Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.Aufsehnend mich mit zitterndem Verlangen, Daß rettend meinen Geist sie einst empfangen: Ich habe mich getäuscht! ich seh' erbleichen Die Sterne selbst, und zitternd rückwärts weichen; Sie hören, wie die Woge braust, sie ahnen, Daß sie nicht sicher sind auf ihren Bahnen; Sie sehen, wie es wächst, das grause Meer, Und ahnen wohl: -- mir sagt's ihr banges Blinken -- Einst wird vom raschen Flug ihr strahlend Heer Ein müdes Schwalbenvolk heruntersinken. Dann brütet auf dem Ocean die Nacht, Dann ist des Todes großes Werk vollbracht; Dann stockt und starrt zu Eis die grause Fluth, Worin der Wunsch des finstern Gottes ruht; Er wandelt auf der Fläche und ermißt, Wie alles nun so still, so dunkel ist; Er lächelt dann voll selbstzufriedner Freude In seine Welt, in seine Nacht hinein, Und es erglänzt des Eises stille Haide Nur noch von seines Lächelns Wiederschein! -- Der Andre sprach: mir gilt es gleich, Ob Leben, -- Tod -- im Schattenreich! Strahlt jenseits auch ein mildes Licht, So fehlt gewiß der Donner nicht, Aufſehnend mich mit zitterndem Verlangen, Daß rettend meinen Geiſt ſie einſt empfangen: Ich habe mich getaͤuſcht! ich ſeh' erbleichen Die Sterne ſelbſt, und zitternd ruͤckwaͤrts weichen; Sie hoͤren, wie die Woge braust, ſie ahnen, Daß ſie nicht ſicher ſind auf ihren Bahnen; Sie ſehen, wie es waͤchst, das grauſe Meer, Und ahnen wohl: — mir ſagt's ihr banges Blinken — Einſt wird vom raſchen Flug ihr ſtrahlend Heer Ein muͤdes Schwalbenvolk herunterſinken. Dann bruͤtet auf dem Ocean die Nacht, Dann iſt des Todes großes Werk vollbracht; Dann ſtockt und ſtarrt zu Eis die grauſe Fluth, Worin der Wunſch des finſtern Gottes ruht; Er wandelt auf der Flaͤche und ermißt, Wie alles nun ſo ſtill, ſo dunkel iſt; Er laͤchelt dann voll ſelbſtzufriedner Freude In ſeine Welt, in ſeine Nacht hinein, Und es erglaͤnzt des Eiſes ſtille Haide Nur noch von ſeines Laͤchelns Wiederſchein! — Der Andre ſprach: mir gilt es gleich, Ob Leben, — Tod — im Schattenreich! Strahlt jenſeits auch ein mildes Licht, So fehlt gewiß der Donner nicht, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0184" n="170"/> <l>Aufſehnend mich mit zitterndem Verlangen,</l><lb/> <l>Daß rettend meinen Geiſt ſie einſt empfangen:</l><lb/> <l>Ich habe mich getaͤuſcht! ich ſeh' erbleichen</l><lb/> <l>Die Sterne ſelbſt, und zitternd ruͤckwaͤrts weichen;</l><lb/> <l>Sie hoͤren, wie die Woge braust, ſie ahnen,</l><lb/> <l>Daß ſie nicht ſicher ſind auf ihren Bahnen;</l><lb/> <l>Sie ſehen, wie es waͤchst, das grauſe Meer,</l><lb/> <l>Und ahnen wohl: — mir ſagt's ihr banges Blinken —</l><lb/> <l>Einſt wird vom raſchen Flug ihr ſtrahlend Heer</l><lb/> <l>Ein muͤdes Schwalbenvolk herunterſinken.</l><lb/> <l>Dann bruͤtet auf dem Ocean die Nacht,</l><lb/> <l>Dann iſt des Todes großes Werk vollbracht;</l><lb/> <l>Dann ſtockt und ſtarrt zu Eis die grauſe Fluth,</l><lb/> <l>Worin der Wunſch des finſtern Gottes ruht;</l><lb/> <l>Er wandelt auf der Flaͤche und ermißt,</l><lb/> <l>Wie alles nun ſo ſtill, ſo dunkel iſt;</l><lb/> <l>Er laͤchelt dann voll ſelbſtzufriedner Freude</l><lb/> <l>In ſeine Welt, in ſeine Nacht hinein,</l><lb/> <l>Und es erglaͤnzt des Eiſes ſtille Haide</l><lb/> <l>Nur noch von ſeines Laͤchelns Wiederſchein! —</l><lb/> <l>Der Andre ſprach: mir gilt es gleich,</l><lb/> <l>Ob Leben, — Tod — im Schattenreich!</l><lb/> <l>Strahlt jenſeits auch ein mildes Licht,</l><lb/> <l>So fehlt gewiß der Donner nicht,</l><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [170/0184]
Aufſehnend mich mit zitterndem Verlangen,
Daß rettend meinen Geiſt ſie einſt empfangen:
Ich habe mich getaͤuſcht! ich ſeh' erbleichen
Die Sterne ſelbſt, und zitternd ruͤckwaͤrts weichen;
Sie hoͤren, wie die Woge braust, ſie ahnen,
Daß ſie nicht ſicher ſind auf ihren Bahnen;
Sie ſehen, wie es waͤchst, das grauſe Meer,
Und ahnen wohl: — mir ſagt's ihr banges Blinken —
Einſt wird vom raſchen Flug ihr ſtrahlend Heer
Ein muͤdes Schwalbenvolk herunterſinken.
Dann bruͤtet auf dem Ocean die Nacht,
Dann iſt des Todes großes Werk vollbracht;
Dann ſtockt und ſtarrt zu Eis die grauſe Fluth,
Worin der Wunſch des finſtern Gottes ruht;
Er wandelt auf der Flaͤche und ermißt,
Wie alles nun ſo ſtill, ſo dunkel iſt;
Er laͤchelt dann voll ſelbſtzufriedner Freude
In ſeine Welt, in ſeine Nacht hinein,
Und es erglaͤnzt des Eiſes ſtille Haide
Nur noch von ſeines Laͤchelns Wiederſchein! —
Der Andre ſprach: mir gilt es gleich,
Ob Leben, — Tod — im Schattenreich!
Strahlt jenſeits auch ein mildes Licht,
So fehlt gewiß der Donner nicht,
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Zitationshilfe: | Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/184>, abgerufen am 17.02.2025. |