Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



heissen denn nun drey Einheiten, meine Lie-
ben? Jst es nicht die eine, die wir bey
allen Gegenständen der Erkenntniß suchen, die
eine, die uns den Gesichtspunkt giebt, aus dem
wir das Ganze umfangen und überschauen
können? Was wollen wir mehr, oder was
wollen wir weniger? Jst es den Herren be-
liebig, sich in dem Verhältniß eines Hauses
und eines Tages einzuschränken, in Got-
tes Namen, behalten Sie Jhre Fami-
lien
stücke, Miniaturgemählde, und lassen
uns unsere Welt. Kommt es Jhnen so sehr
auf den Ort an, von dem Sie sich nicht be-
wegen möchten, um dem Dichter zu folgen:
wie denn, daß Sie sich nicht den Ruhepunkt
Archimeds wählen: de mihi figere pedem et
terram movebo?
Welch ein grösser und gött-
licher Vergnügen, die Bewegung einer Welt,
als eines Hauses? und welche Wohlthat des
Genies, Sie auf die Höhe zu führen, wo
Sie einer Schlacht mit all ihrem Getümmel,
Jammern und Grauen zusehen können, ohne
Jhr eigen Leben, Gemüthsruhe, und Behagen
hineinzuflechten, ohne auf dieser grausamen
Scene Akteur zu seyn. Liebe Herren! was
sollen wir mehr thun, daß ihr selig werdet?
wie kann mans euch bequemer machen? Nur
zuschauen, ruhen und zuschauen, mehr fo-
dern wir nicht, warum wollt ihr denn nicht
auf diesem Stern stehen bleiben, und in die

Welt



heiſſen denn nun drey Einheiten, meine Lie-
ben? Jſt es nicht die eine, die wir bey
allen Gegenſtaͤnden der Erkenntniß ſuchen, die
eine, die uns den Geſichtspunkt giebt, aus dem
wir das Ganze umfangen und uͤberſchauen
koͤnnen? Was wollen wir mehr, oder was
wollen wir weniger? Jſt es den Herren be-
liebig, ſich in dem Verhaͤltniß eines Hauſes
und eines Tages einzuſchraͤnken, in Got-
tes Namen, behalten Sie Jhre Fami-
lien
ſtuͤcke, Miniaturgemaͤhlde, und laſſen
uns unſere Welt. Kommt es Jhnen ſo ſehr
auf den Ort an, von dem Sie ſich nicht be-
wegen moͤchten, um dem Dichter zu folgen:
wie denn, daß Sie ſich nicht den Ruhepunkt
Archimeds waͤhlen: de mihi figere pedem et
terram movebo?
Welch ein groͤſſer und goͤtt-
licher Vergnuͤgen, die Bewegung einer Welt,
als eines Hauſes? und welche Wohlthat des
Genies, Sie auf die Hoͤhe zu fuͤhren, wo
Sie einer Schlacht mit all ihrem Getuͤmmel,
Jammern und Grauen zuſehen koͤnnen, ohne
Jhr eigen Leben, Gemuͤthsruhe, und Behagen
hineinzuflechten, ohne auf dieſer grauſamen
Scene Akteur zu ſeyn. Liebe Herren! was
ſollen wir mehr thun, daß ihr ſelig werdet?
wie kann mans euch bequemer machen? Nur
zuſchauen, ruhen und zuſchauen, mehr fo-
dern wir nicht, warum wollt ihr denn nicht
auf dieſem Stern ſtehen bleiben, und in die

Welt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0034" n="28"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
hei&#x017F;&#x017F;en denn nun drey Einheiten, meine Lie-<lb/>
ben? J&#x017F;t es nicht die <hi rendition="#g">eine,</hi> die wir bey<lb/>
allen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden der Erkenntniß &#x017F;uchen, die<lb/>
eine, die uns den Ge&#x017F;ichtspunkt giebt, aus dem<lb/>
wir das Ganze umfangen und u&#x0364;ber&#x017F;chauen<lb/>
ko&#x0364;nnen? Was wollen wir mehr, oder was<lb/>
wollen wir weniger? J&#x017F;t es den Herren be-<lb/>
liebig, &#x017F;ich in dem Verha&#x0364;ltniß eines Hau&#x017F;es<lb/>
und eines Tages einzu&#x017F;chra&#x0364;nken, in Got-<lb/>
tes Namen, behalten Sie Jhre <hi rendition="#g">Fami-<lb/>
lien</hi>&#x017F;tu&#x0364;cke, Miniaturgema&#x0364;hlde, und la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
uns un&#x017F;ere Welt. Kommt es Jhnen &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
auf den Ort an, von dem Sie &#x017F;ich nicht be-<lb/>
wegen mo&#x0364;chten, um dem Dichter zu folgen:<lb/>
wie denn, daß Sie &#x017F;ich nicht den Ruhepunkt<lb/>
Archimeds wa&#x0364;hlen: <hi rendition="#aq">de mihi figere pedem et<lb/>
terram movebo?</hi> Welch ein gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er und go&#x0364;tt-<lb/>
licher Vergnu&#x0364;gen, die Bewegung einer Welt,<lb/>
als eines Hau&#x017F;es? und welche Wohlthat des<lb/>
Genies, Sie auf die Ho&#x0364;he zu fu&#x0364;hren, wo<lb/>
Sie einer Schlacht mit all ihrem Getu&#x0364;mmel,<lb/>
Jammern und Grauen zu&#x017F;ehen ko&#x0364;nnen, ohne<lb/>
Jhr eigen Leben, Gemu&#x0364;thsruhe, und Behagen<lb/>
hineinzuflechten, ohne auf die&#x017F;er grau&#x017F;amen<lb/>
Scene Akteur zu &#x017F;eyn. Liebe Herren! was<lb/>
&#x017F;ollen wir mehr thun, daß ihr &#x017F;elig werdet?<lb/>
wie kann mans euch bequemer machen? Nur<lb/>
zu&#x017F;chauen, ruhen und zu&#x017F;chauen, mehr fo-<lb/>
dern wir nicht, warum wollt ihr denn nicht<lb/>
auf die&#x017F;em Stern &#x017F;tehen bleiben, und in die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Welt</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0034] heiſſen denn nun drey Einheiten, meine Lie- ben? Jſt es nicht die eine, die wir bey allen Gegenſtaͤnden der Erkenntniß ſuchen, die eine, die uns den Geſichtspunkt giebt, aus dem wir das Ganze umfangen und uͤberſchauen koͤnnen? Was wollen wir mehr, oder was wollen wir weniger? Jſt es den Herren be- liebig, ſich in dem Verhaͤltniß eines Hauſes und eines Tages einzuſchraͤnken, in Got- tes Namen, behalten Sie Jhre Fami- lienſtuͤcke, Miniaturgemaͤhlde, und laſſen uns unſere Welt. Kommt es Jhnen ſo ſehr auf den Ort an, von dem Sie ſich nicht be- wegen moͤchten, um dem Dichter zu folgen: wie denn, daß Sie ſich nicht den Ruhepunkt Archimeds waͤhlen: de mihi figere pedem et terram movebo? Welch ein groͤſſer und goͤtt- licher Vergnuͤgen, die Bewegung einer Welt, als eines Hauſes? und welche Wohlthat des Genies, Sie auf die Hoͤhe zu fuͤhren, wo Sie einer Schlacht mit all ihrem Getuͤmmel, Jammern und Grauen zuſehen koͤnnen, ohne Jhr eigen Leben, Gemuͤthsruhe, und Behagen hineinzuflechten, ohne auf dieſer grauſamen Scene Akteur zu ſeyn. Liebe Herren! was ſollen wir mehr thun, daß ihr ſelig werdet? wie kann mans euch bequemer machen? Nur zuſchauen, ruhen und zuſchauen, mehr fo- dern wir nicht, warum wollt ihr denn nicht auf dieſem Stern ſtehen bleiben, und in die Welt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/34
Zitationshilfe: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/34>, abgerufen am 28.11.2024.