Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.Reiterlied. Wir streifen durchs Leben im schnellen Zug, Ohne Rast wie die stürmische Welle, Wir haschen die Frucht im Vorüberflug, Und schlummern nicht ein an der Quelle; Wir pflücken die Rose, wir saugen den Duft, Und streuen sie dann in die flatternde Luft. Der Friedliche sitzet und lauert bang, Bis das Glück ihm poch' an die Thüre, Noch späht er beim Sterbeglöckleinklang, Ob das Glück an der Klinke nicht rühre; Wohl rührt sich die Klink', und es tritt herein, Erschrick nicht, du Armer, -- es ist Freund Hein! Der Reiter verfolgt das entlaufende Glück,
Er faßt's an den fliegenden Locken, Und zwingt es zu sich auf den Sattel zurück, Und umschlingt es mit wildem Frohlocken: "Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus, "Durch Strom und Geklüft zum blutigen Strauß!" Reiterlied. Wir ſtreifen durchs Leben im ſchnellen Zug, Ohne Raſt wie die ſtuͤrmiſche Welle, Wir haſchen die Frucht im Voruͤberflug, Und ſchlummern nicht ein an der Quelle; Wir pfluͤcken die Roſe, wir ſaugen den Duft, Und ſtreuen ſie dann in die flatternde Luft. Der Friedliche ſitzet und lauert bang, Bis das Gluͤck ihm poch' an die Thuͤre, Noch ſpaͤht er beim Sterbegloͤckleinklang, Ob das Gluͤck an der Klinke nicht ruͤhre; Wohl ruͤhrt ſich die Klink', und es tritt herein, Erſchrick nicht, du Armer, — es iſt Freund Hein! Der Reiter verfolgt das entlaufende Gluͤck,
Er faßt's an den fliegenden Locken, Und zwingt es zu ſich auf den Sattel zuruͤck, Und umſchlingt es mit wildem Frohlocken: „Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus, „Durch Strom und Gekluͤft zum blutigen Strauß!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0149" n="135"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b #g">Reiterlied</hi> <hi rendition="#b">.</hi><lb/> </head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">W</hi>ir ſtreifen durchs Leben im ſchnellen Zug,</l><lb/> <l>Ohne Raſt wie die ſtuͤrmiſche Welle,</l><lb/> <l>Wir haſchen die Frucht im Voruͤberflug,</l><lb/> <l>Und ſchlummern nicht ein an der Quelle;</l><lb/> <l>Wir pfluͤcken die Roſe, wir ſaugen den Duft,</l><lb/> <l>Und ſtreuen ſie dann in die flatternde Luft.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Der Friedliche ſitzet und lauert bang,</l><lb/> <l>Bis das Gluͤck ihm poch' an die Thuͤre,</l><lb/> <l>Noch ſpaͤht er beim Sterbegloͤckleinklang,</l><lb/> <l>Ob das Gluͤck an der Klinke nicht ruͤhre;</l><lb/> <l>Wohl ruͤhrt ſich die Klink', und es tritt herein,</l><lb/> <l>Erſchrick nicht, du Armer, — es iſt Freund Hein!</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Der Reiter verfolgt das entlaufende Gluͤck,</l><lb/> <l>Er faßt's an den fliegenden Locken,</l><lb/> <l>Und zwingt es zu ſich auf den Sattel zuruͤck,</l><lb/> <l>Und umſchlingt es mit wildem Frohlocken:</l><lb/> <l>„Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus,</l><lb/> <l>„Durch Strom und Gekluͤft zum blutigen Strauß!“</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0149]
Reiterlied.
Wir ſtreifen durchs Leben im ſchnellen Zug,
Ohne Raſt wie die ſtuͤrmiſche Welle,
Wir haſchen die Frucht im Voruͤberflug,
Und ſchlummern nicht ein an der Quelle;
Wir pfluͤcken die Roſe, wir ſaugen den Duft,
Und ſtreuen ſie dann in die flatternde Luft.
Der Friedliche ſitzet und lauert bang,
Bis das Gluͤck ihm poch' an die Thuͤre,
Noch ſpaͤht er beim Sterbegloͤckleinklang,
Ob das Gluͤck an der Klinke nicht ruͤhre;
Wohl ruͤhrt ſich die Klink', und es tritt herein,
Erſchrick nicht, du Armer, — es iſt Freund Hein!
Der Reiter verfolgt das entlaufende Gluͤck,
Er faßt's an den fliegenden Locken,
Und zwingt es zu ſich auf den Sattel zuruͤck,
Und umſchlingt es mit wildem Frohlocken:
„Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus,
„Durch Strom und Gekluͤft zum blutigen Strauß!“
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