Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lémery, Nicolas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] und Zeiten, da ihr Biß keine schädlichen Zufälle verursachet; sondern es sind vor allen andern die in Puglia am meisten wegen ihres Gifts zu fürchten, den sie bey der grösten Sommershitze fahren lassen. Auch wird dafür gehalten, daß zur Zeit, wann sie sich begatten, ihr Gift gar hoch gefährlich sey, und ihre Bisse gar sehr schwer zu heilen.

Die Tarantuln lassen sich nicht nach eines jeden Gefallen fangen: curieuse Leute brauchen die Bauern darzu, dieselben wissen sie heraus zu locken, und kennen die Löcher in der Erde, darein sich dieses Ungeziefer zu verkriechen pfleget: wann sie nun eine ausgespüret haben, so machen sie ein Gesumme, wie die Fliegen, da fährt die Taruntul mit Ungestüm heraus und will die Beute haschen, wird aber darüber selbst gefangen, dann sie stellen ihr die Falle.

Der Tarantuln Biß ist heftig, und verursachet einen solchen Schmertz, als wie der Bienenstich. Das Fleisch rund um das angebissene Glied läufft auf und wird gantz grün und gelbe: einige Stunden darauf wird die Person mit einer tieffen Traurigkeit befallen, mit Zittern aller Glieder, mit schweren Athemhohlen, mit Hauptschmertzen, mit Hertzensangst und Bangigkeit, und der gantze Leib wird starr und steiff: der Puls wird schwächer und schwächer, das Gesichte vergehet, der Verstand verliehrt sich, das reden wird sehr sauer, man meidet oder fliehet die Gesellschaft, und suchet die einsamsten Orte.

Unterweilen lässet sich der Gift nicht eher, als ein Jahr, nachdem man ist gebissen worden, spüren: und die Zufälle, die dadurch verursachet werden, sind recht verwunderlich. Sie heben sich an mit den heftigsten Sprüngen, die der Patient zu machen pfleget: hernach stellen sich ein, verlohrner Appetit, hitzige Fieber, Schmertzen in den Gelencken, gelbe Sucht über den gantzen Leib, Schlafsucht, Verdrehung und Ausdehnung der Arme und der Beine, durch wunderliches Zucken und Ziehen in den Gliedern. Einige, die gebissen worden sind, lachen, andereweinen, die einen schreyen und singen, die andern schlafen, andere wachen, andere speyen und brechen sich, andere schwitzen, andere zittern, andere springen, andere tantzen, andere lauffen unaufhörlich. Etliche tragen solch grosses Belieben zu gewissen Farben, daß sie recht in Entzückung fallen, wann ihnen dergleichen vorgehalten wird: andere geben sich nicht zu frieden, wann sie nicht ein mit Wasser angefülltes gläsernes Geschirr in Händen haben, und dann geberden sie sich anders nicht, als wie die Fechter, und machen einen Hauffen lächerliche Stellungen. Andere binden allerley schöne grüne Kräuter um den Kopf und um die Arme und Beine. Andere hangen sich mit den Schenckeln an die Bäume und lassen den übrigen Leib frey herunter hangen. Andere, wann sie genug gesprungen und getantzet haben, setzen sich nieder, ziehen die Knie zusammen und schliessen die Hände gantz veste herum, seufftzen und achtzen, als wie die allerbetrübtesten Personen. Andere werffen sich auf den Boden nieder, und schlagen mit den Händen und mit den Füssen so heftig, als ob sie das böse Wesen hätten. Andere weltzen sich [Spaltenumbruch] im Kothe herum. Kurtz: alle stellen sich als wie die Narren und Wahnwitzigen; doch haben sie auch ihre guten Stunden, und da reden sie gantz vernünftig: keinem Menschen thun sie insgemein kein Leid; und scheuen sich am meisten vor dem blosen Degen.

Die Mittel, welche am allermeisten helffen, sind: man lässet sie, bis daß sie müde werden, tantzen, und das viel Tage hinter einander, fünff bis sechs Stunden lang, lässet ihnen allerley Music machen, die ihnen nur anständig ist; dann alle Music gehöret nicht für alle ohne Unterschied. Etliche hören eine Baßgeige gerne, andere die Trompete, andere die Hautbois und Schallmeye. Durch dergleichen Belustigung und heftige Bewegung wird das Gift zum theile, durch die Schweißlöchlein ausgetrieben und die Ursache der Kranckheit vermindert. Doch darff man sich darum nicht blos an dieses Mittel halten, sondern den Patienten müssen oftmahls das extractum Hellebori und pulvis Algaroth gereichet werden, damit sie recht häuffig von unten und von oben purgiren mögen, desgleichen läst man sie das flüchtige Saltz von Vipern, von Hirschhorn, von Menschenschedel, und vom Agtstein brauchen.

Wird dem Patienten durch jetztbesagte Mittel nicht bald Rath geschaffet, so stehet zu befahren, daß seine Kranckheit tödlich werde. Ist er aber ausser Gefahr und fast curiret, so wird dasselbige daran erkannt, wann er keine Lust nicht mehr zu tantzen hat: wiewol bey vielen dieser Patienten zu geschehen pfleget, daß nach Verfliessung jedes Jahres nach dem Biß, der Anfall wieder kommt, da muß man mit dem Tantz und der Music aufs neue anfangen. Wann der Anfall vorüber ist, so kommt der Patiente, gleichwie von einem tieffen Schlafe, wieder zu sich selbsten, und weiß von allem dem, was vorgegangen ist, nicht das geringste, auch nicht einmahl von tantzen.

Das Gift der Tarantuln wird von dem saueren und flüchtigen Saltze verursachet; das wird in das Gehirne aufgeführet und hänget sich an die Häutlein seiner Gefässe, erwecket allda unter den Lebensgeistern und in dem Ursprung oder Anfange der Nerven, allerhand Bewegungen, kützeln und andere Anstösse, nachdem sichs nämlich reget und mehr oder minder fermentirt und gähret, davon entstehen alle oben angeführete verdrießliche Zufälle.

Vor einigen Jahren hat ein Mitglied von der königlichen Academie der Wissenschaften eine Dissertation von den Tarantuln heraus gegeben; dieselbe ist der Historie ermeldter Academie, vom 1702. Jahre, pag. 20. edit. Amstelod. einverleibet worden.

Taruntula kommt von Tarento, dieweil sich dieses Ungeziefer vor diesem sonst fast nirgends als um diese Stadt hat finden lassen.

Tartarum.

Tartarum, frantzösisch, Tartre, teutsch, Weinstein, Tartarus: ist eine Materie, wie Stein oder als wie eine Kruste, welche innewendig an den Tauben der Weinfasser angehängt befunden wird. Der Weinstein bestehet aus dem gröbsten und saltzigsten [Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] und Zeiten, da ihr Biß keine schädlichen Zufälle verursachet; sondern es sind vor allen andern die in Puglia am meisten wegen ihres Gifts zu fürchten, den sie bey der grösten Sommershitze fahren lassen. Auch wird dafür gehalten, daß zur Zeit, wann sie sich begatten, ihr Gift gar hoch gefährlich sey, und ihre Bisse gar sehr schwer zu heilen.

Die Tarantuln lassen sich nicht nach eines jeden Gefallen fangen: curieuse Leute brauchen die Bauern darzu, dieselben wissen sie heraus zu locken, und kennen die Löcher in der Erde, darein sich dieses Ungeziefer zu verkriechen pfleget: wann sie nun eine ausgespüret haben, so machen sie ein Gesumme, wie die Fliegen, da fährt die Taruntul mit Ungestüm heraus und will die Beute haschen, wird aber darüber selbst gefangen, dann sie stellen ihr die Falle.

Der Tarantuln Biß ist heftig, und verursachet einen solchen Schmertz, als wie der Bienenstich. Das Fleisch rund um das angebissene Glied läufft auf und wird gantz grün und gelbe: einige Stunden darauf wird die Person mit einer tieffen Traurigkeit befallen, mit Zittern aller Glieder, mit schweren Athemhohlen, mit Hauptschmertzen, mit Hertzensangst und Bangigkeit, und der gantze Leib wird starr und steiff: der Puls wird schwächer und schwächer, das Gesichte vergehet, der Verstand verliehrt sich, das reden wird sehr sauer, man meidet oder fliehet die Gesellschaft, und suchet die einsamsten Orte.

Unterweilen lässet sich der Gift nicht eher, als ein Jahr, nachdem man ist gebissen worden, spüren: und die Zufälle, die dadurch verursachet werden, sind recht verwunderlich. Sie heben sich an mit den heftigsten Sprüngen, die der Patient zu machen pfleget: hernach stellen sich ein, verlohrner Appetit, hitzige Fieber, Schmertzen in den Gelencken, gelbe Sucht über den gantzen Leib, Schlafsucht, Verdrehung und Ausdehnung der Arme und der Beine, durch wunderliches Zucken und Ziehen in den Gliedern. Einige, die gebissen worden sind, lachen, andereweinen, die einen schreyen und singen, die andern schlafen, andere wachen, andere speyen und brechen sich, andere schwitzen, andere zittern, andere springen, andere tantzen, andere lauffen unaufhörlich. Etliche tragen solch grosses Belieben zu gewissen Farben, daß sie recht in Entzückung fallen, wann ihnen dergleichen vorgehalten wird: andere geben sich nicht zu frieden, wann sie nicht ein mit Wasser angefülltes gläsernes Geschirr in Händen haben, und dann geberden sie sich anders nicht, als wie die Fechter, und machen einen Hauffen lächerliche Stellungen. Andere binden allerley schöne grüne Kräuter um den Kopf und um die Arme und Beine. Andere hangen sich mit den Schenckeln an die Bäume und lassen den übrigen Leib frey herunter hangen. Andere, wann sie genug gesprungen und getantzet haben, setzen sich nieder, ziehen die Knie zusammen und schliessen die Hände gantz veste herum, seufftzen und achtzen, als wie die allerbetrübtesten Personen. Andere werffen sich auf den Boden nieder, uñ schlagen mit den Händen und mit den Füssen so heftig, als ob sie das böse Wesen hätten. Andere weltzen sich [Spaltenumbruch] im Kothe herum. Kurtz: alle stellen sich als wie die Narren und Wahnwitzigen; doch haben sie auch ihre guten Stunden, und da reden sie gantz vernünftig: keinem Menschen thun sie insgemein kein Leid; und scheuen sich am meisten vor dem blosen Degen.

Die Mittel, welche am allermeisten helffen, sind: man lässet sie, bis daß sie müde werden, tantzen, und das viel Tage hinter einander, fünff bis sechs Stunden lang, lässet ihnen allerley Music machen, die ihnen nur anständig ist; dann alle Music gehöret nicht für alle ohne Unterschied. Etliche hören eine Baßgeige gerne, andere die Trompete, andere die Hautbois und Schallmeye. Durch dergleichen Belustigung und heftige Bewegung wird das Gift zum theile, durch die Schweißlöchlein ausgetrieben und die Ursache der Kranckheit vermindert. Doch darff man sich darum nicht blos an dieses Mittel halten, sondern den Patienten müssen oftmahls das extractum Hellebori und pulvis Algaroth gereichet werden, damit sie recht häuffig von unten und von oben purgiren mögen, desgleichen läst man sie das flüchtige Saltz von Vipern, von Hirschhorn, von Menschenschedel, und vom Agtstein brauchen.

Wird dem Patienten durch jetztbesagte Mittel nicht bald Rath geschaffet, so stehet zu befahren, daß seine Kranckheit tödlich werde. Ist er aber ausser Gefahr und fast curiret, so wird dasselbige daran erkannt, wann er keine Lust nicht mehr zu tantzen hat: wiewol bey vielen dieser Patienten zu geschehen pfleget, daß nach Verfliessung jedes Jahres nach dem Biß, der Anfall wieder kommt, da muß man mit dem Tantz und der Music aufs neue anfangen. Wann der Anfall vorüber ist, so kommt der Patiente, gleichwie von einem tieffen Schlafe, wieder zu sich selbsten, und weiß von allem dem, was vorgegangen ist, nicht das geringste, auch nicht einmahl von tantzen.

Das Gift der Tarantuln wird von dem saueren und flüchtigen Saltze verursachet; das wird in das Gehirne aufgeführet und hänget sich an die Häutlein seiner Gefässe, erwecket allda unter den Lebensgeistern und in dem Ursprung oder Anfange der Nerven, allerhand Bewegungen, kützeln und andere Anstösse, nachdem sichs nämlich reget und mehr oder minder fermentirt und gähret, davon entstehen alle oben angeführete verdrießliche Zufälle.

Vor einigen Jahren hat ein Mitglied von der königlichen Academie der Wissenschaften eine Dissertation von den Tarantuln heraus gegeben; dieselbe ist der Historie ermeldter Academie, vom 1702. Jahre, pag. 20. edit. Amstelod. einverleibet worden.

Taruntula kommt von Tarento, dieweil sich dieses Ungeziefer vor diesem sonst fast nirgends als um diese Stadt hat finden lassen.

Tartarum.

Tartarum, frantzösisch, Tartre, teutsch, Weinstein, Tartarus: ist eine Materie, wie Stein oder als wie eine Kruste, welche innewendig an den Tauben der Weinfasser angehängt befunden wird. Der Weinstein bestehet aus dem gröbsten und saltzigsten [Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div type="lexiconEntry">
          <p><pb facs="#f0576"/><cb type="start"/>
und Zeiten, da ihr Biß keine schädlichen Zufälle verursachet; sondern es sind vor allen andern die in Puglia am meisten wegen ihres Gifts zu fürchten, den sie bey der grösten Sommershitze fahren lassen. Auch wird dafür gehalten, daß zur Zeit, wann sie sich begatten, ihr Gift gar hoch gefährlich sey, und ihre Bisse gar sehr schwer zu heilen.</p><lb/>
          <p>Die Tarantuln lassen sich nicht nach eines jeden Gefallen fangen: curieuse Leute brauchen die Bauern darzu, dieselben wissen sie heraus zu locken, und kennen die Löcher in der Erde, darein sich dieses Ungeziefer zu verkriechen pfleget: wann sie nun eine ausgespüret haben, so machen sie ein Gesumme, wie die Fliegen, da fährt die Taruntul mit Ungestüm heraus und will die Beute haschen, wird aber darüber selbst gefangen, dann sie stellen ihr die Falle.</p><lb/>
          <p>Der Tarantuln Biß ist heftig, und verursachet einen solchen Schmertz, als wie der Bienenstich. Das Fleisch rund um das angebissene Glied läufft auf und wird gantz grün und gelbe: einige Stunden darauf wird die Person mit einer tieffen Traurigkeit befallen, mit Zittern aller Glieder, mit schweren Athemhohlen, mit Hauptschmertzen, mit Hertzensangst und Bangigkeit, und der gantze Leib wird starr und steiff: der Puls wird schwächer und schwächer, das Gesichte vergehet, der Verstand verliehrt sich, das reden wird sehr sauer, man meidet oder fliehet die Gesellschaft, und suchet die einsamsten Orte.</p><lb/>
          <p>Unterweilen lässet sich der Gift nicht eher, als ein Jahr, nachdem man ist gebissen worden, spüren: und die Zufälle, die dadurch verursachet werden, sind recht verwunderlich. Sie heben sich an mit den heftigsten Sprüngen, die der Patient zu machen pfleget: hernach stellen sich ein, verlohrner Appetit, hitzige Fieber, Schmertzen in den Gelencken, gelbe Sucht über den gantzen Leib, Schlafsucht, Verdrehung und Ausdehnung der Arme und der Beine, durch wunderliches Zucken und Ziehen in den Gliedern. Einige, die gebissen worden sind, lachen, andereweinen, die einen schreyen und singen, die andern schlafen, andere wachen, andere speyen und brechen sich, andere schwitzen, andere zittern, andere springen, andere tantzen, andere lauffen unaufhörlich. Etliche tragen solch grosses Belieben zu gewissen Farben, daß sie recht in Entzückung fallen, wann ihnen dergleichen vorgehalten wird: andere geben sich nicht zu frieden, wann sie nicht ein mit Wasser angefülltes gläsernes Geschirr in Händen haben, und dann geberden sie sich anders nicht, als wie die Fechter, und machen einen Hauffen lächerliche Stellungen. Andere binden allerley schöne grüne Kräuter um den Kopf und um die Arme und Beine. Andere hangen sich mit den Schenckeln an die Bäume und lassen den übrigen Leib frey herunter hangen. Andere, wann sie genug gesprungen und getantzet haben, setzen sich nieder, ziehen die Knie zusammen und schliessen die Hände gantz veste herum, seufftzen und achtzen, als wie die allerbetrübtesten Personen. Andere werffen sich auf den Boden nieder, uñ schlagen mit den Händen und mit den Füssen so heftig, als ob sie das böse Wesen hätten. Andere weltzen sich <cb/>
im Kothe herum. Kurtz: alle stellen sich als wie die Narren und Wahnwitzigen; doch haben sie auch ihre guten Stunden, und da reden sie gantz vernünftig: keinem Menschen thun sie insgemein kein Leid; und scheuen sich am meisten vor dem blosen Degen.</p><lb/>
          <p>Die Mittel, welche am allermeisten helffen, sind: man lässet sie, bis daß sie müde werden, tantzen, und das viel Tage hinter einander, fünff bis sechs Stunden lang, lässet ihnen allerley Music machen, die ihnen nur anständig ist; dann alle Music gehöret nicht für alle ohne Unterschied. Etliche hören eine Baßgeige gerne, andere die Trompete, andere die Hautbois und Schallmeye. Durch dergleichen Belustigung und heftige Bewegung wird das Gift zum theile, durch die Schweißlöchlein ausgetrieben und die Ursache der Kranckheit vermindert. Doch darff man sich darum nicht blos an dieses Mittel halten, sondern den Patienten müssen oftmahls das <hi rendition="#i">extractum Hellebori</hi> und <hi rendition="#i">pulvis Algaroth</hi> gereichet werden, damit sie recht häuffig von unten und von oben purgiren mögen, desgleichen läst man sie das flüchtige Saltz von Vipern, von Hirschhorn, von Menschenschedel, und vom Agtstein brauchen.</p><lb/>
          <p>Wird dem Patienten durch jetztbesagte Mittel nicht bald Rath geschaffet, so stehet zu befahren, daß seine Kranckheit tödlich werde. Ist er aber ausser Gefahr und fast curiret, so wird dasselbige daran erkannt, wann er keine Lust nicht mehr zu tantzen hat: wiewol bey vielen dieser Patienten zu geschehen pfleget, daß nach Verfliessung jedes Jahres nach dem Biß, der Anfall wieder kommt, da muß man mit dem Tantz und der Music aufs neue anfangen. Wann der Anfall vorüber ist, so kommt der Patiente, gleichwie von einem tieffen Schlafe, wieder zu sich selbsten, und weiß von allem dem, was vorgegangen ist, nicht das geringste, auch nicht einmahl von tantzen.</p><lb/>
          <p>Das Gift der Tarantuln wird von dem saueren und flüchtigen Saltze verursachet; das wird in das Gehirne aufgeführet und hänget sich an die Häutlein seiner Gefässe, erwecket allda unter den Lebensgeistern und in dem Ursprung oder Anfange der Nerven, allerhand Bewegungen, kützeln und andere Anstösse, nachdem sichs nämlich reget und mehr oder minder <hi rendition="#i">fermenti</hi>rt und gähret, davon entstehen alle oben angeführete verdrießliche Zufälle.</p><lb/>
          <p>Vor einigen Jahren hat ein Mitglied von der königlichen Academie der Wissenschaften eine <hi rendition="#i">Dissertation</hi> von den Tarantuln heraus gegeben; dieselbe ist der Historie ermeldter Academie, vom 1702. Jahre, <hi rendition="#i">pag.</hi> 20. <hi rendition="#i">edit. Amstelod.</hi> einverleibet worden.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#i">Taruntula</hi> kommt von <hi rendition="#i">Tarento,</hi> dieweil sich dieses Ungeziefer vor diesem sonst fast nirgends als um diese Stadt hat finden lassen.</p>
        </div><lb/>
        <div type="lexiconEntry">
          <head>Tartarum.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Tartarum</hi></hi>, frantzösisch, <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">Tartre</hi></hi>, teutsch, <hi rendition="#fr">Weinstein, Tartarus:</hi> ist eine Materie, wie Stein oder als wie eine Kruste, welche innewendig an den Tauben der Weinfasser angehängt befunden wird. Der Weinstein bestehet aus dem gröbsten und saltzigsten <cb type="end"/>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0576] und Zeiten, da ihr Biß keine schädlichen Zufälle verursachet; sondern es sind vor allen andern die in Puglia am meisten wegen ihres Gifts zu fürchten, den sie bey der grösten Sommershitze fahren lassen. Auch wird dafür gehalten, daß zur Zeit, wann sie sich begatten, ihr Gift gar hoch gefährlich sey, und ihre Bisse gar sehr schwer zu heilen. Die Tarantuln lassen sich nicht nach eines jeden Gefallen fangen: curieuse Leute brauchen die Bauern darzu, dieselben wissen sie heraus zu locken, und kennen die Löcher in der Erde, darein sich dieses Ungeziefer zu verkriechen pfleget: wann sie nun eine ausgespüret haben, so machen sie ein Gesumme, wie die Fliegen, da fährt die Taruntul mit Ungestüm heraus und will die Beute haschen, wird aber darüber selbst gefangen, dann sie stellen ihr die Falle. Der Tarantuln Biß ist heftig, und verursachet einen solchen Schmertz, als wie der Bienenstich. Das Fleisch rund um das angebissene Glied läufft auf und wird gantz grün und gelbe: einige Stunden darauf wird die Person mit einer tieffen Traurigkeit befallen, mit Zittern aller Glieder, mit schweren Athemhohlen, mit Hauptschmertzen, mit Hertzensangst und Bangigkeit, und der gantze Leib wird starr und steiff: der Puls wird schwächer und schwächer, das Gesichte vergehet, der Verstand verliehrt sich, das reden wird sehr sauer, man meidet oder fliehet die Gesellschaft, und suchet die einsamsten Orte. Unterweilen lässet sich der Gift nicht eher, als ein Jahr, nachdem man ist gebissen worden, spüren: und die Zufälle, die dadurch verursachet werden, sind recht verwunderlich. Sie heben sich an mit den heftigsten Sprüngen, die der Patient zu machen pfleget: hernach stellen sich ein, verlohrner Appetit, hitzige Fieber, Schmertzen in den Gelencken, gelbe Sucht über den gantzen Leib, Schlafsucht, Verdrehung und Ausdehnung der Arme und der Beine, durch wunderliches Zucken und Ziehen in den Gliedern. Einige, die gebissen worden sind, lachen, andereweinen, die einen schreyen und singen, die andern schlafen, andere wachen, andere speyen und brechen sich, andere schwitzen, andere zittern, andere springen, andere tantzen, andere lauffen unaufhörlich. Etliche tragen solch grosses Belieben zu gewissen Farben, daß sie recht in Entzückung fallen, wann ihnen dergleichen vorgehalten wird: andere geben sich nicht zu frieden, wann sie nicht ein mit Wasser angefülltes gläsernes Geschirr in Händen haben, und dann geberden sie sich anders nicht, als wie die Fechter, und machen einen Hauffen lächerliche Stellungen. Andere binden allerley schöne grüne Kräuter um den Kopf und um die Arme und Beine. Andere hangen sich mit den Schenckeln an die Bäume und lassen den übrigen Leib frey herunter hangen. Andere, wann sie genug gesprungen und getantzet haben, setzen sich nieder, ziehen die Knie zusammen und schliessen die Hände gantz veste herum, seufftzen und achtzen, als wie die allerbetrübtesten Personen. Andere werffen sich auf den Boden nieder, uñ schlagen mit den Händen und mit den Füssen so heftig, als ob sie das böse Wesen hätten. Andere weltzen sich im Kothe herum. Kurtz: alle stellen sich als wie die Narren und Wahnwitzigen; doch haben sie auch ihre guten Stunden, und da reden sie gantz vernünftig: keinem Menschen thun sie insgemein kein Leid; und scheuen sich am meisten vor dem blosen Degen. Die Mittel, welche am allermeisten helffen, sind: man lässet sie, bis daß sie müde werden, tantzen, und das viel Tage hinter einander, fünff bis sechs Stunden lang, lässet ihnen allerley Music machen, die ihnen nur anständig ist; dann alle Music gehöret nicht für alle ohne Unterschied. Etliche hören eine Baßgeige gerne, andere die Trompete, andere die Hautbois und Schallmeye. Durch dergleichen Belustigung und heftige Bewegung wird das Gift zum theile, durch die Schweißlöchlein ausgetrieben und die Ursache der Kranckheit vermindert. Doch darff man sich darum nicht blos an dieses Mittel halten, sondern den Patienten müssen oftmahls das extractum Hellebori und pulvis Algaroth gereichet werden, damit sie recht häuffig von unten und von oben purgiren mögen, desgleichen läst man sie das flüchtige Saltz von Vipern, von Hirschhorn, von Menschenschedel, und vom Agtstein brauchen. Wird dem Patienten durch jetztbesagte Mittel nicht bald Rath geschaffet, so stehet zu befahren, daß seine Kranckheit tödlich werde. Ist er aber ausser Gefahr und fast curiret, so wird dasselbige daran erkannt, wann er keine Lust nicht mehr zu tantzen hat: wiewol bey vielen dieser Patienten zu geschehen pfleget, daß nach Verfliessung jedes Jahres nach dem Biß, der Anfall wieder kommt, da muß man mit dem Tantz und der Music aufs neue anfangen. Wann der Anfall vorüber ist, so kommt der Patiente, gleichwie von einem tieffen Schlafe, wieder zu sich selbsten, und weiß von allem dem, was vorgegangen ist, nicht das geringste, auch nicht einmahl von tantzen. Das Gift der Tarantuln wird von dem saueren und flüchtigen Saltze verursachet; das wird in das Gehirne aufgeführet und hänget sich an die Häutlein seiner Gefässe, erwecket allda unter den Lebensgeistern und in dem Ursprung oder Anfange der Nerven, allerhand Bewegungen, kützeln und andere Anstösse, nachdem sichs nämlich reget und mehr oder minder fermentirt und gähret, davon entstehen alle oben angeführete verdrießliche Zufälle. Vor einigen Jahren hat ein Mitglied von der königlichen Academie der Wissenschaften eine Dissertation von den Tarantuln heraus gegeben; dieselbe ist der Historie ermeldter Academie, vom 1702. Jahre, pag. 20. edit. Amstelod. einverleibet worden. Taruntula kommt von Tarento, dieweil sich dieses Ungeziefer vor diesem sonst fast nirgends als um diese Stadt hat finden lassen. Tartarum. Tartarum, frantzösisch, Tartre, teutsch, Weinstein, Tartarus: ist eine Materie, wie Stein oder als wie eine Kruste, welche innewendig an den Tauben der Weinfasser angehängt befunden wird. Der Weinstein bestehet aus dem gröbsten und saltzigsten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

TextGrid: Digitale Bibliothek: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-02-19T20:05:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-02-19T20:05:58Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: nein;

Abbildungen innerhalb des Textteils wurden nicht markiert. Die Stichwörter der einzelnen Einträge innerhalb des Textteils sind, abweichend von der Vorlage, nicht in Versalien gesetzt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lemery_lexicon_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lemery_lexicon_1721/576
Zitationshilfe: Lémery, Nicolas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lemery_lexicon_1721/576>, abgerufen am 22.12.2024.