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Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.

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hernach die Dreistigkeit haben, unsere zu
geben. Ein grosses Unternehmen, aber wer
kann uns zwingen, Brillen zu brauchen,
die nicht nach unserm Auge geschliffen sind.

Er sagt im sechsten Kapitel seiner poeti-
schen Reitkunst: "Es ist also das Trauer-
spiel die Nachahmung einer Handlung,
einer guten, vollkommenen und grossen Hand-
lung, in einer angenehmen Unterredung,
nach der besondern Beschaffenheit der han-
delnden Personen abgeändert, nicht aber in
einer Erzehlung."

Er breitet sich weiter über diese Defini-
tion aus. "Und weil das Trauerspiel die
Nachahmung einer Handlung ist, die von
bestimmten Personen geschiehet, welche noth-
wendig von verschiedener Beschaffenheit seyn
müssen, sowohl in Ansehung ihrer Sitten,
als Gesinnungen, so auch ihre Handlungen
von verschiedener Beschaffenheit sind, so ist es
natürlich, daß es zwey Ursachen der Hand-
lungen gebe, die Gesinnungen und die Sit-
ten, und nach Maßgabe dieser müssen die
Personen alle entweder glücklich oder un-
glücklich werden." Er erklärt sich hernach
über diese Ausdrücke, damit er allem Miß-
verstande vorbeuge. Sitten sind, die Art,
mit der jemand handelt. Gesinnungen sind
seine Gemüthsart und der Ausdruck dersel-

ben



hernach die Dreiſtigkeit haben, unſere zu
geben. Ein groſſes Unternehmen, aber wer
kann uns zwingen, Brillen zu brauchen,
die nicht nach unſerm Auge geſchliffen ſind.

Er ſagt im ſechſten Kapitel ſeiner poeti-
ſchen Reitkunſt: „Es iſt alſo das Trauer-
ſpiel die Nachahmung einer Handlung,
einer guten, vollkommenen und groſſen Hand-
lung, in einer angenehmen Unterredung,
nach der beſondern Beſchaffenheit der han-
delnden Perſonen abgeaͤndert, nicht aber in
einer Erzehlung.‟

Er breitet ſich weiter uͤber dieſe Defini-
tion aus. „Und weil das Trauerſpiel die
Nachahmung einer Handlung iſt, die von
beſtimmten Perſonen geſchiehet, welche noth-
wendig von verſchiedener Beſchaffenheit ſeyn
muͤſſen, ſowohl in Anſehung ihrer Sitten,
als Geſinnungen, ſo auch ihre Handlungen
von verſchiedener Beſchaffenheit ſind, ſo iſt es
natuͤrlich, daß es zwey Urſachen der Hand-
lungen gebe, die Geſinnungen und die Sit-
ten, und nach Maßgabe dieſer muͤſſen die
Perſonen alle entweder gluͤcklich oder un-
gluͤcklich werden.‟ Er erklaͤrt ſich hernach
uͤber dieſe Ausdruͤcke, damit er allem Miß-
verſtande vorbeuge. Sitten ſind, die Art,
mit der jemand handelt. Geſinnungen ſind
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[20/0026] hernach die Dreiſtigkeit haben, unſere zu geben. Ein groſſes Unternehmen, aber wer kann uns zwingen, Brillen zu brauchen, die nicht nach unſerm Auge geſchliffen ſind. Er ſagt im ſechſten Kapitel ſeiner poeti- ſchen Reitkunſt: „Es iſt alſo das Trauer- ſpiel die Nachahmung einer Handlung, einer guten, vollkommenen und groſſen Hand- lung, in einer angenehmen Unterredung, nach der beſondern Beſchaffenheit der han- delnden Perſonen abgeaͤndert, nicht aber in einer Erzehlung.‟ Er breitet ſich weiter uͤber dieſe Defini- tion aus. „Und weil das Trauerſpiel die Nachahmung einer Handlung iſt, die von beſtimmten Perſonen geſchiehet, welche noth- wendig von verſchiedener Beſchaffenheit ſeyn muͤſſen, ſowohl in Anſehung ihrer Sitten, als Geſinnungen, ſo auch ihre Handlungen von verſchiedener Beſchaffenheit ſind, ſo iſt es natuͤrlich, daß es zwey Urſachen der Hand- lungen gebe, die Geſinnungen und die Sit- ten, und nach Maßgabe dieſer muͤſſen die Perſonen alle entweder gluͤcklich oder un- gluͤcklich werden.‟ Er erklaͤrt ſich hernach uͤber dieſe Ausdruͤcke, damit er allem Miß- verſtande vorbeuge. Sitten ſind, die Art, mit der jemand handelt. Geſinnungen ſind ſeine Gemuͤthsart und der Ausdruck derſel- ben

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Zitationshilfe: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/26>, abgerufen am 24.11.2024.