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Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776.

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Julius. Ein wachender Traum, also noch
weniger als ein Traum. Wie ich Abends auf
mein Zimmer trete, schiesst der Mond nun eben
ein paar Strahlen hinein, und die fallen just auf
Blankas Bildnis. Jch seh es an, mich deucht,
das Gesicht verzieht sich zum Weinen, und nach
einem Augenblik sah' ich helle Perlen über seine
Wangen rollen. Es war Phantasey; aber Phan-
tasey, die mir alle Würklichkeit verdächtig machen
könnte.

Diese Thränen schwemmten meine ganze
Standhaftigkeit weg. Jch hatte eine Nacht --
eine Nacht -- Glauben sie es, Freund, unsere
Seele ist ein einfaches Wesen, -- hätte die Last,
die diese Nacht auf der meinigen lag, ein zusam-
mengeseztes gedrükt, die Fugen der Theile hätten
nachgelassen, und der Staub hätte sich zum Stau-
be gesammelt.
Aspermonte. Ach ich kenne diesen Zustand
zu gut.
Julius. Was wolten Sie kennen! -- Nen-
nen sie mir eine Empfindung, ich habe sie gehabt.
Jmmer ward ich von einem Ende der menschli-
chen Natur zum andern gewirbelt, oft durch einen
Sprung von entgegengesezter Empfindung zu ent-
gegengesezter, oft durch alle, die zwischen ihnen
liegen, geschleift.



Julius. Ein wachender Traum, alſo noch
weniger als ein Traum. Wie ich Abends auf
mein Zimmer trete, ſchieſſt der Mond nun eben
ein paar Strahlen hinein, und die fallen juſt auf
Blankas Bildnis. Jch ſeh es an, mich deucht,
das Geſicht verzieht ſich zum Weinen, und nach
einem Augenblik ſah’ ich helle Perlen uͤber ſeine
Wangen rollen. Es war Phantaſey; aber Phan-
taſey, die mir alle Wuͤrklichkeit verdaͤchtig machen
koͤnnte.

Dieſe Thraͤnen ſchwemmten meine ganze
Standhaftigkeit weg. Jch hatte eine Nacht —
eine Nacht — Glauben ſie es, Freund, unſere
Seele iſt ein einfaches Weſen, — haͤtte die Laſt,
die dieſe Nacht auf der meinigen lag, ein zuſam-
mengeſeztes gedruͤkt, die Fugen der Theile haͤtten
nachgelaſſen, und der Staub haͤtte ſich zum Stau-
be geſammelt.
Aſpermonte. Ach ich kenne dieſen Zuſtand
zu gut.
Julius. Was wolten Sie kennen! — Nen-
nen ſie mir eine Empfindung, ich habe ſie gehabt.
Jmmer ward ich von einem Ende der menſchli-
chen Natur zum andern gewirbelt, oft durch einen
Sprung von entgegengeſezter Empfindung zu ent-
gegengeſezter, oft durch alle, die zwiſchen ihnen
liegen, geſchleift.

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[6/0010] Julius. Ein wachender Traum, alſo noch weniger als ein Traum. Wie ich Abends auf mein Zimmer trete, ſchieſſt der Mond nun eben ein paar Strahlen hinein, und die fallen juſt auf Blankas Bildnis. Jch ſeh es an, mich deucht, das Geſicht verzieht ſich zum Weinen, und nach einem Augenblik ſah’ ich helle Perlen uͤber ſeine Wangen rollen. Es war Phantaſey; aber Phan- taſey, die mir alle Wuͤrklichkeit verdaͤchtig machen koͤnnte. Dieſe Thraͤnen ſchwemmten meine ganze Standhaftigkeit weg. Jch hatte eine Nacht — eine Nacht — Glauben ſie es, Freund, unſere Seele iſt ein einfaches Weſen, — haͤtte die Laſt, die dieſe Nacht auf der meinigen lag, ein zuſam- mengeſeztes gedruͤkt, die Fugen der Theile haͤtten nachgelaſſen, und der Staub haͤtte ſich zum Stau- be geſammelt. Aſpermonte. Ach ich kenne dieſen Zuſtand zu gut. Julius. Was wolten Sie kennen! — Nen- nen ſie mir eine Empfindung, ich habe ſie gehabt. Jmmer ward ich von einem Ende der menſchli- chen Natur zum andern gewirbelt, oft durch einen Sprung von entgegengeſezter Empfindung zu ent- gegengeſezter, oft durch alle, die zwiſchen ihnen liegen, geſchleift.

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Zitationshilfe: Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leisewitz_julius_1776/10>, abgerufen am 21.11.2024.