Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Bild:
<< vorherige Seite

seyn, es könte aber auch solches auf zweyerley Weise geschehen:
nach der ietzigen Aussprache, und nach dem Ursprung, wenn man
nemlich nach seinen Grund-Wurtzeln gehen, und ieder Wurtzel, oder
iedem Stamm seine Sprossen anfügen wolte; welches auf gewisse masse
sehr dienlich, auch eine Ordnung mit der andern zu vereinigen nütz-
lich wäre. Der Sprach-Schatz aber, darin alle Kunst-Worte begriffen,
wäre besser und nützlicher nach den Arten der Dinge, als nach den
Buchstaben der Worte abzufassen, weilen alda die verwandten Dinge
einander erklären helffen, obschon letztens ein Alphabetisches Register
beyzufügen. Aber die Wort und Reden des durchgehenden Gebrauchs
könten nützlich auf beyde Weise vermittelst eines Deutungs-Buchs
(Lexici) nach dem Alphabet, und vermittelst eines Nahm-Buchs nach
den Sorten der Dinge dargestellet werden; beydes könte den Nahmen
eines Dictionarii oder Wörter-Buchs verdienen, und beydes würde seinen
besondern, die letzte Art aber meines Erachtens den grösten Nutzen haben.

79. Es sind auch gewisse Neben-Dictionaria so zu sagen, so die
Lateiner und Griechen brauchen und bey den Teutschen dermahleins
nicht allerdings ausser Augen zu setzen, als Particularum, Epithetorum,
Phrasium &c.
der Prosodien und Reim-Register zu geschweigen;
welches alles aber, wann das Haupt-Werck gehoben, sich mit der Zeit
von selbsten finden wird. Biss hieher vom Reichthum der Sprache.

80. Die Reinigkeit der Sprache, Rede und Schrifft bestehet darin,
dass so wol die Worte und Red-Arten gut Teutsch lauten, als dass
die Grammatic oder Sprach-Kunst gebührend beobachtet, mithin auch
der Teutsche Priscianus verschonet werde.

81. Was die Wort und Weisen zu reden betrifft, so muss man
sich hüten vor Unanständigen, Ohnvernehmlichen und Fremden oder
Unteutschen.

82. Unanständige Worte sind die niederträchtige, offt etwas Gröb-
liches andeutende Worte, die der Pöbel braucht, plebeja & rustica
verba, wo sie nicht eine sonderliche Artigkeit haben und gar wol zu
passe kommen, oder zum schertz mit guter Manier anbracht werden.
Es giebt auch gewisse niedrige Worte, so man im Schreiben so wol,
als ernsthafften förmlichen Reden gern vermeidet, dergleichen zu be-
zeichnen wären, damit man dessfalls sich besser in acht nehmen könte.

seyn, es könte aber auch solches auf zweyerley Weise geschehen:
nach der ietzigen Aussprache, und nach dem Ursprung, wenn man
nemlich nach seinen Grund-Wurtzeln gehen, und ieder Wurtzel, oder
iedem Stamm seine Sprossen anfügen wolte; welches auf gewisse masse
sehr dienlich, auch eine Ordnung mit der andern zu vereinigen nütz-
lich wäre. Der Sprach-Schatz aber, darin alle Kunst-Worte begriffen,
wäre besser und nützlicher nach den Arten der Dinge, als nach den
Buchstaben der Worte abzufassen, weilen alda die verwandten Dinge
einander erklären helffen, obschon letztens ein Alphabetisches Register
beyzufügen. Aber die Wort und Reden des durchgehenden Gebrauchs
könten nützlich auf beyde Weise vermittelst eines Deutungs-Buchs
(Lexici) nach dem Alphabet, und vermittelst eines Nahm-Buchs nach
den Sorten der Dinge dargestellet werden; beydes könte den Nahmen
eines Dictionarii oder Wörter-Buchs verdienen, und beydes würde seinen
besondern, die letzte Art aber meines Erachtens den grösten Nutzen haben.

79. Es sind auch gewisse Neben-Dictionaria so zu sagen, so die
Lateiner und Griechen brauchen und bey den Teutschen dermahleins
nicht allerdings ausser Augen zu setzen, als Particularum, Epithetorum,
Phrasium &c.
der Prosodien und Reim-Register zu geschweigen;
welches alles aber, wann das Haupt-Werck gehoben, sich mit der Zeit
von selbsten finden wird. Biss hieher vom Reichthum der Sprache.

80. Die Reinigkeit der Sprache, Rede und Schrifft bestehet darin,
dass so wol die Worte und Red-Arten gut Teutsch lauten, als dass
die Grammatic oder Sprach-Kunst gebührend beobachtet, mithin auch
der Teutsche Priscianus verschonet werde.

81. Was die Wort und Weisen zu reden betrifft, so muss man
sich hüten vor Unanständigen, Ohnvernehmlichen und Fremden oder
Unteutschen.

82. Unanständige Worte sind die niederträchtige, offt etwas Gröb-
liches andeutende Worte, die der Pöbel braucht, plebeja & rustica
verba, wo sie nicht eine sonderliche Artigkeit haben und gar wol zu
passe kommen, oder zum schertz mit guter Manier anbracht werden.
Es giebt auch gewisse niedrige Worte, so man im Schreiben so wol,
als ernsthafften förmlichen Reden gern vermeidet, dergleichen zu be-
zeichnen wären, damit man dessfalls sich besser in acht nehmen könte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#0023" n="349"/>
seyn, es könte aber auch
                     solches auf zweyerley Weise geschehen:<lb/>
nach der ietzigen Aussprache, und
                     nach dem Ursprung, wenn man<lb/>
nemlich nach seinen Grund-Wurtzeln gehen, und
                     ieder Wurtzel, oder<lb/>
iedem Stamm seine Sprossen anfügen wolte; welches auf
                     gewisse masse<lb/>
sehr dienlich, auch eine Ordnung mit der andern zu vereinigen
                     nütz-<lb/>
lich wäre. Der Sprach-Schatz aber, darin alle Kunst-Worte begriffen,<lb/>
wäre besser und nützlicher nach den Arten der Dinge, als nach
                     den<lb/>
Buchstaben der Worte abzufassen, weilen alda die verwandten Dinge<lb/>
einander erklären helffen, obschon letztens ein Alphabetisches
                     Register<lb/>
beyzufügen. Aber die Wort und Reden des durchgehenden Gebrauchs<lb/>
könten nützlich auf beyde Weise vermittelst eines Deutungs-Buchs<lb/>
(<hi rendition="#aq">Lexici</hi>) nach dem Alphabet, und vermittelst eines
                     Nahm-Buchs nach<lb/>
den Sorten der Dinge dargestellet werden; beydes könte den
                     Nahmen<lb/>
eines <foreign xml:lang="lat">Dictionarii</foreign> oder <hi rendition="#i">Wörter-Buchs</hi> verdienen, und beydes würde
                     seinen<lb/>
besondern, die letzte Art aber meines Erachtens den grösten Nutzen
                     haben.</p><lb/>
        <p>79. Es sind auch gewisse Neben-<foreign xml:lang="lat">Dictionaria</foreign> so
                     zu sagen, so die<lb/>
Lateiner und Griechen brauchen und bey den Teutschen
                     dermahleins<lb/>
nicht allerdings ausser Augen zu setzen, als <hi rendition="#aq">Particularum, Epithetorum,<lb/>
Phrasium &amp;c.</hi> der
                     Prosodien und Reim-Register zu geschweigen;<lb/>
welches alles aber, wann das
                     Haupt-Werck gehoben, sich mit der Zeit<lb/>
von selbsten finden wird. <hi rendition="#g">Biss hieher vom Reichthum der Sprache.</hi></p><lb/>
        <p>80. Die <hi rendition="#g">Reinigkeit</hi> der Sprache, Rede und Schrifft
                     bestehet darin,<lb/>
dass so wol die Worte und Red-Arten gut Teutsch lauten, als
                     dass<lb/>
die Grammatic oder Sprach-Kunst gebührend beobachtet, mithin
                     auch<lb/>
der Teutsche <foreign xml:lang="lat">Priscianus</foreign> verschonet
                     werde.</p><lb/>
        <p>81. Was die Wort und Weisen zu reden betrifft, so muss man<lb/>
sich hüten vor
                     Unanständigen, Ohnvernehmlichen und Fremden oder<lb/>
Unteutschen.</p><lb/>
        <p>82. Unanständige Worte sind die niederträchtige, offt etwas Gröb-<lb/>
liches
                     andeutende Worte, die der Pöbel braucht, <foreign xml:lang="lat">plebeja &amp;
                         rustica<lb/>
verba,</foreign> wo sie nicht eine sonderliche Artigkeit haben
                     und gar wol zu<lb/>
passe kommen, oder zum schertz mit guter Manier anbracht
                     werden.<lb/>
Es giebt auch gewisse niedrige Worte, so man im Schreiben so wol,<lb/>
als ernsthafften förmlichen Reden gern vermeidet, dergleichen zu
                     be-<lb/>
zeichnen wären, damit man dessfalls sich besser in acht nehmen
                         könte.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0023] seyn, es könte aber auch solches auf zweyerley Weise geschehen: nach der ietzigen Aussprache, und nach dem Ursprung, wenn man nemlich nach seinen Grund-Wurtzeln gehen, und ieder Wurtzel, oder iedem Stamm seine Sprossen anfügen wolte; welches auf gewisse masse sehr dienlich, auch eine Ordnung mit der andern zu vereinigen nütz- lich wäre. Der Sprach-Schatz aber, darin alle Kunst-Worte begriffen, wäre besser und nützlicher nach den Arten der Dinge, als nach den Buchstaben der Worte abzufassen, weilen alda die verwandten Dinge einander erklären helffen, obschon letztens ein Alphabetisches Register beyzufügen. Aber die Wort und Reden des durchgehenden Gebrauchs könten nützlich auf beyde Weise vermittelst eines Deutungs-Buchs (Lexici) nach dem Alphabet, und vermittelst eines Nahm-Buchs nach den Sorten der Dinge dargestellet werden; beydes könte den Nahmen eines Dictionarii oder Wörter-Buchs verdienen, und beydes würde seinen besondern, die letzte Art aber meines Erachtens den grösten Nutzen haben. 79. Es sind auch gewisse Neben-Dictionaria so zu sagen, so die Lateiner und Griechen brauchen und bey den Teutschen dermahleins nicht allerdings ausser Augen zu setzen, als Particularum, Epithetorum, Phrasium &c. der Prosodien und Reim-Register zu geschweigen; welches alles aber, wann das Haupt-Werck gehoben, sich mit der Zeit von selbsten finden wird. Biss hieher vom Reichthum der Sprache. 80. Die Reinigkeit der Sprache, Rede und Schrifft bestehet darin, dass so wol die Worte und Red-Arten gut Teutsch lauten, als dass die Grammatic oder Sprach-Kunst gebührend beobachtet, mithin auch der Teutsche Priscianus verschonet werde. 81. Was die Wort und Weisen zu reden betrifft, so muss man sich hüten vor Unanständigen, Ohnvernehmlichen und Fremden oder Unteutschen. 82. Unanständige Worte sind die niederträchtige, offt etwas Gröb- liches andeutende Worte, die der Pöbel braucht, plebeja & rustica verba, wo sie nicht eine sonderliche Artigkeit haben und gar wol zu passe kommen, oder zum schertz mit guter Manier anbracht werden. Es giebt auch gewisse niedrige Worte, so man im Schreiben so wol, als ernsthafften förmlichen Reden gern vermeidet, dergleichen zu be- zeichnen wären, damit man dessfalls sich besser in acht nehmen könte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/23
Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/23>, abgerufen am 27.11.2024.