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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Afrika.

Dem Sclavenhandel verdanken die vielen hundert Factoreien,
welche die atlantische Küste Afrikas einsäumen und auf denen die
Flaggen aller europäischen seefahrenden Nationen wehen, ihre Ent-
stehung. Mit der Abschaffung der Sclaverei verödeten die meisten
dieser Factoreien, das afrikanische Geschäft, wenigstens an der West-
küste, war durch diese internationalen Acte ruinirt; am östlichen
Gestade freilich treiben die Araber, wenn auch unter erschwerten
Umständen, den Export von "Ebenholz" bis zum heutigen Tage fort.
An der atlantischen Küste dagegen kämpfen seit den Dreissigerjahren
selbst die besten Plätze schwer gegen "die schlechten Zeiten" und die
Concurrenz, welche sich die verschiedenen Nationen untereinander
machen.

Ein völliger Umschwung kam in die afrikanischen Verhältnisse
in den letzten zwanzig, respective zehn Jahren, seit die am central-
afrikanischen Handel zumeist interessirten Nationen sich zu dem
grossen Gedanken aufrafften, den an die Küste gebundenen, immer
weniger rentablen Tauschhandel zur Nebensache zu machen, dafür
aber ganz Central-Afrika unter sich zu theilen, um daselbst auf dem
letzten sozusagen herrenlosen Fleck der Erde Colonien im grossen Style
anzulegen. Kühne Forscher, Livingstone, Stanley und andere,
haben diesen Theil unseres Erdballes, von welchem man vor fünfzig
Jahren weniger wusste als vom Monde, so weit entschleiert, dass
nur mehr Fragen zweiter Ordnung zu lösen sind. Sie wiesen vor
Allem in den entdeckten Riesenströmen dem Kaufmanne und anderen
Pionnieren der Cultur die Wege, auf denen sie sich geistig und materiell
des unbekannten Landes bemächtigen können.

Es ist über jeden Zweifel festgestellt, dass Central-Afrika ausser
dem immer seltener werdenden Elfenbein, ausser Oelfrüchten und
Harzen ungeheuere Mineralschätze und Massen von Plantagenproducten
in den Welthandel liefern könnte. Noch sind Landschaften zu ver-
theilen, welche an Fruchtbarkeit mit den reichsten Strichen Süd-
amerikas und Indiens rivalisiren können.

Darf es uns wundern, wenn unter solchen Umständen die Ent-
decker-Berichte in Europa ein ähnliches Colonialfieber erzeugten, wie
dieses die Berichte der grossen Conquistadores vor vierhundert Jahren
thaten, und wenn die erhitzte Phantasie Goldquellen fliessen sah, wo
vorderhand in Wirklichkeit nichts zu sehen ist, als wasserarme, sonn-
verbrannte, wenn auch erzführende Felsenberge oder undurchdringliche
Urwälder?

Zum Glücke ist die Zeit der ärgsten Aufregung vorüber.


Die atlantische Küste von Afrika.

Dem Sclavenhandel verdanken die vielen hundert Factoreien,
welche die atlantische Küste Afrikas einsäumen und auf denen die
Flaggen aller europäischen seefahrenden Nationen wehen, ihre Ent-
stehung. Mit der Abschaffung der Sclaverei verödeten die meisten
dieser Factoreien, das afrikanische Geschäft, wenigstens an der West-
küste, war durch diese internationalen Acte ruinirt; am östlichen
Gestade freilich treiben die Araber, wenn auch unter erschwerten
Umständen, den Export von „Ebenholz“ bis zum heutigen Tage fort.
An der atlantischen Küste dagegen kämpfen seit den Dreissigerjahren
selbst die besten Plätze schwer gegen „die schlechten Zeiten“ und die
Concurrenz, welche sich die verschiedenen Nationen untereinander
machen.

Ein völliger Umschwung kam in die afrikanischen Verhältnisse
in den letzten zwanzig, respective zehn Jahren, seit die am central-
afrikanischen Handel zumeist interessirten Nationen sich zu dem
grossen Gedanken aufrafften, den an die Küste gebundenen, immer
weniger rentablen Tauschhandel zur Nebensache zu machen, dafür
aber ganz Central-Afrika unter sich zu theilen, um daselbst auf dem
letzten sozusagen herrenlosen Fleck der Erde Colonien im grossen Style
anzulegen. Kühne Forscher, Livingstone, Stanley und andere,
haben diesen Theil unseres Erdballes, von welchem man vor fünfzig
Jahren weniger wusste als vom Monde, so weit entschleiert, dass
nur mehr Fragen zweiter Ordnung zu lösen sind. Sie wiesen vor
Allem in den entdeckten Riesenströmen dem Kaufmanne und anderen
Pionnieren der Cultur die Wege, auf denen sie sich geistig und materiell
des unbekannten Landes bemächtigen können.

Es ist über jeden Zweifel festgestellt, dass Central-Afrika ausser
dem immer seltener werdenden Elfenbein, ausser Oelfrüchten und
Harzen ungeheuere Mineralschätze und Massen von Plantagenproducten
in den Welthandel liefern könnte. Noch sind Landschaften zu ver-
theilen, welche an Fruchtbarkeit mit den reichsten Strichen Süd-
amerikas und Indiens rivalisiren können.

Darf es uns wundern, wenn unter solchen Umständen die Ent-
decker-Berichte in Europa ein ähnliches Colonialfieber erzeugten, wie
dieses die Berichte der grossen Conquistadores vor vierhundert Jahren
thaten, und wenn die erhitzte Phantasie Goldquellen fliessen sah, wo
vorderhand in Wirklichkeit nichts zu sehen ist, als wasserarme, sonn-
verbrannte, wenn auch erzführende Felsenberge oder undurchdringliche
Urwälder?

Zum Glücke ist die Zeit der ärgsten Aufregung vorüber.


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[687/0703] Die atlantische Küste von Afrika. Dem Sclavenhandel verdanken die vielen hundert Factoreien, welche die atlantische Küste Afrikas einsäumen und auf denen die Flaggen aller europäischen seefahrenden Nationen wehen, ihre Ent- stehung. Mit der Abschaffung der Sclaverei verödeten die meisten dieser Factoreien, das afrikanische Geschäft, wenigstens an der West- küste, war durch diese internationalen Acte ruinirt; am östlichen Gestade freilich treiben die Araber, wenn auch unter erschwerten Umständen, den Export von „Ebenholz“ bis zum heutigen Tage fort. An der atlantischen Küste dagegen kämpfen seit den Dreissigerjahren selbst die besten Plätze schwer gegen „die schlechten Zeiten“ und die Concurrenz, welche sich die verschiedenen Nationen untereinander machen. Ein völliger Umschwung kam in die afrikanischen Verhältnisse in den letzten zwanzig, respective zehn Jahren, seit die am central- afrikanischen Handel zumeist interessirten Nationen sich zu dem grossen Gedanken aufrafften, den an die Küste gebundenen, immer weniger rentablen Tauschhandel zur Nebensache zu machen, dafür aber ganz Central-Afrika unter sich zu theilen, um daselbst auf dem letzten sozusagen herrenlosen Fleck der Erde Colonien im grossen Style anzulegen. Kühne Forscher, Livingstone, Stanley und andere, haben diesen Theil unseres Erdballes, von welchem man vor fünfzig Jahren weniger wusste als vom Monde, so weit entschleiert, dass nur mehr Fragen zweiter Ordnung zu lösen sind. Sie wiesen vor Allem in den entdeckten Riesenströmen dem Kaufmanne und anderen Pionnieren der Cultur die Wege, auf denen sie sich geistig und materiell des unbekannten Landes bemächtigen können. Es ist über jeden Zweifel festgestellt, dass Central-Afrika ausser dem immer seltener werdenden Elfenbein, ausser Oelfrüchten und Harzen ungeheuere Mineralschätze und Massen von Plantagenproducten in den Welthandel liefern könnte. Noch sind Landschaften zu ver- theilen, welche an Fruchtbarkeit mit den reichsten Strichen Süd- amerikas und Indiens rivalisiren können. Darf es uns wundern, wenn unter solchen Umständen die Ent- decker-Berichte in Europa ein ähnliches Colonialfieber erzeugten, wie dieses die Berichte der grossen Conquistadores vor vierhundert Jahren thaten, und wenn die erhitzte Phantasie Goldquellen fliessen sah, wo vorderhand in Wirklichkeit nichts zu sehen ist, als wasserarme, sonn- verbrannte, wenn auch erzführende Felsenberge oder undurchdringliche Urwälder? Zum Glücke ist die Zeit der ärgsten Aufregung vorüber.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/703>, abgerufen am 22.11.2024.