Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.Als wir entronnen endlich jenen Schluchten, Hob sich ein stolzer Bau vor unserm Blick. Wir traten ein in eine weite Halle, Da trieb in lautem Wirbel ohne Rast Ein Menschenschwarm herum, Wettkämpfer alle, Bewaffnet bunt, umflirrt von eitlem Glast. Da saß erhöht in einer Nische, schweigend, Ein Weib ehrwürdiger Gestalt, und schien, Ihr Haupt herab zur lauten Bühne neigend, Zu lauschen dem entbrannten Kampfesmühn. Nun lief durch's wirre Volk ein Jubelklang, Und, sieh! ein Mann der Schlachten trat hervor, Vom Leichendunst hoch aufgebläht, und schwang, Zur Nische seinen Eichenkranz empor: "Für dich, o Mutter, hab' ich ihn gebrochen, "Und blutig bist, Germania, du gerochen!" Doch hörte man die Frau kein Wörtchen sagen, Als nähm' sie's hin mit ruhigem Behagen. Dann trat begeistert auf und feierlich Ein Sängerchor und sang zum Harfenspiele "Wie lieben wir, erhabne Mutter, dich!" Doch diese schwieg, ob solches ihr gefiele. Zur Nische streckten Viele noch die Arme, Frohlockend: "Heil der großen Mutter, Heil!" Lenau's Gedichte. 12
Als wir entronnen endlich jenen Schluchten, Hob ſich ein ſtolzer Bau vor unſerm Blick. Wir traten ein in eine weite Halle, Da trieb in lautem Wirbel ohne Raſt Ein Menſchenſchwarm herum, Wettkaͤmpfer alle, Bewaffnet bunt, umflirrt von eitlem Glaſt. Da ſaß erhoͤht in einer Niſche, ſchweigend, Ein Weib ehrwuͤrdiger Geſtalt, und ſchien, Ihr Haupt herab zur lauten Buͤhne neigend, Zu lauſchen dem entbrannten Kampfesmuͤhn. Nun lief durch's wirre Volk ein Jubelklang, Und, ſieh! ein Mann der Schlachten trat hervor, Vom Leichendunſt hoch aufgeblaͤht, und ſchwang, Zur Niſche ſeinen Eichenkranz empor: „Fuͤr dich, o Mutter, hab' ich ihn gebrochen, „Und blutig biſt, Germania, du gerochen!“ Doch hoͤrte man die Frau kein Woͤrtchen ſagen, Als naͤhm' ſie's hin mit ruhigem Behagen. Dann trat begeiſtert auf und feierlich Ein Saͤngerchor und ſang zum Harfenſpiele „Wie lieben wir, erhabne Mutter, dich!“ Doch dieſe ſchwieg, ob ſolches ihr gefiele. Zur Niſche ſtreckten Viele noch die Arme, Frohlockend: „Heil der großen Mutter, Heil!“ Lenau's Gedichte. 12
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Als wir entronnen endlich jenen Schluchten,
Hob ſich ein ſtolzer Bau vor unſerm Blick.
Wir traten ein in eine weite Halle,
Da trieb in lautem Wirbel ohne Raſt
Ein Menſchenſchwarm herum, Wettkaͤmpfer alle,
Bewaffnet bunt, umflirrt von eitlem Glaſt.
Da ſaß erhoͤht in einer Niſche, ſchweigend,
Ein Weib ehrwuͤrdiger Geſtalt, und ſchien,
Ihr Haupt herab zur lauten Buͤhne neigend,
Zu lauſchen dem entbrannten Kampfesmuͤhn.
Nun lief durch's wirre Volk ein Jubelklang,
Und, ſieh! ein Mann der Schlachten trat hervor,
Vom Leichendunſt hoch aufgeblaͤht, und ſchwang,
Zur Niſche ſeinen Eichenkranz empor:
„Fuͤr dich, o Mutter, hab' ich ihn gebrochen,
„Und blutig biſt, Germania, du gerochen!“
Doch hoͤrte man die Frau kein Woͤrtchen ſagen,
Als naͤhm' ſie's hin mit ruhigem Behagen.
Dann trat begeiſtert auf und feierlich
Ein Saͤngerchor und ſang zum Harfenſpiele
„Wie lieben wir, erhabne Mutter, dich!“
Doch dieſe ſchwieg, ob ſolches ihr gefiele.
Zur Niſche ſtreckten Viele noch die Arme,
Frohlockend: „Heil der großen Mutter, Heil!“
Lenau's Gedichte. 12
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