wohlſtand nicht. Sie werden alſo hier nicht ein Stuͤck ſehen, daß den und den, der durch Augenglaͤſer bald ſo, bald ſo, verſchoben drauf loßguckt, allein in- tereßirt, ſondern wer Luſt und Belieben traͤgt, jedermann, bringt er nur Augen mit und ei- nen geſunden Magen, der ein gutes ſpasmati- ſches Gelaͤchter — — doch ich vergeſſe hier, daß ich nicht das Original, ſondern — eheu diſcrimina rerum — meine Ueberſetzung an- kuͤndige — mag er immerhin auftreten, mein Herkules, waͤr’s auch im Hemd der Dejani- ra — — AMOR

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/62
Zitationshilfe: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/62>, abgerufen am 25.11.2024.