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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der grosse Ocean.
Sänften, die übrigen Passanten, von welchen naturgemäss Chinesen
überwiegen, zu Fuss. Den Kopf mit dem Fächer gegen die Sonne
schützend oder, wenn dies nicht nöthig, den geschlossenen Fächer
zumeist am Nacken zwischen Rock und Hals eingeschoben und die
langen, breiten Aermel hin und her schwingend, eilen die bezopften
Söhne des himmlischen Reiches ihren Geschäften nach. Wenn dann
noch eine der in China sehr häufig vorkommenden Processionen,
Hochzeits- oder Leichenzüge, ihr Herannahen durch ein mark-
erschütterndes Lärmen auf Gongs und ähnlichen Hölleninstrumenten
bekanntgibt und ihren Weg durch die Strasse nimmt, wobei von
allen Seiten Volk zuströmt, dessen Neugier hier nicht minder leicht als
anderswo zu wecken ist, dann übertrifft das Gewimmel auf der
Strasse beinahe das eines Bienenschwarmes. Verfolgt man die Queens
Road weiter gegen Westen, so gelangt man in die nur von Chinesen
bewohnten Stadttheile, in welchen der Europäer und von diesen
zumeist der Matrose nur als Gast weilt, um in den vielen Schank-
buden und Unterhaltungsorten zweifelhafter Natur gewisse Anziehungs-
punkte zu finden. Insbesondere während der ersten Nachtstunden
steigert sich das Treiben hier oft bis zur Tollheit und bietet dadurch
des Sehenswerthen genug.

Im Südwesten des Stadthauses, begrenzt durch die südliche
Seite von Queens Road, also mitten in der Stadt, steigen ausgebreitete
Parkanlagen die Böschungen hinan. In diesen Anlagen steht der Gou-
vernementpalast und rund um ihn herum Villen und Privathäuser von
Mitgliedern der vornehmen Gesellschaft. Oberhalb des Gouvernement-
palastes ist der reizende botanische Garten Victorias. Der in jeder
englischen Ansiedlung unvermeidliche Cricket-Platz befindet sich auch
in dieser Gegend, dicht am Strande; über ihn hinaus reihen sich aus-
gedehnte militärische Etablissements aneinander, nämlich Kasernen
und Baraken mit allem Zugehör und das Arsenal der englischen
Kriegsmarine.

Die Bevölkerung von Hongkong wird Ende 1889 auf 194.482
Menschen geschätzt, das ist um 21·318 weniger, als man für Ende
1888 annahm, überhaupt weniger als in einem der Jahre seit
1886. Wir sehen, dass die Grösse der Bevölkerung je nach dem
Gange des Geschäftes einem starken Wechsel unterworfen ist. Von
den Einwohnern waren 56.449 weiblichen Geschlechtes, und der bei
weitem überwiegende Theil entfällt auf die chinesische Rasse. Im
Jahre 1881 wurden in der Colonie 160.402, in der Stadt Victoria
141.494 Menschen gezählt. Von ansässigen Europäern und Ameri-

Der grosse Ocean.
Sänften, die übrigen Passanten, von welchen naturgemäss Chinesen
überwiegen, zu Fuss. Den Kopf mit dem Fächer gegen die Sonne
schützend oder, wenn dies nicht nöthig, den geschlossenen Fächer
zumeist am Nacken zwischen Rock und Hals eingeschoben und die
langen, breiten Aermel hin und her schwingend, eilen die bezopften
Söhne des himmlischen Reiches ihren Geschäften nach. Wenn dann
noch eine der in China sehr häufig vorkommenden Processionen,
Hochzeits- oder Leichenzüge, ihr Herannahen durch ein mark-
erschütterndes Lärmen auf Gongs und ähnlichen Hölleninstrumenten
bekanntgibt und ihren Weg durch die Strasse nimmt, wobei von
allen Seiten Volk zuströmt, dessen Neugier hier nicht minder leicht als
anderswo zu wecken ist, dann übertrifft das Gewimmel auf der
Strasse beinahe das eines Bienenschwarmes. Verfolgt man die Queens
Road weiter gegen Westen, so gelangt man in die nur von Chinesen
bewohnten Stadttheile, in welchen der Europäer und von diesen
zumeist der Matrose nur als Gast weilt, um in den vielen Schank-
buden und Unterhaltungsorten zweifelhafter Natur gewisse Anziehungs-
punkte zu finden. Insbesondere während der ersten Nachtstunden
steigert sich das Treiben hier oft bis zur Tollheit und bietet dadurch
des Sehenswerthen genug.

Im Südwesten des Stadthauses, begrenzt durch die südliche
Seite von Queens Road, also mitten in der Stadt, steigen ausgebreitete
Parkanlagen die Böschungen hinan. In diesen Anlagen steht der Gou-
vernementpalast und rund um ihn herum Villen und Privathäuser von
Mitgliedern der vornehmen Gesellschaft. Oberhalb des Gouvernement-
palastes ist der reizende botanische Garten Victorias. Der in jeder
englischen Ansiedlung unvermeidliche Cricket-Platz befindet sich auch
in dieser Gegend, dicht am Strande; über ihn hinaus reihen sich aus-
gedehnte militärische Etablissements aneinander, nämlich Kasernen
und Baraken mit allem Zugehör und das Arsenal der englischen
Kriegsmarine.

Die Bevölkerung von Hongkong wird Ende 1889 auf 194.482
Menschen geschätzt, das ist um 21·318 weniger, als man für Ende
1888 annahm, überhaupt weniger als in einem der Jahre seit
1886. Wir sehen, dass die Grösse der Bevölkerung je nach dem
Gange des Geschäftes einem starken Wechsel unterworfen ist. Von
den Einwohnern waren 56.449 weiblichen Geschlechtes, und der bei
weitem überwiegende Theil entfällt auf die chinesische Rasse. Im
Jahre 1881 wurden in der Colonie 160.402, in der Stadt Victoria
141.494 Menschen gezählt. Von ansässigen Europäern und Ameri-

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[456/0472] Der grosse Ocean. Sänften, die übrigen Passanten, von welchen naturgemäss Chinesen überwiegen, zu Fuss. Den Kopf mit dem Fächer gegen die Sonne schützend oder, wenn dies nicht nöthig, den geschlossenen Fächer zumeist am Nacken zwischen Rock und Hals eingeschoben und die langen, breiten Aermel hin und her schwingend, eilen die bezopften Söhne des himmlischen Reiches ihren Geschäften nach. Wenn dann noch eine der in China sehr häufig vorkommenden Processionen, Hochzeits- oder Leichenzüge, ihr Herannahen durch ein mark- erschütterndes Lärmen auf Gongs und ähnlichen Hölleninstrumenten bekanntgibt und ihren Weg durch die Strasse nimmt, wobei von allen Seiten Volk zuströmt, dessen Neugier hier nicht minder leicht als anderswo zu wecken ist, dann übertrifft das Gewimmel auf der Strasse beinahe das eines Bienenschwarmes. Verfolgt man die Queens Road weiter gegen Westen, so gelangt man in die nur von Chinesen bewohnten Stadttheile, in welchen der Europäer und von diesen zumeist der Matrose nur als Gast weilt, um in den vielen Schank- buden und Unterhaltungsorten zweifelhafter Natur gewisse Anziehungs- punkte zu finden. Insbesondere während der ersten Nachtstunden steigert sich das Treiben hier oft bis zur Tollheit und bietet dadurch des Sehenswerthen genug. Im Südwesten des Stadthauses, begrenzt durch die südliche Seite von Queens Road, also mitten in der Stadt, steigen ausgebreitete Parkanlagen die Böschungen hinan. In diesen Anlagen steht der Gou- vernementpalast und rund um ihn herum Villen und Privathäuser von Mitgliedern der vornehmen Gesellschaft. Oberhalb des Gouvernement- palastes ist der reizende botanische Garten Victorias. Der in jeder englischen Ansiedlung unvermeidliche Cricket-Platz befindet sich auch in dieser Gegend, dicht am Strande; über ihn hinaus reihen sich aus- gedehnte militärische Etablissements aneinander, nämlich Kasernen und Baraken mit allem Zugehör und das Arsenal der englischen Kriegsmarine. Die Bevölkerung von Hongkong wird Ende 1889 auf 194.482 Menschen geschätzt, das ist um 21·318 weniger, als man für Ende 1888 annahm, überhaupt weniger als in einem der Jahre seit 1886. Wir sehen, dass die Grösse der Bevölkerung je nach dem Gange des Geschäftes einem starken Wechsel unterworfen ist. Von den Einwohnern waren 56.449 weiblichen Geschlechtes, und der bei weitem überwiegende Theil entfällt auf die chinesische Rasse. Im Jahre 1881 wurden in der Colonie 160.402, in der Stadt Victoria 141.494 Menschen gezählt. Von ansässigen Europäern und Ameri-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/472>, abgerufen am 22.11.2024.