Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776.gen, ihre Wunder mögen Bücher anfüllen; -- Seyn Sie versichert, Aebtissin, keine von diesen Weibern hat wie ich geliebt. Sonst hätten wir von ihr nur eine Legende; -- sie starb vor Quaa- len der Liebe. Aebtissin. Du hast Recht, eine Heilige ist bloß eine schöne Verirrung der Natur. Blanka. Jch darf also weinen? -- von heut' an bin ich weniger unglücklich. Aebtissin. Aber mässige Dich, Kind, man kan sich zerstreuen. Blanka. Zerstreuen? -- Meine Seele ist nicht zum zerstreuen gemacht, auch als ich noch lebte, hatt' ich nur einen Gedanken. -- Was soll mich zerstreuen? selbst in den Gedanken, der von fern Andacht schien, liegt Julius verborgen, und die Betrachtung der Ewigkeit! -- Ewigkeit ist ja die Dauer der Liebe. Sehn Sie, wie der Mond scheint! Sie denken sich ihn als einen leuchtenden Welt- körper -- ich seh an ihm bloß den Zeugen meines ersten Kusses -- ein nicht zu rauben- des Andenken meiner Liebe -- Sey gegrüsst, lieber Mond! Aebtissin. Auch Ricardo -- (sie drückt Blankas Hand; Pause) gen, ihre Wunder moͤgen Buͤcher anfuͤllen; — Seyn Sie verſichert, Aebtiſſin, keine von dieſen Weibern hat wie ich geliebt. Sonſt haͤtten wir von ihr nur eine Legende; — ſie ſtarb vor Quaa- len der Liebe. Aebtiſſin. Du haſt Recht, eine Heilige iſt bloß eine ſchoͤne Verirrung der Natur. Blanka. Jch darf alſo weinen? — von heut’ an bin ich weniger ungluͤcklich. Aebtiſſin. Aber maͤſſige Dich, Kind, man kan ſich zerſtreuen. Blanka. Zerſtreuen? — Meine Seele iſt nicht zum zerſtreuen gemacht, auch als ich noch lebte, hatt’ ich nur einen Gedanken. — Was ſoll mich zerſtreuen? ſelbſt in den Gedanken, der von fern Andacht ſchien, liegt Julius verborgen, und die Betrachtung der Ewigkeit! — Ewigkeit iſt ja die Dauer der Liebe. Sehn Sie, wie der Mond ſcheint! Sie denken ſich ihn als einen leuchtenden Welt- koͤrper — ich ſeh an ihm bloß den Zeugen meines erſten Kuſſes — ein nicht zu rauben- des Andenken meiner Liebe — Sey gegruͤſſt, lieber Mond! Aebtiſſin. Auch Ricardo — (ſie druͤckt Blankas Hand; Pauſe) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#BLA"> <p><pb facs="#f0079" n="75"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> gen, ihre Wunder moͤgen Buͤcher anfuͤllen; —<lb/> Seyn Sie verſichert, Aebtiſſin, keine von dieſen<lb/> Weibern hat wie ich geliebt. Sonſt haͤtten wir<lb/> von ihr nur eine Legende; — ſie ſtarb vor Quaa-<lb/> len der Liebe.</p> </sp><lb/> <sp who="#AEB"> <speaker>Aebtiſſin.</speaker> <p>Du haſt Recht, eine Heilige<lb/> iſt bloß eine ſchoͤne Verirrung der Natur.</p> </sp><lb/> <sp who="#BLA"> <speaker>Blanka.</speaker> <p>Jch darf alſo weinen? — von<lb/> heut’ an bin ich weniger ungluͤcklich.</p> </sp><lb/> <sp who="#AEB"> <speaker>Aebtiſſin.</speaker> <p>Aber maͤſſige Dich, Kind, man<lb/> kan ſich zerſtreuen.</p> </sp><lb/> <sp who="#BLA"> <speaker>Blanka.</speaker> <p>Zerſtreuen? — Meine Seele<lb/> iſt nicht zum zerſtreuen gemacht, auch als ich<lb/> noch lebte, hatt’ ich nur einen Gedanken.<lb/> — Was ſoll mich zerſtreuen? ſelbſt in den<lb/> Gedanken, der von fern Andacht ſchien, liegt<lb/> Julius verborgen, und die Betrachtung der<lb/> Ewigkeit! — Ewigkeit iſt ja die Dauer der<lb/> Liebe. Sehn Sie, wie der Mond ſcheint!<lb/> Sie denken ſich ihn als einen leuchtenden Welt-<lb/> koͤrper — ich ſeh an ihm bloß den Zeugen<lb/> meines erſten Kuſſes — ein nicht zu rauben-<lb/> des Andenken meiner Liebe — Sey gegruͤſſt,<lb/> lieber Mond!</p> </sp><lb/> <sp who="#AEB"> <speaker>Aebtiſſin.</speaker> <p>Auch Ricardo — <stage>(ſie druͤckt<lb/> Blankas Hand; Pauſe)</stage></p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [75/0079]
gen, ihre Wunder moͤgen Buͤcher anfuͤllen; —
Seyn Sie verſichert, Aebtiſſin, keine von dieſen
Weibern hat wie ich geliebt. Sonſt haͤtten wir
von ihr nur eine Legende; — ſie ſtarb vor Quaa-
len der Liebe.
Aebtiſſin. Du haſt Recht, eine Heilige
iſt bloß eine ſchoͤne Verirrung der Natur.
Blanka. Jch darf alſo weinen? — von
heut’ an bin ich weniger ungluͤcklich.
Aebtiſſin. Aber maͤſſige Dich, Kind, man
kan ſich zerſtreuen.
Blanka. Zerſtreuen? — Meine Seele
iſt nicht zum zerſtreuen gemacht, auch als ich
noch lebte, hatt’ ich nur einen Gedanken.
— Was ſoll mich zerſtreuen? ſelbſt in den
Gedanken, der von fern Andacht ſchien, liegt
Julius verborgen, und die Betrachtung der
Ewigkeit! — Ewigkeit iſt ja die Dauer der
Liebe. Sehn Sie, wie der Mond ſcheint!
Sie denken ſich ihn als einen leuchtenden Welt-
koͤrper — ich ſeh an ihm bloß den Zeugen
meines erſten Kuſſes — ein nicht zu rauben-
des Andenken meiner Liebe — Sey gegruͤſſt,
lieber Mond!
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Blankas Hand; Pauſe)
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Zitationshilfe: | Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leisewitz_julius_1776/79>, abgerufen am 28.07.2024. |