alle Länder von China bis Europa hinein zu einem Ganzen vereinigte. Frei war der Verkehr durch den ganzen Continent, es herrschte voll- kommene Sicherheit für Leben und Eigenthum, und getragen von diesen günstigen Umständen unternahm in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts der Venezianer Marco Polo seine Reise nach "Cathay" an den Hof des Kublai Chan, wo er 17 Jahre verweilte, den zauberhaften Glanz der Riesenstadt Quinsay und ihres Kaiser- palastes schaute und von Zipango (Japan) hörte, wo es Gold in Ueberfluss gäbe.
Aber der Sturz der mongolischen Dynastie (1368) brachte die allen Fremden feindliche Ming-Dinastie an die Spitze, und die Ab- sperrung Chinas wurde wieder eine vollständige bis zu den Tagen der Entdeckung des Seeweges nach Indien und China durch die Portugiesen.
Schon 1514 kamen ihre Schiffe in Sicht der chinesischen Küste, durften aber nicht landen. Dies gelang erst 1517 dem Fernao Perez de Andrade in Canton. Aber auch er musste bald umkehren, und eine Niederlassung in Canton konnte erst viel später gegründet werden.
Das friedliche Treiben war weder hier, noch an den anderen Plätzen von langer Dauer; der Eigendünkel chinesischer Machthaber und die Roheit der Seeleute, welche die Sucht nach Abenteuern und Beute hieher getrieben hatte, stiessen schroff an- einander und veranlassten einerseits ungerechtfertigte, die Freiheit der Fremden beschränkende Massnahmen, andererseits gewaltsame Gesetzesübertretungen. Nur der grosse Gewinn, welcher beiderseits erzielt wurde, sprach trotz aller Unsicherheit in den gegenseitigen Beziehungen für die Fortsetzung des Handelsverkehres. Die chinesischen Seeräuber wussten, dass sie seitens ihrer Regierung für ein an den Fremden begangenes Verbrechen wohl kaum ernstliche Strafen zu erwarten hatten und überfielen bei jeder Gelegenheit Schiffe der Fremden. Es kam zu erbitterten Kämpfen, in welchen der Barbarismus der minder civilisirten Chinesen mit der Brutalität der fremden See- leute in Gräuelthaten zu wetteifern schien.
Berichte an chinesische Machthaber über derlei Kämpfe waren nicht danach angethan, hohe Begriffe von der Cultur des Abend- landes zur Geltung zu bringen; man gewöhnte sich vielmehr, in jedem Fremden ohne Unterschied nur einen "Barbaren" zu sehen, dessen Duldung im Lande jedoch aus materiellen Interessen geboten schien.
Der grosse Ocean.
alle Länder von China bis Europa hinein zu einem Ganzen vereinigte. Frei war der Verkehr durch den ganzen Continent, es herrschte voll- kommene Sicherheit für Leben und Eigenthum, und getragen von diesen günstigen Umständen unternahm in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts der Venezianer Marco Polo seine Reise nach „Cathay“ an den Hof des Kublai Chan, wo er 17 Jahre verweilte, den zauberhaften Glanz der Riesenstadt Quinsay und ihres Kaiser- palastes schaute und von Zipango (Japan) hörte, wo es Gold in Ueberfluss gäbe.
Aber der Sturz der mongolischen Dynastie (1368) brachte die allen Fremden feindliche Ming-Dinastie an die Spitze, und die Ab- sperrung Chinas wurde wieder eine vollständige bis zu den Tagen der Entdeckung des Seeweges nach Indien und China durch die Portugiesen.
Schon 1514 kamen ihre Schiffe in Sicht der chinesischen Küste, durften aber nicht landen. Dies gelang erst 1517 dem Fernão Perez de Andrade in Canton. Aber auch er musste bald umkehren, und eine Niederlassung in Canton konnte erst viel später gegründet werden.
Das friedliche Treiben war weder hier, noch an den anderen Plätzen von langer Dauer; der Eigendünkel chinesischer Machthaber und die Roheit der Seeleute, welche die Sucht nach Abenteuern und Beute hieher getrieben hatte, stiessen schroff an- einander und veranlassten einerseits ungerechtfertigte, die Freiheit der Fremden beschränkende Massnahmen, andererseits gewaltsame Gesetzesübertretungen. Nur der grosse Gewinn, welcher beiderseits erzielt wurde, sprach trotz aller Unsicherheit in den gegenseitigen Beziehungen für die Fortsetzung des Handelsverkehres. Die chinesischen Seeräuber wussten, dass sie seitens ihrer Regierung für ein an den Fremden begangenes Verbrechen wohl kaum ernstliche Strafen zu erwarten hatten und überfielen bei jeder Gelegenheit Schiffe der Fremden. Es kam zu erbitterten Kämpfen, in welchen der Barbarismus der minder civilisirten Chinesen mit der Brutalität der fremden See- leute in Gräuelthaten zu wetteifern schien.
Berichte an chinesische Machthaber über derlei Kämpfe waren nicht danach angethan, hohe Begriffe von der Cultur des Abend- landes zur Geltung zu bringen; man gewöhnte sich vielmehr, in jedem Fremden ohne Unterschied nur einen „Barbaren“ zu sehen, dessen Duldung im Lande jedoch aus materiellen Interessen geboten schien.
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Der grosse Ocean.
alle Länder von China bis Europa hinein zu einem Ganzen vereinigte.
Frei war der Verkehr durch den ganzen Continent, es herrschte voll-
kommene Sicherheit für Leben und Eigenthum, und getragen von
diesen günstigen Umständen unternahm in der zweiten Hälfte des
XIII. Jahrhunderts der Venezianer Marco Polo seine Reise nach
„Cathay“ an den Hof des Kublai Chan, wo er 17 Jahre verweilte,
den zauberhaften Glanz der Riesenstadt Quinsay und ihres Kaiser-
palastes schaute und von Zipango (Japan) hörte, wo es Gold in
Ueberfluss gäbe.
Aber der Sturz der mongolischen Dynastie (1368) brachte die
allen Fremden feindliche Ming-Dinastie an die Spitze, und die Ab-
sperrung Chinas wurde wieder eine vollständige bis zu den Tagen
der Entdeckung des Seeweges nach Indien und China durch die
Portugiesen.
Schon 1514 kamen ihre Schiffe in Sicht der chinesischen
Küste, durften aber nicht landen. Dies gelang erst 1517 dem Fernão
Perez de Andrade in Canton. Aber auch er musste bald umkehren,
und eine Niederlassung in Canton konnte erst viel später gegründet
werden.
Das friedliche Treiben war weder hier, noch an den
anderen Plätzen von langer Dauer; der Eigendünkel chinesischer
Machthaber und die Roheit der Seeleute, welche die Sucht nach
Abenteuern und Beute hieher getrieben hatte, stiessen schroff an-
einander und veranlassten einerseits ungerechtfertigte, die Freiheit
der Fremden beschränkende Massnahmen, andererseits gewaltsame
Gesetzesübertretungen. Nur der grosse Gewinn, welcher beiderseits
erzielt wurde, sprach trotz aller Unsicherheit in den gegenseitigen
Beziehungen für die Fortsetzung des Handelsverkehres. Die chinesischen
Seeräuber wussten, dass sie seitens ihrer Regierung für ein an den
Fremden begangenes Verbrechen wohl kaum ernstliche Strafen zu
erwarten hatten und überfielen bei jeder Gelegenheit Schiffe der
Fremden. Es kam zu erbitterten Kämpfen, in welchen der Barbarismus
der minder civilisirten Chinesen mit der Brutalität der fremden See-
leute in Gräuelthaten zu wetteifern schien.
Berichte an chinesische Machthaber über derlei Kämpfe waren
nicht danach angethan, hohe Begriffe von der Cultur des Abend-
landes zur Geltung zu bringen; man gewöhnte sich vielmehr, in
jedem Fremden ohne Unterschied nur einen „Barbaren“ zu sehen,
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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