bringen und sich für den Fall, als dies dennoch geschähe, der chinesischen Justiz unterzuordnen, welche auf den Opiumhandel die Todesstrafe gesetzt hatte. Dass diesem Verlangen seitens der Fremden keine Folge gegeben wurde, ist begreiflich; Lin-Tse-Tsin musste also, um sich darüber, dass die Fremden die Opiumeinfuhr fallen gelassen hatten, Gewissheit zu verschaffen, auf andere Mittel bedacht sein. Er organisirte ein solches Ueberwachungssystem um die Fremden, dass diese förmliche Gefangene waren und sich, um der Unwürdig- keit, die in dieser Ueberwachung lag, zu entgehen, in der Zwangs- lage befanden, entweder den Revers zu unterzeichnen oder Canton zu verlassen. Entgegen dem Wunsche der Chinesen geschah das letztere, die Engländer übersiedelten nach Macao, ihre Handelsflotte sammelte sich unter Hongkong und der Handel wurde vollständig ab- gebrochen. Die Situation war äussert gespannt, chinesische Dschunken überfielen die Boote der Fremden, Schmuggler und Piraten bekämpften auch die Vertreter der Behörden in förmlichen Seeschlachten und das Gesetz hatte jede Autorität verloren.
Trotz alledem bestand Lin-Tse-Tsin auf seinem Vorsatze und liess die Handelsflotte der Fremden auffordern, behufs Unterzeich- nung des Reverses in den Perlfluss einzulaufen, oder aber die chinesi- schen Gewässer binnen drei Tagen zu verlassen. Da die Engländer dieser Aufforderung keine Folge gaben, schritt ein Geschwader chinesischer Kriegsdschunken zum Angriff auf die Handelsflotte, um dieselbe von ihren Ankerplätzen zu verjagen. Zwei englische Kriegs- schiffe traten aber den Dschunken entgegen und zwangen sie zum sofortigen Rückzug. Erbittert durch den Misserfolg, publicirte Lin- Tse-Tsin einen Erlass, welchem zufolge die Engländer für ewige Zeiten aus dem himmlischen Reiche verbannt und für vogelfrei er- klärt wurden. Das war die Ursache des sogenannten Opiumkrieges 1840--1842, in welchem China vollständig unterlag.
Der Verlauf des Krieges zeigt die ganze Zähigkeit des chinesischen Wesens und die Eigenart der dortigen Diplomatie, welche bei den europäischen Vertretern ein selbst für den Orient unvergleichlich reiches Mass von Geduld verlangt. Wir sehen aber auch die grosse Unabhängigkeit der einzelnen Provinzen der Central- gewalt in Peking gegenüber und die Thatsache, dass nur derjenige mit dem Kaiser von China Krieg führt, der auf Peking losgeht. Dort liegt die Lösung der chine- sischen Fragen.
Die Engländer trafen das Richtige, als sie sofort die Operationen gegen Peking richten wollten. Der Gedanke an die Möglichkeit, dass die Fremden ge- waltsam dort eindringen könnten, verursachte bei den Mandarinen einen panischen Schrecken; sie versprachen die weitestgehende Nachgiebigkeit und Bereitwilligkeit für Verhandlungen, die man in Canton führen wollte, und brachten es dahin,
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Chinesische Häfen.
bringen und sich für den Fall, als dies dennoch geschähe, der chinesischen Justiz unterzuordnen, welche auf den Opiumhandel die Todesstrafe gesetzt hatte. Dass diesem Verlangen seitens der Fremden keine Folge gegeben wurde, ist begreiflich; Lin-Tse-Tsin musste also, um sich darüber, dass die Fremden die Opiumeinfuhr fallen gelassen hatten, Gewissheit zu verschaffen, auf andere Mittel bedacht sein. Er organisirte ein solches Ueberwachungssystem um die Fremden, dass diese förmliche Gefangene waren und sich, um der Unwürdig- keit, die in dieser Ueberwachung lag, zu entgehen, in der Zwangs- lage befanden, entweder den Revers zu unterzeichnen oder Canton zu verlassen. Entgegen dem Wunsche der Chinesen geschah das letztere, die Engländer übersiedelten nach Macao, ihre Handelsflotte sammelte sich unter Hongkong und der Handel wurde vollständig ab- gebrochen. Die Situation war äussert gespannt, chinesische Dschunken überfielen die Boote der Fremden, Schmuggler und Piraten bekämpften auch die Vertreter der Behörden in förmlichen Seeschlachten und das Gesetz hatte jede Autorität verloren.
Trotz alledem bestand Lin-Tse-Tsin auf seinem Vorsatze und liess die Handelsflotte der Fremden auffordern, behufs Unterzeich- nung des Reverses in den Perlfluss einzulaufen, oder aber die chinesi- schen Gewässer binnen drei Tagen zu verlassen. Da die Engländer dieser Aufforderung keine Folge gaben, schritt ein Geschwader chinesischer Kriegsdschunken zum Angriff auf die Handelsflotte, um dieselbe von ihren Ankerplätzen zu verjagen. Zwei englische Kriegs- schiffe traten aber den Dschunken entgegen und zwangen sie zum sofortigen Rückzug. Erbittert durch den Misserfolg, publicirte Lin- Tse-Tsin einen Erlass, welchem zufolge die Engländer für ewige Zeiten aus dem himmlischen Reiche verbannt und für vogelfrei er- klärt wurden. Das war die Ursache des sogenannten Opiumkrieges 1840—1842, in welchem China vollständig unterlag.
Der Verlauf des Krieges zeigt die ganze Zähigkeit des chinesischen Wesens und die Eigenart der dortigen Diplomatie, welche bei den europäischen Vertretern ein selbst für den Orient unvergleichlich reiches Mass von Geduld verlangt. Wir sehen aber auch die grosse Unabhängigkeit der einzelnen Provinzen der Central- gewalt in Peking gegenüber und die Thatsache, dass nur derjenige mit dem Kaiser von China Krieg führt, der auf Peking losgeht. Dort liegt die Lösung der chine- sischen Fragen.
Die Engländer trafen das Richtige, als sie sofort die Operationen gegen Peking richten wollten. Der Gedanke an die Möglichkeit, dass die Fremden ge- waltsam dort eindringen könnten, verursachte bei den Mandarinen einen panischen Schrecken; sie versprachen die weitestgehende Nachgiebigkeit und Bereitwilligkeit für Verhandlungen, die man in Canton führen wollte, und brachten es dahin,
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Chinesische Häfen.
bringen und sich für den Fall, als dies dennoch geschähe, der
chinesischen Justiz unterzuordnen, welche auf den Opiumhandel die
Todesstrafe gesetzt hatte. Dass diesem Verlangen seitens der Fremden
keine Folge gegeben wurde, ist begreiflich; Lin-Tse-Tsin musste
also, um sich darüber, dass die Fremden die Opiumeinfuhr fallen
gelassen hatten, Gewissheit zu verschaffen, auf andere Mittel bedacht
sein. Er organisirte ein solches Ueberwachungssystem um die Fremden,
dass diese förmliche Gefangene waren und sich, um der Unwürdig-
keit, die in dieser Ueberwachung lag, zu entgehen, in der Zwangs-
lage befanden, entweder den Revers zu unterzeichnen oder Canton zu
verlassen. Entgegen dem Wunsche der Chinesen geschah das letztere,
die Engländer übersiedelten nach Macao, ihre Handelsflotte
sammelte sich unter Hongkong und der Handel wurde vollständig ab-
gebrochen. Die Situation war äussert gespannt, chinesische Dschunken
überfielen die Boote der Fremden, Schmuggler und Piraten bekämpften
auch die Vertreter der Behörden in förmlichen Seeschlachten und das
Gesetz hatte jede Autorität verloren.
Trotz alledem bestand Lin-Tse-Tsin auf seinem Vorsatze und
liess die Handelsflotte der Fremden auffordern, behufs Unterzeich-
nung des Reverses in den Perlfluss einzulaufen, oder aber die chinesi-
schen Gewässer binnen drei Tagen zu verlassen. Da die Engländer
dieser Aufforderung keine Folge gaben, schritt ein Geschwader
chinesischer Kriegsdschunken zum Angriff auf die Handelsflotte, um
dieselbe von ihren Ankerplätzen zu verjagen. Zwei englische Kriegs-
schiffe traten aber den Dschunken entgegen und zwangen sie zum
sofortigen Rückzug. Erbittert durch den Misserfolg, publicirte Lin-
Tse-Tsin einen Erlass, welchem zufolge die Engländer für ewige
Zeiten aus dem himmlischen Reiche verbannt und für vogelfrei er-
klärt wurden. Das war die Ursache des sogenannten Opiumkrieges
1840—1842, in welchem China vollständig unterlag.
Der Verlauf des Krieges zeigt die ganze Zähigkeit des chinesischen Wesens
und die Eigenart der dortigen Diplomatie, welche bei den europäischen Vertretern
ein selbst für den Orient unvergleichlich reiches Mass von Geduld verlangt. Wir
sehen aber auch die grosse Unabhängigkeit der einzelnen Provinzen der Central-
gewalt in Peking gegenüber und die Thatsache, dass nur derjenige mit dem Kaiser
von China Krieg führt, der auf Peking losgeht. Dort liegt die Lösung der chine-
sischen Fragen.
Die Engländer trafen das Richtige, als sie sofort die Operationen gegen
Peking richten wollten. Der Gedanke an die Möglichkeit, dass die Fremden ge-
waltsam dort eindringen könnten, verursachte bei den Mandarinen einen panischen
Schrecken; sie versprachen die weitestgehende Nachgiebigkeit und Bereitwilligkeit
für Verhandlungen, die man in Canton führen wollte, und brachten es dahin,
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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