Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite
Reiterlied.

Wir streifen durchs Leben im schnellen Zug,
Ohne Rast wie die stürmische Welle,
Wir haschen die Frucht im Vorüberflug,
Und schlummern nicht ein an der Quelle;
Wir pflücken die Rose, wir saugen den Duft,
Und streuen sie dann in die flatternde Luft.
Der Friedliche sitzet und lauert bang,
Bis das Glück ihm poch' an die Thüre,
Noch späht er beim Sterbeglöckleinklang,
Ob das Glück an der Klinke nicht rühre;
Wohl rührt sich die Klink', und es tritt herein,
Erschrick nicht, du Armer, -- es ist Freund Hein!
Der Reiter verfolgt das entlaufende Glück,
Er faßt's an den fliegenden Locken,
Und zwingt es zu sich auf den Sattel zurück,
Und umschlingt es mit wildem Frohlocken:
"Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus,
"Durch Strom und Geklüft zum blutigen Strauß!"
Reiterlied.

Wir ſtreifen durchs Leben im ſchnellen Zug,
Ohne Raſt wie die ſtuͤrmiſche Welle,
Wir haſchen die Frucht im Voruͤberflug,
Und ſchlummern nicht ein an der Quelle;
Wir pfluͤcken die Roſe, wir ſaugen den Duft,
Und ſtreuen ſie dann in die flatternde Luft.
Der Friedliche ſitzet und lauert bang,
Bis das Gluͤck ihm poch' an die Thuͤre,
Noch ſpaͤht er beim Sterbegloͤckleinklang,
Ob das Gluͤck an der Klinke nicht ruͤhre;
Wohl ruͤhrt ſich die Klink', und es tritt herein,
Erſchrick nicht, du Armer, — es iſt Freund Hein!
Der Reiter verfolgt das entlaufende Gluͤck,
Er faßt's an den fliegenden Locken,
Und zwingt es zu ſich auf den Sattel zuruͤck,
Und umſchlingt es mit wildem Frohlocken:
„Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus,
„Durch Strom und Gekluͤft zum blutigen Strauß!“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0149" n="135"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #g">Reiterlied</hi> <hi rendition="#b">.</hi><lb/>
          </head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l><hi rendition="#in">W</hi>ir &#x017F;treifen durchs Leben im &#x017F;chnellen Zug,</l><lb/>
              <l>Ohne Ra&#x017F;t wie die &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;che Welle,</l><lb/>
              <l>Wir ha&#x017F;chen die Frucht im Voru&#x0364;berflug,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;chlummern nicht ein an der Quelle;</l><lb/>
              <l>Wir pflu&#x0364;cken die Ro&#x017F;e, wir &#x017F;augen den Duft,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;treuen &#x017F;ie dann in die flatternde Luft.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Der Friedliche &#x017F;itzet und lauert bang,</l><lb/>
              <l>Bis das Glu&#x0364;ck ihm poch' an die Thu&#x0364;re,</l><lb/>
              <l>Noch &#x017F;pa&#x0364;ht er beim Sterbeglo&#x0364;ckleinklang,</l><lb/>
              <l>Ob das Glu&#x0364;ck an der Klinke nicht ru&#x0364;hre;</l><lb/>
              <l>Wohl ru&#x0364;hrt &#x017F;ich die Klink', und es tritt herein,</l><lb/>
              <l>Er&#x017F;chrick nicht, du Armer, &#x2014; es i&#x017F;t Freund Hein!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Der Reiter verfolgt das entlaufende Glu&#x0364;ck,</l><lb/>
              <l>Er faßt's an den fliegenden Locken,</l><lb/>
              <l>Und zwingt es zu &#x017F;ich auf den Sattel zuru&#x0364;ck,</l><lb/>
              <l>Und um&#x017F;chlingt es mit wildem Frohlocken:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Durch Strom und Geklu&#x0364;ft zum blutigen Strauß!&#x201C;</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0149] Reiterlied. Wir ſtreifen durchs Leben im ſchnellen Zug, Ohne Raſt wie die ſtuͤrmiſche Welle, Wir haſchen die Frucht im Voruͤberflug, Und ſchlummern nicht ein an der Quelle; Wir pfluͤcken die Roſe, wir ſaugen den Duft, Und ſtreuen ſie dann in die flatternde Luft. Der Friedliche ſitzet und lauert bang, Bis das Gluͤck ihm poch' an die Thuͤre, Noch ſpaͤht er beim Sterbegloͤckleinklang, Ob das Gluͤck an der Klinke nicht ruͤhre; Wohl ruͤhrt ſich die Klink', und es tritt herein, Erſchrick nicht, du Armer, — es iſt Freund Hein! Der Reiter verfolgt das entlaufende Gluͤck, Er faßt's an den fliegenden Locken, Und zwingt es zu ſich auf den Sattel zuruͤck, Und umſchlingt es mit wildem Frohlocken: „Mußt reiten mit mir durch Nacht und Graus, „Durch Strom und Gekluͤft zum blutigen Strauß!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/149
Zitationshilfe: Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/149>, abgerufen am 22.12.2024.