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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.

Wenngleich fast jedes Haus in seinem Patio einen hübschen
Garten besitzt, so sind doch die öffentlichen Gartenanlagen im Allge-
meinen nicht durch Schönheit hervorragend. Eine Ausnahme hievon
bildet die Recoleta, eine anmuthige Promenade im nordwestlichen
Theile der Stadt, und der Parque 3. de Febrero, eine in jeder Be-
ziehung grossartige Parkanlage, welche durch den Präsidenten Do-
mingo Faustino Sarmiento zur Erinnerung an die Befreiung des Landes
von der Dictatur Rosas geschaffen wurde. Dieser Park, den an schönen
Tagen unzählige Spaziergänger und Wagen beleben, ist das Bois de
Boulogne der Stadt.

Buenos-Aires ist Sitz eines Erzbischofs. Obschon der Cultus der
katholischen Religion von der Staatsverfassung -- allerdings neben
völliger Religionsfreiheit -- aufrecht erhalten wird, ist doch die ehe-
dem reiche Kirche während der Revolution ihrer Güter beraubt worden,
weshalb Bischöfe und Capitel auf relativ geringe Einkünfte von Seite
der Nationalregierung angewiesen sind. Die 24, zum Theile grossen
und prachtvollen Kirchen Buenos-Aires', deren schönste der bereits
erwähnte Dom ist, stammen noch aus den Zeiten des kirchlichen Reich-
thums unter spanischer Herrschaft. Die deutsche protestantische Kirche
steht unter dem Consistorium der Provinz Brandenburg und war das
erste protestantische Gotteshaus auf südamerikanischem Boden. Ausser
der deutschen bestehen in Buenos-Aires noch eine nordamerikanische
und zwei englische protestantische Gemeinden.

An wissenschaftlichen Instituten besitzt Buenos-Aires eine
Universität, eine Militärschule und eine Marine-Akademie, ein geist-
liches Seminar, mehrere Mittel- und Volksschulen, Kunst- und Ge-
werbeschulen, eine öffentliche Bibliothek mit nahezu 70.000 Bänden,
eine Sternwarte und ein naturhistorisches Museum. Die Universität
wurde über Beschluss des Nationalcongresses im Jahre 1819 gegründet
und drei Jahre später feierlich eingeweiht. Die Collegiengelder und
Taxen sind sehr gering bemessen, weshalb die Kosten des Universitäts-
unterrichtes fast gänzlich vom Staate getragen werden müssen. An
der Universität bestehen eine juridische, eine medicinische und eine
philosophische Facultät, wobei der Lehrplan der Letztgenannten von
jenem der gleichen Facultäten europäischer Hochschulen einigermassen
abweicht und mit der medicinischen Facultät auch Lehrcurse für
Pharmaceutik, Zahnheilkunde und Geburtshilfe verbunden sind. Die
Frequenz aller drei Facultäten kann keinesfalls eine lebhafte genannt
werden. Die Militärschule, welche in Palermo, einer hübschen Villen-
vorstadt, gelegen ist, sowie auch die Marineakademie wurden durch

Die atlantische Küste von Amerika.

Wenngleich fast jedes Haus in seinem Patio einen hübschen
Garten besitzt, so sind doch die öffentlichen Gartenanlagen im Allge-
meinen nicht durch Schönheit hervorragend. Eine Ausnahme hievon
bildet die Recoleta, eine anmuthige Promenade im nordwestlichen
Theile der Stadt, und der Parque 3. de Febrero, eine in jeder Be-
ziehung grossartige Parkanlage, welche durch den Präsidenten Do-
mingo Faustino Sarmiento zur Erinnerung an die Befreiung des Landes
von der Dictatur Rosas geschaffen wurde. Dieser Park, den an schönen
Tagen unzählige Spaziergänger und Wagen beleben, ist das Bois de
Boulogne der Stadt.

Buenos-Aires ist Sitz eines Erzbischofs. Obschon der Cultus der
katholischen Religion von der Staatsverfassung — allerdings neben
völliger Religionsfreiheit — aufrecht erhalten wird, ist doch die ehe-
dem reiche Kirche während der Revolution ihrer Güter beraubt worden,
weshalb Bischöfe und Capitel auf relativ geringe Einkünfte von Seite
der Nationalregierung angewiesen sind. Die 24, zum Theile grossen
und prachtvollen Kirchen Buenos-Aires’, deren schönste der bereits
erwähnte Dom ist, stammen noch aus den Zeiten des kirchlichen Reich-
thums unter spanischer Herrschaft. Die deutsche protestantische Kirche
steht unter dem Consistorium der Provinz Brandenburg und war das
erste protestantische Gotteshaus auf südamerikanischem Boden. Ausser
der deutschen bestehen in Buenos-Aires noch eine nordamerikanische
und zwei englische protestantische Gemeinden.

An wissenschaftlichen Instituten besitzt Buenos-Aires eine
Universität, eine Militärschule und eine Marine-Akademie, ein geist-
liches Seminar, mehrere Mittel- und Volksschulen, Kunst- und Ge-
werbeschulen, eine öffentliche Bibliothek mit nahezu 70.000 Bänden,
eine Sternwarte und ein naturhistorisches Museum. Die Universität
wurde über Beschluss des Nationalcongresses im Jahre 1819 gegründet
und drei Jahre später feierlich eingeweiht. Die Collegiengelder und
Taxen sind sehr gering bemessen, weshalb die Kosten des Universitäts-
unterrichtes fast gänzlich vom Staate getragen werden müssen. An
der Universität bestehen eine juridische, eine medicinische und eine
philosophische Facultät, wobei der Lehrplan der Letztgenannten von
jenem der gleichen Facultäten europäischer Hochschulen einigermassen
abweicht und mit der medicinischen Facultät auch Lehrcurse für
Pharmaceutik, Zahnheilkunde und Geburtshilfe verbunden sind. Die
Frequenz aller drei Facultäten kann keinesfalls eine lebhafte genannt
werden. Die Militärschule, welche in Palermo, einer hübschen Villen-
vorstadt, gelegen ist, sowie auch die Marineakademie wurden durch

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[290/0306] Die atlantische Küste von Amerika. Wenngleich fast jedes Haus in seinem Patio einen hübschen Garten besitzt, so sind doch die öffentlichen Gartenanlagen im Allge- meinen nicht durch Schönheit hervorragend. Eine Ausnahme hievon bildet die Recoleta, eine anmuthige Promenade im nordwestlichen Theile der Stadt, und der Parque 3. de Febrero, eine in jeder Be- ziehung grossartige Parkanlage, welche durch den Präsidenten Do- mingo Faustino Sarmiento zur Erinnerung an die Befreiung des Landes von der Dictatur Rosas geschaffen wurde. Dieser Park, den an schönen Tagen unzählige Spaziergänger und Wagen beleben, ist das Bois de Boulogne der Stadt. Buenos-Aires ist Sitz eines Erzbischofs. Obschon der Cultus der katholischen Religion von der Staatsverfassung — allerdings neben völliger Religionsfreiheit — aufrecht erhalten wird, ist doch die ehe- dem reiche Kirche während der Revolution ihrer Güter beraubt worden, weshalb Bischöfe und Capitel auf relativ geringe Einkünfte von Seite der Nationalregierung angewiesen sind. Die 24, zum Theile grossen und prachtvollen Kirchen Buenos-Aires’, deren schönste der bereits erwähnte Dom ist, stammen noch aus den Zeiten des kirchlichen Reich- thums unter spanischer Herrschaft. Die deutsche protestantische Kirche steht unter dem Consistorium der Provinz Brandenburg und war das erste protestantische Gotteshaus auf südamerikanischem Boden. Ausser der deutschen bestehen in Buenos-Aires noch eine nordamerikanische und zwei englische protestantische Gemeinden. An wissenschaftlichen Instituten besitzt Buenos-Aires eine Universität, eine Militärschule und eine Marine-Akademie, ein geist- liches Seminar, mehrere Mittel- und Volksschulen, Kunst- und Ge- werbeschulen, eine öffentliche Bibliothek mit nahezu 70.000 Bänden, eine Sternwarte und ein naturhistorisches Museum. Die Universität wurde über Beschluss des Nationalcongresses im Jahre 1819 gegründet und drei Jahre später feierlich eingeweiht. Die Collegiengelder und Taxen sind sehr gering bemessen, weshalb die Kosten des Universitäts- unterrichtes fast gänzlich vom Staate getragen werden müssen. An der Universität bestehen eine juridische, eine medicinische und eine philosophische Facultät, wobei der Lehrplan der Letztgenannten von jenem der gleichen Facultäten europäischer Hochschulen einigermassen abweicht und mit der medicinischen Facultät auch Lehrcurse für Pharmaceutik, Zahnheilkunde und Geburtshilfe verbunden sind. Die Frequenz aller drei Facultäten kann keinesfalls eine lebhafte genannt werden. Die Militärschule, welche in Palermo, einer hübschen Villen- vorstadt, gelegen ist, sowie auch die Marineakademie wurden durch

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/306>, abgerufen am 24.11.2024.