Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.gen Sie sich und andere! Jm Trauerspiele aber sind die Handlungen um der Person wil- len da -- sie stehen also nicht in meiner Ge- walt, ich mag nun Pradon oder Racine heissen, sondern sie stehen bey der Person, die ich dar- stelle. Jn der Komödie aber gehe ich von den Handlungen aus, und lasse Personen Theil dran nehmen welche ich will. Eine Komödie ohne Personen intereßirt nicht, eine Tragödie ohne Personen ist ein Widerspruch. Ein Un- ding, eine oratorische Figur, eine Schaumbla- se über dem Maul Voltairens oder Corneillens ohne Daseyn und Realität -- ein Wink macht sie platzen. -- -- Das wärs nun, meine Herren! ich Wer D 4
gen Sie ſich und andere! Jm Trauerſpiele aber ſind die Handlungen um der Perſon wil- len da — ſie ſtehen alſo nicht in meiner Ge- walt, ich mag nun Pradon oder Racine heiſſen, ſondern ſie ſtehen bey der Perſon, die ich dar- ſtelle. Jn der Komoͤdie aber gehe ich von den Handlungen aus, und laſſe Perſonen Theil dran nehmen welche ich will. Eine Komoͤdie ohne Perſonen intereßirt nicht, eine Tragoͤdie ohne Perſonen iſt ein Widerſpruch. Ein Un- ding, eine oratoriſche Figur, eine Schaumbla- ſe uͤber dem Maul Voltairens oder Corneillens ohne Daſeyn und Realitaͤt — ein Wink macht ſie platzen. — — Das waͤrs nun, meine Herren! ich Wer D 4
<TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0061" n="55"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> gen Sie ſich und andere! Jm Trauerſpiele<lb/> aber ſind die Handlungen um der Perſon wil-<lb/> len da — ſie ſtehen alſo nicht in meiner Ge-<lb/> walt, ich mag nun Pradon oder Racine heiſſen,<lb/> ſondern ſie ſtehen bey der Perſon, die ich dar-<lb/> ſtelle. Jn der Komoͤdie aber gehe ich von den<lb/> Handlungen aus, und laſſe Perſonen Theil<lb/> dran nehmen welche ich will. Eine Komoͤdie<lb/> ohne Perſonen intereßirt nicht, eine Tragoͤdie<lb/> ohne Perſonen iſt ein Widerſpruch. Ein Un-<lb/> ding, eine oratoriſche Figur, eine Schaumbla-<lb/> ſe uͤber dem Maul Voltairens oder Corneillens<lb/> ohne Daſeyn und Realitaͤt — ein Wink macht<lb/> ſie platzen.</p><lb/> <p>— — Das waͤrs nun, meine Herren! ich<lb/> bin muͤde, Jhnen mehr zu ſagen. Aber weil<lb/> doch jeder Rauch machen muß, der ſich unter-<lb/> ſtehen will, ein Feuer anzuzuͤnden. Jch bin<lb/> gewiß, daß es noch lange nicht genug war, Auf-<lb/> merkſamkeit rege zu machen — nichts deſto<lb/> weniger ſtraft mich mein Gewiſſen doch, daß ich<lb/> ſchon zu viel geſagt. Denn es iſt ſo eine ver-<lb/> druͤßliche Sache, von Dingen zu ſchwaͤtzen, die<lb/> ſich nur ſehen und fuͤhlen laſſen, uͤber die nichts<lb/> geſagt ſeyn will — <hi rendition="#aq">qui hedera non egent.</hi> Haͤtt<lb/> ich nur mit dieſen Anmerkungen das ausgerich-<lb/> tet, was Petronius in ſeinem Gaſtmahl des<lb/> Trimalchion von — daß die Roͤmer zwiſchen<lb/> den ungeheuren Mahlzeiten der Saturnalien<lb/> ſich eines Brechmittels, auch wohl ſchnellwir-<lb/> kenden Purganz bedient, um ſich neuen Appetit<lb/> zu ſchaffen.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">D 4</fw> <fw place="bottom" type="catch">Wer</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [55/0061]
gen Sie ſich und andere! Jm Trauerſpiele
aber ſind die Handlungen um der Perſon wil-
len da — ſie ſtehen alſo nicht in meiner Ge-
walt, ich mag nun Pradon oder Racine heiſſen,
ſondern ſie ſtehen bey der Perſon, die ich dar-
ſtelle. Jn der Komoͤdie aber gehe ich von den
Handlungen aus, und laſſe Perſonen Theil
dran nehmen welche ich will. Eine Komoͤdie
ohne Perſonen intereßirt nicht, eine Tragoͤdie
ohne Perſonen iſt ein Widerſpruch. Ein Un-
ding, eine oratoriſche Figur, eine Schaumbla-
ſe uͤber dem Maul Voltairens oder Corneillens
ohne Daſeyn und Realitaͤt — ein Wink macht
ſie platzen.
— — Das waͤrs nun, meine Herren! ich
bin muͤde, Jhnen mehr zu ſagen. Aber weil
doch jeder Rauch machen muß, der ſich unter-
ſtehen will, ein Feuer anzuzuͤnden. Jch bin
gewiß, daß es noch lange nicht genug war, Auf-
merkſamkeit rege zu machen — nichts deſto
weniger ſtraft mich mein Gewiſſen doch, daß ich
ſchon zu viel geſagt. Denn es iſt ſo eine ver-
druͤßliche Sache, von Dingen zu ſchwaͤtzen, die
ſich nur ſehen und fuͤhlen laſſen, uͤber die nichts
geſagt ſeyn will — qui hedera non egent. Haͤtt
ich nur mit dieſen Anmerkungen das ausgerich-
tet, was Petronius in ſeinem Gaſtmahl des
Trimalchion von — daß die Roͤmer zwiſchen
den ungeheuren Mahlzeiten der Saturnalien
ſich eines Brechmittels, auch wohl ſchnellwir-
kenden Purganz bedient, um ſich neuen Appetit
zu ſchaffen.
Wer
D 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |