Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776.Sechster Auftritt. Blankas Zelle. Blanka. (sizt vor einem Tische, worauf einige Bücher und andres geistliches Geräth liegen, sie ließt in einem Folianten) Jch kan nicht weiter, meine Andacht ist Sünde. Julius! immer um den dritten Gedan- ken Dein Bild! (macht das Buch zu und steht auf) Und dieser Wechsel von Metten und Vespern, von Begierden und Reue, das ist es, was sie das Leben nennen, und Jugend, der Frühling des Le- bens? Gott, was giebt meiner Seele Friede? -- vereinigt diese Empfindungen, von denen eine die andere bekämpft, und diese Gedanken, von denen jeder des andern Lügen straft? (Pause) Nichts als der Tod! Noch Julius mein Lieblingsgedanke? -- Jn den Tagen der Freude dacht' ich anders -- ich dachte, Tod verändert die Liebe nicht. -- ich habe meine Unsterblichkeit nie so stark, als in Julius Armen gefühlt, ich em- pfand, meine Liebe ist ewig, also, dacht' ich, muß es mein Geist auch seyn. Aber izt, da ich ihre Quaa- len kenne -- er wird mein starres Auge nicht zudrücken. -- Nein, Nein, die Liebe stirbt. (Sie liest einige Augenblicke, schlägt aber bald das Buch zu.) Sechſter Auftritt. Blankas Zelle. Blanka. (ſizt vor einem Tiſche, worauf einige Buͤcher und andres geiſtliches Geraͤth liegen, ſie ließt in einem Folianten) Jch kan nicht weiter, meine Andacht iſt Suͤnde. Julius! immer um den dritten Gedan- ken Dein Bild! (macht das Buch zu und ſteht auf) Und dieſer Wechſel von Metten und Veſpern, von Begierden und Reue, das iſt es, was ſie das Leben nennen, und Jugend, der Fruͤhling des Le- bens? Gott, was giebt meiner Seele Friede? — vereinigt dieſe Empfindungen, von denen eine die andere bekaͤmpft, und dieſe Gedanken, von denen jeder des andern Luͤgen ſtraft? (Pauſe) Nichts als der Tod! Noch Julius mein Lieblingsgedanke? — Jn den Tagen der Freude dacht’ ich anders — ich dachte, Tod veraͤndert die Liebe nicht. — ich habe meine Unſterblichkeit nie ſo ſtark, als in Julius Armen gefuͤhlt, ich em- pfand, meine Liebe iſt ewig, alſo, dacht’ ich, muß es mein Geiſt auch ſeyn. Aber izt, da ich ihre Quaa- len kenne — er wird mein ſtarres Auge nicht zudruͤcken. — Nein, Nein, die Liebe ſtirbt. (Sie lieſt einige Augenblicke, ſchlaͤgt aber bald das Buch zu.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0077" n="73"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Sechſter Auftritt</hi>.</hi> </head><lb/> <stage> <hi rendition="#c">Blankas Zelle.</hi> </stage><lb/> <sp who="#BLA"> <speaker>Blanka.</speaker> <stage>(ſizt vor einem Tiſche, worauf einige<lb/> Buͤcher und andres geiſtliches Geraͤth liegen,<lb/> ſie ließt in einem Folianten)</stage><lb/> <p>Jch kan nicht weiter, meine Andacht iſt<lb/> Suͤnde. Julius! immer um den dritten Gedan-<lb/> ken Dein Bild! <stage>(macht das Buch zu und ſteht<lb/> auf)</stage> Und dieſer Wechſel von Metten und Veſpern,<lb/> von Begierden und Reue, das iſt es, was ſie das<lb/> Leben nennen, und Jugend, der Fruͤhling des Le-<lb/> bens? Gott, was giebt meiner Seele Friede? —<lb/> vereinigt dieſe Empfindungen, von denen eine die<lb/> andere bekaͤmpft, und dieſe Gedanken, von denen<lb/> jeder des andern Luͤgen ſtraft? <stage>(Pauſe)</stage></p><lb/> <p>Nichts als der Tod! Noch Julius mein<lb/> Lieblingsgedanke? — Jn den Tagen der Freude<lb/> dacht’ ich anders — ich dachte, Tod veraͤndert<lb/> die Liebe nicht. — ich habe meine Unſterblichkeit<lb/> nie ſo ſtark, als in Julius Armen gefuͤhlt, ich em-<lb/> pfand, meine Liebe iſt ewig, alſo, dacht’ ich, muß es<lb/> mein Geiſt auch ſeyn. Aber izt, da ich ihre Quaa-<lb/> len kenne — er wird mein ſtarres Auge nicht<lb/> zudruͤcken. — Nein, Nein, die Liebe ſtirbt.</p><lb/> <stage>(Sie lieſt einige Augenblicke, ſchlaͤgt aber<lb/> bald das Buch zu.)</stage><lb/> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [73/0077]
Sechſter Auftritt.
Blankas Zelle.
Blanka. (ſizt vor einem Tiſche, worauf einige
Buͤcher und andres geiſtliches Geraͤth liegen,
ſie ließt in einem Folianten)
Jch kan nicht weiter, meine Andacht iſt
Suͤnde. Julius! immer um den dritten Gedan-
ken Dein Bild! (macht das Buch zu und ſteht
auf) Und dieſer Wechſel von Metten und Veſpern,
von Begierden und Reue, das iſt es, was ſie das
Leben nennen, und Jugend, der Fruͤhling des Le-
bens? Gott, was giebt meiner Seele Friede? —
vereinigt dieſe Empfindungen, von denen eine die
andere bekaͤmpft, und dieſe Gedanken, von denen
jeder des andern Luͤgen ſtraft? (Pauſe)
Nichts als der Tod! Noch Julius mein
Lieblingsgedanke? — Jn den Tagen der Freude
dacht’ ich anders — ich dachte, Tod veraͤndert
die Liebe nicht. — ich habe meine Unſterblichkeit
nie ſo ſtark, als in Julius Armen gefuͤhlt, ich em-
pfand, meine Liebe iſt ewig, alſo, dacht’ ich, muß es
mein Geiſt auch ſeyn. Aber izt, da ich ihre Quaa-
len kenne — er wird mein ſtarres Auge nicht
zudruͤcken. — Nein, Nein, die Liebe ſtirbt.
(Sie lieſt einige Augenblicke, ſchlaͤgt aber
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Zitationshilfe: | Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leisewitz_julius_1776/77>, abgerufen am 16.02.2025. |